"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

210. Brief

Garmisch, 30. Mai 1898.




Mein geliebtes Röschen! Aus dem "sanften Lamm" in Garmisch, wo ich soeben angekommen bin, sende ich Dir und den Kindern freundliche Pfingstgrüße, eingedenk der schönen Tage, die wir vor 10 Jahren hier verlebten. Die 10stündige Fahrt vorgestern, von Jena nach München, war sehr angenehm, ich in der II Klasse größtenteils allein, während die III. Klasse überfüllt war. In Walters hübscher Künstlerbude fand ich alles bereit, sehr löbliche Ordnung! . . . Gestern I. Pfingstfeiertag vormittag strömender Regen. Ich genoß 3 Stunden in der schauderhaften Sezessions-Ausstellung: 300 Bilder, von denen ich keins geschenkt haben möchte! Nachmittag in Nymphenburg großes internationales Rad-Wettfahren!! 3 Narren stürzten dabei. Abends im Deutschen Theater: Aly Baba und sein Esel - Venus auf Erden! Das Schönste an Dekoration, was ich je gesehen. Fabelhafte elektrische Lichteffekte und ein fliegendes Ballett aus London: ein Dutzend reizende Mädchen in der Luft schwebend . . . Die 50. Jubiläums-Ausstellung überfüllt.

Heute morgen besserte sich das Wetter. Ich fuhr in 3 Stunden hierher. Frühlingspracht in Wiese und Wald entzückend; reichster Blumenflor. Gestern und vorgestern hat es noch bis tief herab geschneit. Das groteske Wetterstein-Gebirge glänzt im reinsten Schneegewand. In unserm alten guten Lamm bekam ich ein behagliches Zimmer und habe ich eben an "Saurem Hirschbraten und Knödeln" satt gegessen . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999