V o r w o r t.

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          Die Veranlassung und Grundlage zu der vorliegenden Monographie der Radiolarien oder radiären Rhizopoden gab mir vor 8 Jahren ein sechsmonatlicher Winter-Aufenthalt in Messina, welcher dem Studium der sicilischen Meeres-Fauna gewidmet war. Vom October 1859 bis zum April 1860 war mir in reichem Maasse die Anschauung der vielgestaltigen Organismen vergönnt, welche die Meerenge von Messina bevölkern, und die schon seit einer Reihe von Jahren für eine grosse Anzahl von Naturforschern, fast ausschliesslich Deutschen, eine unerschöpfliche Quelle edelsten Genusses und fruchtbarsten Studiums gewesen sind. So gross ist der ausserordentliche Reichthum dieses beschränkten Meerestheiles an merkwürdigen und seltenen pelagischen Thieren, dass die Fülle der verschiedenartigen Gestalten die Thätigkeit des Zoologen vielfach zu theilen und zu zersplittern droht. Obwohl ich durch einen mehrmonatlichen Aufenthalt in Nizza und Neapel schon ziemlich mit der pelagischen Fauna des Mittelmeeres vertraut war, wurde ich doch in der ersten Zeit meines Aufenthalts in Messina in hohem Grade von der Masse der neuen interessanten Thier-Formen überrascht und die Auswahl eines speciellen Untersuchungs-Objectes schien mir schwer zu werden. Glücklicherweise fand sich aber bald ein Gegenstand, der mein Interesse fast ausschliesslich für die ganze halbjährige Dauer meiner dortigen Anwesenheit an sich fesselte.

          Schon bei meinen ersten pelagischen Excursionen im Hafen von Messina fielen mir grosse Schwärme von Meerqualstern oder zusammengesetzten Radiolarien aus der schalenlosen Gattung Sphaerozoum und der beschalten Collosphaera auf, die ich bereits im Herbst 1856 in Nizza und im Sommer 1859 in Neapel kennen gelernt hatte, ohne jedoch näher auf ihre Untersuchung einzugehen. Gleichzeitig fing ich mehrere von den grössten solitären Radiolarien aus der nackten Gattung Thalassicolla und der mit Spicula versehenen Physematium, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Die merkwürdige Organisation dieser einfachen Thierchen reizte in hohem Grade zu näherer Untersuchung, um so mehr, als schon die ersten pelagischen Fischzüge mehrere interessante neue Species lieferten, welche ich in der Radiolarien-Abhandlung Johannes Müllers nicht beschrieben fand. Ganz ausschliesslich wurde aber meine Neigung bald an diesen Gegenstand gefesselt, als ich die von J. Müller in Helgoland erlernte Methode der pelagischen Fischerei wieder zu üben begann und schon in den ersten Proben des pelagischen Mulders eine Fülle von bis dahin unbekannten, durch höchst zierliche Kieselpanzer ausgezeichneten Radiolarien entdeckte. So glücklich war das Ergebniss dieser pelagischen Fischzüge, dass die Anzahl der bis dahin lebend beobachteten Radiolarien bald um mehr als das Doppelte gewachsen war. Zunächst war es das zoologisch-systematische Interesse, das durch die wunderbare Mannichfaltigkeit der neuen, zum grössten Theil ausserordentlich schönen Gestalten lebhaft angeregt wurde, um so mehr, als darunter auch viele neue Typen sich vorfanden. Doch übten neben diesen morphologischen eine nicht minder starke Anziehungskraft auch die physiologischen Eigenthümlichkeiten, welche der Körperbau und die Lebenserscheinungen dieser äusserst einfachen, auf der Grenze des animalen und vegetabilen Lebens stehenden Organismen darboten.

          Als ein grosses Glück für den weiteren Fortschritt meiner Radiolarien-Studien muss ich es betrachten, dass ich Johannes Müllers Abhandlung „über die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres” [Aus den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1858, p. 1 – 62, Taf. I – XI. Diese Arbeit ist in der vorliegenden Monographie überall als „J. Müller, Abhandl.” citirt.] in Messina zur Hand hatte, das erste und bis jetzt einzige Werk, in welchem die Naturgeschichte dieser Thiergruppe im Zusammenhange dargestellt, und in welchem ihre Organisations- und Verwandtschafts-Verhältnisse naturgemäss erläutert worden waren. Dieser vorzüglichen Abhandlung verdanke ich es zum grosses Theil, dass ich das reiche Material, welches mir der Hafen von Messina lieferte, von Anfang an in entsprechender Weise verwerthen konnte. Ich betrachte sie als das sichere Fundament, auf dem es mir möglich war, den umfangreichen Bau meiner Monographie auszuführen. Der erste Abschnitt der letzteren, die geschichtliche Einleitung, zeigt, wie weit ich das Feld bei Beginn meiner Untersuchungen bereits vorbereitet fand, und zwar vorwiegend durch Müllers Verdienst, da die vereinzelten Angaben der wenigen früheren Radiolarien-Beobachter gegen jene umfassende Arbeit ganz zurücktreten. Müller war der erste, der die nahe Verwandtschaft der bis dahin weit von einander getrennten Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren erkannte, ihre Rhizopoden-Natur feststellte und namentlich auch ihre vielfachen Homologien mit den nächst verwandten Polythalamien besonders hervorhob. Die Betrachtungen über die Grenzen und Verwandtschaften der Radiolarien und über die Systematik der Rhizopoden im Allgemeinen, welche den vierten Abschnitt meines Buches bilden, beweisen, wie richtig Müller, selbst ohne Kenntniss der wesentlichen und durchgreifenden Differenzial-Charaktere, die Verwandtschafts-Verhältnisse dieser verschiedenen Glieder der Rhizopodenklasse beurtheilt hatte.

