"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

58. Brief

Jena, den 22. April 1871.




Lieber Ernst! Da Du es so sehnsüchtig zu wünschen scheinst, noch einen Brief von mir zu bekommen, so schreibe ich Dir beim gehörigen Geschrei der Kleinen und beim unbändigen Spiel Walterchens; gerne schriebe ich Dir von allen Dingen Besseres von mir, aber leider kann ich es nicht. Den Brief, den ich Dir nach Triest schickte, hast Du nicht bekommen, darin schrieb ich Dir schon, daß es mir nicht gut ginge. Ach Gott, wann wird es endlich besser werden, rufe ich täglich, und so schleppe ich mich von Tag zu Tag und von Woche zu Woche hin. Viel Not mit den Leuten habe ich auch und dabei so viele Schmerzen, daß mir manchmal alles unerträglich scheint. Dein Kindern geht es gut, die Kleine nimmt sehr langsam zu und ist ein reizbares Kind. Walter ist ein liebenswürdiger, aber auch sehr unartiger Strick, aber unendlich zärtlich mit seinem Schwesterchen. Mein Leben verfließt so eintönig und traurig, so daß ich Dir nichts Neues schreiben kann . . . Du hat eine schöne Reise gemacht, Ernst, und wirst Dich sehr erfrischt haben, Euch Männern gehört die Welt, wir Frauen sind arme Sklavinnen; ich fühle, was ich in diesem Winter durchgemacht habe, er hat mich um Jahre älter und ernster gemacht . . .

Ach, lieber Ernst, komme endlich bald, Du schreibst, Du könntest es kaum erwarten, das ich doch so ganz wahrscheinlich nicht. Du bist nun schon zwei Monate von Deiner armen Frau fort? Daß Du in München einige Tage bleibst, ist sehr gut, grüße nur die liebe Stadt, an die sich die genußreichste Zeit meines Lebens knüpft, auch wie frisch und froh war ich da! . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999