Berg- und Seefahrten (1923)

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lich entwickelten Pflanzendecke bedingt wurde, die ja überhaupt für den Charakter der Landschaft die überwiegtend größte Bedeutung hat, die aber unter diesen Verhältnissen sowohl in landschaftlicher als pflanzengeographischer Beziehung, sowohl in ästhetischer als systematischer Beziehung ein ganz besonderes Interesse bot, so daß ich selten mti so innigem Vergnügen, wie hier, ihren Erscheinungen gefolgt bin. Ist doch schon in unserer Ebenenflora das Frühlingskleit das Allerschönste, um wie viel mehr in der herrlichen Alpenflora, die jene erstere noch in höheren Maße übertrifft, als der Reiz des Frühlings den des übrigen Jahres. Wie wunderbar prachtvoll waren grade jetzt überall die noch mti dem zartesten Grün geschmückten Wiesenmatten und Laubholzgruppen inmitten des schwarzgrünen Föhrenwaldes, wie köstlich die mit den reinsten, schönsten Farben gezierten einfachen Blumenglocken, die als die ersten Geschenke der Flora überall alf Fels und Weg, in Wiese und Wald prangten, die weißen Anemonen (silvestris alpina) die gelben Primeln (acaulis, auricula), die roten Primeln (farinosa, spectabilis), die blauen Gentianen (verna, acaulis, die kreuzblütigen Cardamine (amara, trifolia und wie sie alle heißen!

Jauchzend und singend wanderten wir von Payerbach, unter dem ersten Viadukt der Semmeringbahn hindurch, deren kühnen Lauf wir noch hoch in s Gebirg zurückverfolgen konnten, dem Laufe der klaren Schwarzau entgegen hinauf, eines frischen, schäumenden Gebirgsbaches, der unterhalb Gloggnitz in das Wiener Becken tritt und weiterhin den Stamm der Leitha bildet. Über einem Querriegel traten wir in den reizend idyllischen, ganz in sich abgeschlossenen Talkessel der Reichenau, in deren nettem Schweizer Gasthaus wir uns für die kommende Wanderung stärkten und dabei den Anblick der reizenden Umgebung satt sahen. Rechts von uns lag der mächtige Schneeberg, nur in den Wurzeln sichtbar, links das Ziel unserer morgigen Tour, der mächtige breite Rücken des Waxriegel und der Raxalpe, von deren zackigen Firsten lange Schneebinden und Firnfelder weit am Gehänge hinab sich senkten. Zwischen beiden führte uns der wildromantische Pfad in das ungemein großartige Höllental hinein, dessen außerordentliche Reize uns so fesselten, daß wir den kaum 4 Stunden langen Weg in mehr als 7 Stunden erste zurücklegten. Der prächtige, wilde, starke Schwarzaubach bahnte sich mit seinen dunkelgrünen, klaren Wassermassen in brausendem Sturz den Weg durch die zerklüftete Schlucht, zu deren beiden Seiten die zackigen Kalkfelswände sehr steil und hoch emporsteigen, bald nackte, groteske, phantastische Steinbilder, bald mit schwarzem, dichtem Manten der Pinus austriaca behängt, oder mit dem zartesten, frischesten Frühlungsgrün des knospenden Laubwaldes, hoher Buchen und starker Eichen, dann und wann von Scharen schlanker Lärchen geziert. Kaum findet der an den schönsten Hochgebirgslandschaftsbildern so reiche Weg Raum in der felsigen Enge neben dem wildeinherstürmenden Bach, den er auf vielen Brücken sehr


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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