"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

10. Brief

Jena, 20. Juli 1867.




Eigentlich wollte ich Dir erst in 3 Tagen wieder schreiben, mein liebstes bestes Herz! Daß ich aber schen wieder diesen tugendhaften Vorsatz breche, dafür gibt es viele Gründe: I. ist morgen Sonntag, und da muß doch mein süßes Liebchen einen frischen Gruß von mir haben. II. ist heute Sonnabend; heute vor 5 Wochen um 5 Uhr abends gab ich Dir und empfing von Dir den ersten Kuß, mein liebstes Herz! Ich war soeben (um 6 Uhr) auf dem bewußten berühmten Fleckchen in der lieben Gartenstube, das mich aber sehr traurig und einsam ansah; es fehlte eben doch das Beste und Notwendigste. Clara traf ich leider nicht im Haus. III. habe ich heute nach langer (??) Überlegung und schweren Kämpfen (??) den bitteren Entschluß gefaßt, meinen Verlobungskontrakt auf 6 (sage: fünf) Wochen zu verlängern; sollte inzwischen der entsetzliche Hochzeitsfall eintreten, so würde ich sogar meine teure Freiheit - das höchste Gut - für immer verloren haben! IV. Endlich, liebste beste Agnes, muß ich Dir für Deine beiden lieben, herzigen Briefe danken, durch die Du mich heute sehr, sehr erfreut hast. Du kannst Dir nicht denken, meine süße, beste Braut, wie oft ich Deine lieben Briefe lese und wie sehr ich mich an Deinem lieben warmen Herzen und dan Deinem einfachen, natürlichen Wesen erfreue, die aus Deinen Briefen so innig und wahr zu mir sprechen. Ach, liebstes Herz, wer so unendlich glücklich war, wie ich vor 4 und 5 Jahren, und wer dann dieses herrliche Glück so plötzlich, so grausam verlor, wer dann allein und einsam im bittersten Schmerze 3 Jahre vertrauerte (die mir jetzt wie 30 erscheinen) - nur der kann in dem neu erblühenden Glück, in dem Wiederbesitze einer geliebten treuen weiblichen Seele sich so sehr, so unendlich glücklich fühlen, wie ich es jetzt bin. Glaube mir, mein bestes Herz, Du wirst mich wirklich ganz glücklich machen, wie ich es ja jetzt eigentlich schon bin. Fürchte Dich nicht, liebstes Herz, daß ich zwischen Dir und meiner unvergeßlichen Anna Vergleiche anstellen, daß ich von Dir alles das verlangen werde, was jene mir war. Das würde von mir ebenso unklug und töricht wie ungerecht und fruchtlos sein. Es gibt ein neues Leben, liebste Agnes, was ich mit Dir beginne. Das herrliche, hohe Glück, was ich mit Anna erlebte, war auch erst allmählich und langsam, und unter vielen Mühen und Kämpfen erwachsen; viel, viel haben wir beide uns gegenseitig erzogen und veredelt! Und so bin ich auch von Dir gewiß, liebste, teuerste Seele, daß wir immer, immer mehr uns verstehen, achten und lieben lernen werden. Wennich mich nicht gänzlich täusche, sind in uns beiden die ersten Grundbedingungen zu einer ungewöhnlich glücklichen Ehe vorhanden: Wir sind beide einfache, ungekünstelte und von der Kultur unverdorbene Naturmenschen, wir sind beide aufrichtig und wahr gegen einander, trau und rückhaltlos! Wir lieben uns beide aus reinsten Motiven, aus bloßer gegenseitiger Neigung, so warm, so innig, so ausschließlich, daß es ein kurioses Wunder wäre, wenn wir nicht zusammen die glücklichsten Eheleute werden sollten! Also frischen Mut, liebster Schatz, und laß das dumme Volk über uns beide und unsere Verbindung reden, was es will! Wir wissen es doch besser, was wir an einander haben! Wie gern, wie gern flög´ ich morgen am lieben Sonntag zu Dir hinüber, mein liebstes Herz, und sagte Dir, wie unbegrenzt, wie ganz ich Dich liebe! Da es aber für Dich und Deine Kur jedenfalls besser ist, nicht von dem ungestümen, wilden Professor geherzt und geküßt zu werden, so verspare ich mir diese höchste Lust auf über 8 Tage. Um mich formell zu trösten und um mich zu hindern, morgen früh doch am Ende heimlich durchzubrennen, habe ich mir auf morgen mittag 4 Studenten eingeladen. Das wird eine heitere Unterhaltung werden! Ich bin jetzt ohnehin schon immer so zerstreut, daß ich mich im Kolleg ordentlich zusammennehmen muß! Die Gedanken sind mehr in Sulza als in Jena, und die Arbeit, die so schleunig nach Deiner Abreise angegriffen werden sollte und die vor der Hochzeit vollendet werden muß, ist fast noch auf demselben Fleck wie vor 8 Tagen! Ich bin aber so leichtsinnig, daß ich selbstr über meine bodenlose Faulheit juble!! Der Grund ist gar so reizend! - Von Herzen wünsche ich Dir nun baldigst besseres Wetter, liebster Schatz .&nbps;. . Um so reizender wird der schöne Herbst werden. Kleide Dich nur recht warm und sei vorsichtig. Es grüßt und küßt Dich innigst tausendmal Dein treuer, glücklicher Ernst.

