Berg- und Seefahrten (1923)

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wird die Gegend selbst etwas einförmig; weite Maisfelder und dunkle Tannenwaldung, bis sie bald wieder in anmutiger Abwechslung Bergwälder und Felsen, Ruinen und Schlösser, Dörfer und Wiesen zeigt und endlich gegen Gloggnitz hin immer schöner und zuletzt schon ganz alpenhaft wird. Hier sahen wir zum erstenmal die großen, schweren Riesenlokomotiven, mti denen der Semmering allein befahren werden kann. Wir fuhren noch die nächste kleine Station bis Payerbach und befanden uns schon mitten in den Voralpen.

"Alpen im Frühling!" Das war so lange mein sehnlicher Wunsch gewesen und stand nun mit einem Male fertig vor mir da. Vergeblich würde ich die Wonne zu schildern versuchen, mit der ich mich jetzt plötzlich in die herrliche Alpennatur versetzt sah, mit der ich gierig ihren unvergleichlichen Anblick von der grünen Talsohle bis zum beschneiten Hochgebirgsfirst, vom schwarzen Tannenwald zum malerischen Felskegel, vom lustigen Alpendorf bis zur einsamen Sennhütte einsog und schon im Geist vom einen zum andern wanderte. Das waren von jeher die freudevollsten Lebensmomente, wenn ich, des trostlosen Staubes des Alltagslebens müde, die Menschen und Städte und ihren traurigen Wust satt, in der großen, weiten, reinen Natur den Frieden und das Glück fand, das ich dort vergeblich erstrebte. Wie Antäus, von Herkules im Ringkampf erdrückt, jedesmal wieder auflebte und neue Kräfte schöpfte, wenn er mit der Mitter Erde wieder in Berührung kam, so lebe ich auch jedesmal wieder auf, so oft ich, von der Trostlosigkeit unbefriedigten Strebens, von der Unzufriedenheit mit mir selbst und der Welt fast überwältigt, an nie versiegender Quelle edelsten und reinsten Naturgenusses mich selbst vergesse und in der bewundernden Anschauung des wundervollen Erdenkleides neue Kraft und neuen Lebensmut schopfe. So oft ich schon hatte mich der süße, trostvolle Friede, den ich aus diesem innigen Naturverständnis schöpfte, mit stiller herzlichster Freude erfüllt, selten aber mit solcher Intensität wie diesmal, wo so vieles zusammenkam, um mir die göttliche Alpennatur im blühendsten Glanze zu zeigen. Wie oft hatte ich im Genuß der Hochalpen und in der Rückerinnerung ihr Frühlingskleid mir prächtig in Gedanken ausgemalt und wie sher fand ich dies alles hier übertroffen! Und wie wurde dieser mächtige Reiz gesteigert, durch die kühne Kombination eines Riesenwerks, von Menschenhand inmitten dieser Naturpracht, durch die unvergleichliche Semmeringbahn, den kolossalen Schienenweg mitten über das Hochgebirg, dessen Befahrung den köstlichen Beschluß unserer nur kurzen, aber unendlich genußreichen Alpenwanderung bildete. Vergeblich würde ich den Versuch wagen, naturentsprechend die Reihe unendlich mannigfaltiger, für den Naturforscher in specie ungemein fesselnder Landschaftsbilder auch nur im Umrisse vorzuführen, die sich in diesen 2 Tagen in buntem Wechsel an uns vorüberdrängten. Nur andeuten kann ich, daß der größte Teil dieses Genusses durch die Anschauung der gerade jetzt hier überaus herr


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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