"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

62. Brief

Jena, 10. Juli 1871.




Liebste Agnes! Soeben (Montag nachm. 3 Uhr) bin ich glücklich von meiner Rückreise hier in unserm alten Neste wieder eingetroffen. Mein Wunsch, schon heute morgen wieder hier zu sein und meine Vorlesung zu halten, wurde ärgerlicherweise durchkreuzt. Als ich nämlich um 1 Uhr nachts von Eisenach mit dem Schnellzug weiterfahren wollte, erklärte der Schaffner (was ich schon unterwegs zu fürchten begonnen hatte), daß mein Retour-Billett (von Eisenach bis Apolda) für Schnellzug nicht gälte. Ich hatte also bloß die Wahl, mir noch ein Schnellzugbillett für 3 Rl. zu lösen oder in Eisenach für 1/2 Rl. zu übernachten. Da nun das letztere offenbar billiger und auch angenehmer war (denn ich war sehr müde, und der nächtliche Spaziergang von Apolda nach Jena erschien mir trotz seiner Romantik nicht gerade im günstigsten Lichte!), so blieb ich die Nacht in Eisenach und fuhr heute morgen um 8 1/2 Uhr weiter. Um 12 Uhr waren wir erst in Apolda, wo eine Fahrgelegenheit nicht zu finden war. Ich entschloß mich also, bei strömendem Regen den schönen alten Weg zu Fuß zu machen, und fand dazu sehr gute Gesellschaft in einem Artillerie- Unteroffizier mit einem eisernen Kreuz, der seine Braut besuchen wollte. Total durchnäßt kam ich um 3 Uhr hier an. Unsere beiden Kinderchen fand ich sehr munter und wohl. Walter ist sehr ausgelassen und hat seinen Trennungsschmerz schon ganz überwunden . . . Nun, liebste Agnes, schreibe mir recht oft und ausführlich. Du hast in Deinem interessanten und ereignisreichen Badeleben mehr Stoff zu Briefen als ich hier in dem alten stillen Jena- Neste . . . Hoffentlich höre ich bald recht Gutes von Euch! Laß Dich nur nicht entmutigen, wenn Dir die Bäder zuerst nicht gut tun; nachher werden sie um so günstiger wirken . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999