"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

59. Brief

Nauheim, den 3. Juni. (Kuraufenthalt)




Liebster Ernst! Heute, wo es mir wieder etwas leidlicher zu Mute ist (obgleich noch sehr matt), will ich Dir Nachricht von mir geben. Vor allem bin ich herzlich froh, die Reise überstanden zu haben, die sehr unangenehm und umständlich war und mich wieder sehr zurückgebracht hat, so daß ich fürchtete, meine alten Schmerzen würden wieder anfangen! Deine Berechnung mit Bebra war ganz falsch, erstens kann man von da aus kein Billet nach Nauheim bekommen, sondern nur bis Gießen, und zweitens ist der Aufenthalt keine halbe Stunde, sondern wenige Minuten, in denen man sich zu Tode hetzen kann, Billett lösen, neuen Gepäckschein nehmen, nach dem Koffer sehen, ob er richtig mit fortkommt, und ins Coupé geworfen werden ist eins! Dabei die kleine Lisbeth mit fortgeschleppt und mich schwache Person selber. In Fulda mußten wir wieder umsteigen, und ich hatte dahin nur immer zu tun, um Lisbeth wach zu halten, die einschlafen wollte! Dabei fing ich an, entsetzliche Kopfschmerzen mit Übelkeit zu bekommen, so daß ich, als ich mit Lisie in Fulda umgestiegen war und glücklicherweise in ein leeres Damencoupé kam, nichts mehr sah und hörte! Dazwischen kam der Kondukteur, um das Billet zu verlangen, der auf mein Befragen die trostlose Antwort gab, daß in Gießen nur zwei Minuten Aufenthalt nach Nauheim sei, folglich fast nicht Zeit, um Billet und Koffer zu besorgen. Der Mann war aber außerordentlich freundlich und half mir schon vorher zu einem Gepäckträger, so daß ich dann endlich mehr tot als lebendig zum Entsetzen von Marie . . . in Naumheim ankam. Marie hatte gleich ordentlich zu pflegen, und bin ich denn mit deren Hilfe endlich so weit, daß ich heute mit Lisbeth das erste Bad nehmen konnte, was mich etwas belebt hat! . . . Nächstens mehr, wenn ich kräftiger bin. Lisbeth hat sich vortrefflich auf der Reise benommen! . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999