"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

15. Brief

Jena, 29. Juli 1867.




Schon heute morgen wollte ich Dir einen Gruß senden, liebste Agnes, und Dir sagen, welche holde, freundliche Bilder Du mir von den beiden glücklichen Tagen in Sulza hinterlassen hast. Es war aber ganz unmöglich, heut´ morgen zum Schreiben zu kommen. Ich schlief wie ein Bär, todmüde bis 8 Uhr. Dann kam der Pedell mit Senats-Akten, untern denen auch der Trau-Erlaubnisschein eines gewissen Professors Haeckel figurierte, den ich natürlich mit ganz besonderer Würde unterschrieb! Dann überraschte mich ein Besuch aus Berlin, ein zoologischer Universitätsfreund Dr. Zenker, den ich seit Jahren nicht gesehen. Ich mußte ihm mein Museum zeigen, und so wurde es 11 Uhr, wo ich mein Kolleg (in nicht allzu großer Sammlung) lesen mußte. Mittags hatten wir Gäste, von denen Du gleich hören sollst. Und so finde ich denn erst jetzt, um 5 Uhr, ein ruhiges Stündchen, mein liebster, bester Schatz, um Dir zu sagen, wie unendlich, wie maßlos (leider gar nicht maßholder oder maßhalter) ich Dich liebe - was Dir gewiß recht neu und unglaublich vorkommt? Meine nächtliche Wanderung ist mir, wie die ganze Tour nach Sulza, vortrefflich bekommen. Nachdem ich das letzte Addio dem süßen Liebchen, meinem reizenden Tee-Röschen zugerufen, wurde mir eigentlich erst recht sehnsüchtig zumute . . .

Dann aber wurde ich bald recht müde und hätte beinahe Station Apolda verschlafen. Um mich munter und wanderlustig zu machen (ich wäre lieber zu Bett gegangen!), hielt ich meinen Struwelkopf unter einen Brunnen und trank mir Kühlung zur nächtlichen Wanderschaft. Es war schöner, klarer Sternenhimmel, und besonders zwei in der Richtung nach Süden stehende Sterne funkelten prächtig; ich glaubte darin die holden, liebeleuchtenden Augensterne meines süßen Mädchens zu erblicken. So hatte ich die beste Gesellschaft! Keiner Menschenseele bin ich auf der ganzen Tour begegnet. In den Dörfern war es wie auf den Feldern totenstill, und nicht einmal ein einziges Lichtchen schimmerte aus einem Bauernhause hervor. Ich lief gehörig zu - ich fürchtete fast, es verlernt zu haben. Um 1/4 11 Uhr hatte ich den Bahnhof in Apolda verlassen und um 1/2 1 Uhr stand ich vor meiner Tür in der Neugasse. Da ich wegen der Dunkelheit immer auf der Chaussee bleiben mußte, war es gut, daß der kleine Karl nicht mit war; ich stürme gehörig!

Der heutige Mittag hätte Dir vermutlich nicht besondere Freude gemacht, liebstes Röschen! Doch hätte ich gewiß, wärest Du hier gewesen, Gelegenheit gehabt, Deine Selbstbeherrschung und Dein vernünftiges Betragen zu bewundern! Da wir nämlich wiederholt schon eine Einladung zu Hildebrands ausgeschlagen hatten, mußten wir sie notwendig einmal wieder bitten, und diese Freude hatte mir denn Mama zu heute mittag gemacht. Da Dich gewiß vor allem die Verteilung der Plätze interessiert, schicke ich Dir beifolgend ein Tableau davon mit. Außer 4 Gliedern der Familie H. waren die beiden russischen Freunde derselben und der Dr. Zenker aus Berlin anwesend. Wie Du siehst, hatte ich leider nicht die Ehre, neben Deiner speziellen Freundin Bertha H. zu sitzen, und mußte mit Emmy vorlieb nehmen (die sich völlig schweigsam verhielt, merkwürdig!). Dagegen unterhielt ich mich mit meiner Nachbarin zur Rechten, meiner "stillen Freundin", recht gut (- von wem wohl??). Ich war herzlich froh, als um 4 Uhr das steife Diner (wobei übrigens sämtliche H.´s sehr nett und offenbar voll der besten Intentionen waren) zu Ende war, und ich mich sehr ermüdet ein halb Stündchen schlafen legen konnte. Die Unterhaltung drehte sich wenig um Sulza etc., desto mehr um norddeutschen Reichstag, Jenas Garnison usw.

Nun laß Dir aber nochmals sagen, mein süßes, liebstes Herz, wie froh und glücklich Du mich wieder durch Deine volle, reiche Liebe gemacht hast! Es waren doch zwei allerliebste Tage, gelt, mein Schätzchen? - und am Ende verzeihst Du gar, daß ich Sonnabend, statt Sonntag, gekommen bin und daß ich Dir einen solchen Schrecken eingeflößt habe! Du wirst Deinen wilden Jäger schon zähmen, habe nur keine Sorge! Denke nur, wie nett er Dir immer unter den grünen Buchen- und Eichen-Ästen, durch die der blaue Himmel guckt, ein weiches Lager zu bereiten weiß, und wie er dann demütig seine stolze Herrin durch das nasse Gras und Gebüsch trägt! Ich fürchte fast, Du sitzt schon so tief im Herzen des hochwürdigen Professors, daß Du gar nicht mehr herauskannst, Du kleines arges Strickchen; wenigstens habe ich schon jetzt wieder so arge Sehnsucht, als ob ich Dich seit Wochen nicht gesehen. Komme nur bald, recht bald wieder her, liebstes Herz! Dann sollst Du abends neben der "guten Verköstigung" auch noch etwas "Anderweitiges" haben! . . . Grüße mir Deine liebe Mama recht sehr. Hoffentlich ist ihr die Rudelsburg gut bekommen. Clara war ganz erstaunt darüber. Herzlich grüße mir auch unsern lieben Wald und das idyllische grüne Tal. Dein treuester Ernst.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999