"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

160. Brief

Potsdam, 14. April 1883.




Mein geliebtes Röschen und duftiges Lebensblümchen! Diese frierenden, flüchtigen Zeilen sollen hauptsächlich bezwecken, ein zärtliches Lebenszeichen von Dir nach Berlin zu erhalten, wo ich Montag oder Dienstag bei Tante Bertha sein werde. Von mir ist bis dato wenig Interessantes zu berichten . . . Auf der frostigen Herreise (wo ich dreimal Kaffee trank, um etwas warm zu werden) war das Interessanteste eine komische Episode in Halle. Als der Schnellzug sich eben in Bewegung setzte, stürzte aus einem gewissen aromatischen Orte eine kugelrunde rote Dame erhaus, laut schreiend, daß sie um jeden Preis mit müsse, ihr kleines Kind säße allein im Zuge! Sie erhob einen solchen Mordsspektakel, daß der Zugführer wirklich halten ließ; ehe sie aber atemlos das Coupé erreichen konnte, stolperte sie, überschlug sich und wurde dann von 4 Beamten in das Coupé geschafft! Große Heiterkeit! . . .

Montag früh fahre ich mit Karl nach Berlin, wo ich für unser Nestchen manches Schöne besorgen werde. Sonnabend nachmittag 5 Uhr bin ich wieder bei meinem süßen Herzensweibchen, das mich hoffentlich recht zärtlich und hingebend empfängt! Grüße die drei lieben Rangen und sage, sie sollen artig sein. Mütterchen traktiert mich mit Karpfen und Putenbraten. Er ist aber nicht von Amalien. Alle finden mich sehr wohl aussehend - die jungen Damen von Potsdam natürlich "reizend"! Mit 1000 Küssen Dein junger Ernst.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999