"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

16. Brief

Sulza, den 30. Juli 1867.




Also, mein liebster, hochverehrter Herr Professor, der kleine Ausflug nach den Sulzaer Solquellen hat Ihnen gefallen, und Sie lieben, sich zuweilen daran zu erinnern? Meine Bescheidenheit hatte dies nicht erwartet, vielmehr fürchtete ich, Klagen über Zeitverschwendung hören zu müssen! - Ich bin sehr gerührt über Ihre Genügsamkeit (?) und bedaure nur, daß Sie nicht schöneres Wetter gehabt, es war doch sehr kalt, besonders die Waldpartie fand ich ganz verfehlt! Hoffentlich hat sie Ihrem zarten Körper nicht geschadet. Was mich anbetrifft, so muß ich leider gestehen, recht ordentliche Gliederschmerzen (diesmal aber im Ernst) davongetragen zu haben, es mag die Hopspartie den Berg hinunter daran schuld sein? - nein, wahrhaftig mein Schatz, ich war gestern ganz grenzenlos miserabel, und bin auch heute noch gar nicht wieder frisch. Dazu ganz abscheuliches Wetter, furchtbar kalt, so daß wir nicht gebadet haben. Ende der Woche kommen wir zurück. Die Verköstigung wird täglich schlechter.

Indessen ich armes, bedauernswürdiges Geschöpf mich auf alle Weise im Entbehren übe, amüsiert sich mein leichtsinniger Herr Bräutigam, kaum in Jena angekommen, schon wieder köstlich bei einem splendigen Mittagessen, läßt sich viel Angenehmes von den Leuten sagen und nimmt alles als ganz selbstverständlich hin; ja er ist ein verwöhntes Menschenkind, ich werde meine rechte Not bekommen! - Gar zu gerne wäre ich dabei gewesen, um diese geliebte Familie H. mal wieder zu sehen, das ich auch eine von vielen Entbehrungen, die mir auferlegt sind. Daß Du sehr liebenswürdig gewesen, kann ich mir lebhaft vorstellen, nur schade, daß Du nicht neben Deiner andern Freundin (wenn auch nicht stillen), Fräulein Bertha, gesessen hast; dies wäre doch einzurichten gewesen, ich kannīs gar nicht begreifen! - Juchhe! Daß ich dieses Diner übersprungen habe, das ich doch das Netteste von allem, überhaupt kann ich Diners nicht leiden! Die Gemütlichkeit des Essens ist vorüber. - Der gute Junge, der kleine Karl, kam wohl gerade noch zur rechten Zeit, um seinen gewiß ausgehungerten Magen zufriedenzustellen und seinem flotten Onkel die Grüße seines verlassenen Liebchens auszurichten? Grüße den leiben, rührenden Jungen herzlich! - Also, mein lieber, lieber Herzens-Ernst, Du sehnst Dich wirklich schon wieder nach mir, diesem langweiligen Geschöpf? Oh, dies freut mich so sehr, denn mir geht es ebenso, so daß ich schon auf der Rückfahrt von Kösen nach Sulza sehr mit den dummen Tränen zu kämpfen hatte und kein Wort mehr hervorbringen konnte, wie Du vielleicht bemerktest! Ach, so schwer wurde mir das Herz, ach Scheiden und Meiden tut weh, sehr weh! - Unsere Wirtsleute, die Angst um uns bekommen haben, holten uns am Bahnhof ab und bewunderten Deinen Entschluß, in der Nacht zu Fuß nach Jena zu gehen. Was ich an Dir bewundere, mein Schatz, ist, daß Du so gleich einschlafen kannst, es hat mich sehr amüsiert: zuerst gleich deshalb beinahe an Apolda vorübergesaust, dann wieder bis 8 Uhr morgens geschlafen, dann wieder gleich nach diesem aufregenden Diner geruht, dies ist ganz kostbar; ich gönne es Dir von Herzen, freue mich sehr darüber, könnte es aber, glaube ich, nicht. - Heute ist ein ganz trübseliger Tag, so daß ich nicht mal in den Wald hinauf kann, um die lieben Stellen zu besuchen, wo wir so glücklich waren. Oh, mein Herz, ich bin so durch Deine Liebe und möchte Dir nur viel mehr sein, als mein schwacher Körper es gestattet. Ach ich liebe Dich so ganz, so sehr! - Aber Ernst, Du hättest doch eigentlich ein recht gehöriges, großes, tüchtiges Frauenzimmer als Frau Professor Haeckel haben müssen, die ordentlich große Schritte machen kann und ihren Mann nicht zwingt, kleine, feine Schritte zu machen, wie der arge, kleine Strick hier, der eigentlich sehr beleidigt war, daß seine Leistungen, die am Sonntag wirklich gar nicht gering anzuschlagen waren, von dem wilden, bösen, abscheulichen Jäger im grauen Hut mit grünem Bande für nichts gerechnet wurden. Nein, Tochter und Mutter sind schwer gekränkt. Ade, mein gar zu lieber, einziger Schatz! Ja, warum, warum nur habge ich Dich so sehr, so unendlich lieb?

Meiner Göttin
Welcher Unsterblichen
Soll der höchste Preis sein?
Mit niemand streitī ich,
Aber ich gebī ihn
Der ewig beweglichen
Immer neuen,
Seltsamen Agnes,
Der Hofrätin Huschke
Jüngstem Töchterlein!
Denn ihr hat sie alle Launen,
Die sie sonst allein sich vorbehält,
Zugestanden und hat ihre Freude an der Törin.
Lasset und alle die Frau Hofrätin preisen,
Die alte, hohe, die solche eine schöne,
Unverwelkliche Gattin
Dem sterblichen Professor gesellen möge!
Denn mir allein
Hat sie sie verbunden
Mit Himmelsband
Und ihr geboten,
In Freudī und Elend
Als treue Gattin
Nicht zu entweichen!
Mir allein hat sie
Ihre gewandteste,
Verzärtelte Tochter -
Freut Euch - gegönnt!
Begegnet ihr lieblich,
Wie einer Geliebten,
Laßt ihr die Würde
Der Frauen im Haus!
Und daß die alte
Schwiegermutter (Weisheit)
Das zarte Seelchen
Ja nicht beleidīge!
Doch kennī ich ihre Schwester,
Die ältere, gesetztere,
Meine "stille Freundin".
O, daß die erst
Mit dem Lichte am Abend
Sich von uns wende,
Die edle Treiberin, Trösterin, Clara!




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