"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

11. Brief

Sulza, den 22. Juli 1867.




Mein lieber, einziger Schatz, wie reizend Du zu überraschen verstehst mit Deinen lieben lieben Versen, und wie nett Du es einzurichten weißt, daß sie allemal da kommen, wo sich Dein armes Bräutchen wieder einmal recht gründlich nach Dir sehnt! - So gestern morgen, wo wir den lieben Ott von der Bahn abholten, und wo ich doch eigentlich hätte ganz zufrieden mit meiner brüderlichen Liebe sein können, sehnte sich das unruhige Ding von Herz, was ich jetzt bei mir führe, so gewaltig nach einem andern sehr lieben Menschen, daß ich meine rechte Not mit ihm hatte und seelenvergnügt war, als ich Deinen Brief bekam, mein bester Ernst, der mich über so vieles beruhigt hat! - Oh, wie elend Du doch Jahre lang gewesen sein mußt, mein armes, armes Herz, das wird mir immer mehr klar, wie heute aus Deinen Versen, die mir tief durch die Seele gingen! - Wie kann ich Deinen langen Schmerz jetzt erst begreifen, jetzt, wo ich weiß, was lieben heißt! und wieder geliebt zu werden, oh, es ist etwas wunderbar Schönes, und wer es nie gekannt, der hat nur halb gelebt! - Wie wünsche ich solch ein Glück dem lieben Ott, der so ganz dazu geschaffen ist und ein so tiefes, treues Herz besitzt, was mir gestern wieder recht fühlbar wurde, so rührend gut und lieb war er gegen sein "verzogenes" jüngstes Schwesterlein! - Leider konnte er nur von früh 11 Uhr bis nachmittag 4 Uhr bei uns bleiben. Wir haben aber doch die freundliche Gegend vielfach durchstreift, und merkwürdigerweise, Ernst, ich kann ohne Deine Begleitung viel besser laufen und steigen?! Das ist doch sehr schmeichelhaft für Dich, findest Du nicht? - oder macht es der bedächtigere, besonnene Schritt oder auch, und das glaube ich besonders, die ruhige, nicht aufregende Unterhaltung? - Wie wird wohl der nächste Sonntag werden, wie meinen Sie wohl? Hübsch, Herr Professor? Darf ich Sie am Bahnhof abholen um 11 Uhr? Ja? Ja? - Heute haben wir zum ersten Male recht heißes, sogar drückendes Wetter, so daß wir ganz ermattet vom Spaziergang nach Hause kamen. Unterwegs gegegneten wir Deinem hoffnungsvollen Schüler M., der höchst erstaunt und sehr ernst grüßte, er hat wahrscheinlich schon Respekt vor mir, ich sehe auch danach aus! - Hier im Hause, wo wir wohnen, ist das männliche Personal sehr vertreten. Mit uns in einer Etage wohnt ein Berliner Doktor mit drei großen Söhnen und Parterre eine zankende Jüdin mit fünf kleinen Söhnen, welche sie täglich mit dem Rouleaustab durchklopft, der Spektakel ist lieblich! Die drei großen Söhne oben betragen sich übrigens sehr manierlich und grüßen sehr zuvorkommend! - Früh halb acht Uhr baden wir, dann trinken wir Kaffee, kleiden uns an und gehen spazieren; gegen mittag kommen wir wieder, lassen uns das Essen aus dem Kurhaus kommen und gehen nachmittags wieder spazieren: eine interessante Zeiteinteilung! Gestern mittag habe ich viel an Dich gedacht mit Deinen Studenten, wie Du sehr liebenswürdig den Wirt machtest und sie mit Johannesbeerwein traktiertest! Dann bist Du wohl noch mit ihnen spazieren gegangen? Deine Zerstreutheit macht mir sehr viel Spaß und noch mehr Deine Faulheit! Das ist ganz reizend, bleib nur immer so, mein Schatz, Du darfst nie anders werden! - Eigentlich müßtī ich nun den Brief schließen, da Mutter zum Ausgehen treibt, aber das muß ich Dir noch rasch mal sagen, daß ich Dich schrecklich lieb habe, den ganzen Menschen, mit seinem lieben blonden Haar, seinem schönen frischen Gesicht, seinen wilden stürmischen Manieren usw. usw. - Meine Kleider befinden sich jetzt in einem merkwürdig ordentlichen Zustand, so wie die ganze Person, zur wahren Freude meiner lieben Mutter, auch die blauen Flecke an den Armen sind verschwunden. Ade, mein liebstes Herz, ich könnte Dir noch viel sagen, aber der Brief kommt sonst nicht morgen früh an!





Brief 10..........................................................................................Brief 12



zurück zum Inhaltsverzeichnis




Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library
erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999