An Agnes!

Nach vieler schwerer Arbeit,
Nach manchem langen Jahr
Hatt´ ich mir heimgeführet
Ein herrlich Weib, gar wunderbar!
Wir liebten uns so treulich,
Wir waren uns so gut,
Wir scherzten recht von Herzen
In frohstem Jugendübermut.
Wir leben gar zu glücklich
Im kleinen stillen Haus,
Wir schauten gar zu munter
Ins grüne Paradies hinaus.
Wir wünschten gar nichts weiter,
Als daß es stets so blieb,
Das Glück, des uns geworden,
Das höchste Glück, so süß und lieb.
Da fuhr aus heiterm Himmel
Herab ein Blitzesschlag,
Der alles Glück zusammen
Mit einem Male grausam brach.
Vernichtet was das Beste,
Mein süßes Lieb war tot!
Versenket ward ich selber
In tiefste, schwerste Todesnot!
Der kaum erreicht den Hafen
Nach mancher wilden Fahrt,
Er mußte Schiffbruch leiden,
Nachdem er kaum sein Glück gewahrt!
Und wieder in die Ferne
Mußt´ rastlos er hinaus
Und mußt´ aufs neu bestehen
Gar manchen schweren Schicksalsstrauß.
Mußt´ wieder weiter wandern
Weit über Meer und Land,
Sah viele Städt´ und Menschen
Und fand doch Ruh´ an keinem Strand!
Der Sinn lag mir in Fesseln,
Ein Eisenband ums Herz!
Sonst wär´es auch gesprungen
Vor all zu herbem, tiefem Schmerz.
Wer kann die Fesseln lösen?
Wer sprengt das Eisenband?
Wer heilt das kranke Herz mir
Mit sanfter, weicher Liebeshand?
Das kannst Du, holde Agnes,
Die jüngst ich mir erkiest,
Du hast das Band zersprengt schon,
Das Herz geheilt in kurzer Frist.
Was mich beglückt´ an Anna,
Das gibst Du mir aufs neu:
Ein Herz voll warmer Liebe
Ein´ Sinn voll Wahrheit, innig treu!
Du bestes, liebstes Mädchen,
Wie dank ich Dir dafür?
Mein ganzes Sein und Wesen,
Mein Herz schenk ich aufs neue Dir!
Und wenn Dir das genüget,
So glaube mir, fürwahr
Es wird auch Dir erblühen
Ein herrlich Glück, gar wunderbar!
So sei mir denn gesegnet,
Du holde, süße Maid,
Ich werde treu Dich lieben
In alle, alle Ewigkeit.
Jena, 21. Juli 1867 Ernst Haeckel.




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