"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

241. Brief

Marquartstein, 7. Juni 1903.




Liebste Agnes! Wenn in Jena heute der Regen (bei 8 Grad R.) ebenso ununterbrochen vom Himmel säuselt wie hier im gelobten "Oberland", werdet Ihr das Pfingstfest wohl ebenso in der geheizten Stube feiern. Das gewaltige Unwetter vom Freitagmittag hat auch hier, wie in ganz Deutschland, großen Schaden angerichtet . . . Die Regenmassen haben überall schreckliche Verwüstungen verursacht. Im oberen Saaletal sah ich eine Menge blühende Bäume und Telegraphenstangen umgestürzt, Dächer abgedeckt usw. . . .Gestern brachte ich am Vormittag 4 Stunden in der Kunst-Ausstellung im Glaspalast zu, sie enthält dies Jahr viel Schönes, viel Besseres als die Berliner, die ich vor 8 Tagen sah. Nachmittag fuhr ich hierher nach Marquartstein, südlich am Chiemsee vorbei, die letzte Strecke (von Übersee) Klingelbahn (20 Pfennig für 1/2 Stunde Fahrt). Hier erwartete mich Walter an der Station und führte mich (bei strömendem Regen) in 10 Minuten zu dem Bauernhof des Herrn Reiter hinauf, der sehr hübsch in einem großen Obstgarten liegt, am Fuße eines gewaltigen Berges, mit Balkon und weiter Aussicht auf das Kaisergebirge etc. Walter hat das ganze möblierte Häuschen für 4 Monate gemietet. Es ist sehr gemütlich, unten Küche und Eßzimmer, oben 3 Wohnzimmer.

Ich habe den ganzen Tag Korrekturen meiner Festschrift gemacht und werde damit in den nächsten Tagen genug zu tun haben, wenn der Regen nicht aufhört. Freitag fahre ich nach München zurück . . . Montag bin ich wieder in Jena. Unsere lieben Kinder und Enkel, die erst seit 3 Tagen hier hausen und mit ihrer idyllischen Sommerfrische sehr zufrieden sind, fand ich recht munter vor, die beiden Töchterchen höchst fidel. Alle grüßen herzlichst . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999