"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

250. Brief

Iseltwald am Brienzer See, 13. September 1909.




Liebste Agnes! Meine letzten Briefe und Karten haben Dir erzählt, daß ich mit Rottenburg und Heinrich 3 sehr schöne und vergnügte Tage in Luzern verlebte (wir beide Haeckel von Rottenburg als "Liebe Gäste" fürstlich logiert und verpflegt! Fast zu luxuriös!). Am 10. fuhr Rottenburg nach Bonn, Heinrich nach Stettin zurück. Ich allein per Bahn nach Brienz, Sonnabend, 11. September, herrliche Bergfahrt, per Zahnradbahn (eine der höchsten in Europa) auf das Brienzer Rothorn. Aussicht fast noch schöner als auf dem Rigi, weil viel näher dem Berner Oberland (Wetterhorn, Jungfrau usw.). Nachmittag per Dampfboot über den Brienzer See nach dem reizenden kleinen Dorf Iseltwald, wo ich mich auf 8 Tage in Ruhe und Pension begeben habe . . . Im kleinen Meyer steht: wunderhübsch gelegene Häusergruppe, ein Schatzkästlein für Maler und Poeten - das ist wahr! Ich hoffe mich hier tüchtig im Studien-Malen zu üben: See, Wald, Fels etc. Meine kleine Pension (Hotel de Lac) ist am Ostende des Ortes gelegen, sehr bescheiden, aber gut (nicht à la Rottenburg!). Pensionspreis 5 Fr. (= 4 Mk.) pro Tag. Dafür lebt man in Jena kaum. Ich bewohne das schöne Zimmer mit Balkon (3. Stock) . . . Die Reise bekommt mir sehr gut. Ich erhole mich allmählich von der Erschütterung meines Nervensystems und Herzens, die mir die gehässigen, 4 Monate fortgesetzten Angriffe meines nichtswürdigen Nachfolgers Plate eingetragen haben, - immer mehr finde ich Frieden in völliger Resignation! Aber mit dem Bergsteigen ist es leider vorbei! Sobald ich eine Viertelstunde steige, bekomme ich solches Herzklopfen, daß ich sitzen muß. Mit 75 Jahren muß man zufrieden sein, wenn es leidlich auf ebener Erde geht! Die Versenkung in die schöne Alpen-Natur tut mir sehr wohl. Die Berge und Pflanzen sind besser und schöner als die Menschen (besonders die lieben akademischen Kollegen)! Ich werde wahrscheinlich Samstag, 18. September, abreisen, zunächst nach Interlaken, dann vielleicht noch einige Tage nach Wengeralp und Grindelwald. Schade, daß Ihr nicht einige Tage hier am See sein könnt - in idyllischer Ruhe! Nachricht von Dir erwarte ich sicher hier. Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen Dein alter treuer Ernst.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999