          Von nicht geringerer Bedeutung ist Müllers Darstellung von der Organisation und den Lebenserscheinungen, obwohl er auf diesem bis dahin noch fast unbebauten Felde nur die ersten Grundlinien des Anbaues mit sicherer Hand ziehen konnte. Wie viel er in dieser Beziehung seinen Nachfolgern noch zu thun übrig liess, wird der zweite Abschnitt meiner Monographie, eine möglichst sorgfältige anatomisch-physiologische Schilderung des Organismus der Radiolarien, erkennen lassen. Ich habe in dieser Darstellung die Structur-Verhältnisse von den Lebenserscheinungen getrennt, weniger weil der vorgeschrittene Umfang unserer Erkenntniss der letzteren schon eine gesonderte Behandlung erforderte, als weil es mir wichtig erschien, eine Reihe hier einschlagender, noch unerledigter Fragen besonders hervorzuheben und zugleich einige wichtige Betrachtungen allgemeinerer Natur an dieselben anzuknüpfen. Was die Darstellung des Körperbaues betrifft, in dessen Analyse ich möglichst weit vorzudringen suchte, so muss ich hier hervorheben, dass die beiden Abschnitte derselben, die von den Hartgebilden und von den Weichtheilen handeln, in mehrfacher Beziehung sehr ungleich ausfallen mussten, da äussere Verhältnisse das Studium der ersteren ungleich mehr, als das der letzteren begünstigten. Von den kieseligen Skeleten hatte ich eine reiche Sammlung aus Messina mit zurückgebracht, und mehrere mit Liqueur conservativ gefüllte Gläser voll pelagischen Mulders lieferten mir bei der nachträglichen Untersuchung in der Heimath ein noch weit reicheres Material, so dass ich die meisten Kieselskelete in voller Musse nach allen Beziehungen hin aufs Genaueste untersuchen konnte [Bei der Untersuchung der Kieselskelete verdankte ich die grössten Erfolge einer eben so einfachen, als vortheilhaften Methode, die Weichtheile des Körpers auf nassem Wege zu zerstören und so die Kieselskelete rein darzustellen, was Müller immer nur auf trocknem Wege, durch Glühen bewerkstelligt hatte. Beim Glühen schmilzt aber sehr leicht das mikroskopisch kleine Object in das zur Unterlage dienende Glasplättchen ein, oder es geht durch die beim Gebrauche der Löthrohrflamme unvermeidlichen Manipulationen verloren (ein Umstand, der mir den Verlust vieler werthvoller Objecte bereitete) oder es lassen sich auch die Reste der anhaftenden Kohle oft schwer von dem Kieselskelet entfernen. Ungleich sicherer und bequemer, schneller und vollständiger lassen sich die Weichtheile durch ein Paar Tropfen concentrirte Schwefelsäure, die nöthigenfalls etwas erhitzt wird, zerstören. Die dabei stattfindende Gasentwicklung benutzte ich zum Nachweis der feinsten Canäle in manchen Kieseltheilen. Mehr noch, als durch diese Gasinjection, ist aber jene Flüssigkeit zugleich dadurch von ausserordentlichem Nutzen, dass ihr Lichtbrechungsvermögen in höchst günstiger Weise von dem der Kieselsäure differirt. Ein einziger Tropfen concentrirter Schwefelsäure enthüllte mir oft in einem Augenblicke aufs Ueberraschendste bis in das feinste Detail hinein den labyrinthischen Bau der complicirtesten Kieselgebäude, die vorher, getrocknet oder in Wasser oder in Canadabalsam betrachtet, als undurchsichtige Schwammklumpen erschienen waren und jeder mikroskopischen Analyse getrotzt hatten. Diese Erfahrung leitete mich dann dazu, auch andere, verschieden lichtbrechende Medien, insbesondere Glycerin, Terpentinöl Alkohol, verschiedene Firnisse etc. bei Untersuchung der zusammengesetzten Kieselskelete anzuwenden, und dieser Methode verdanke ich es hauptsächlich, dass ich die bisherige Kenntniss der letzteren, namentlich der in einander geschachtelten Gitterkugeln der Arachnosphaeriden und Actinommatiden, der künstlichen Kammerbauten der Disciden und der höchst verwickelten Gehäuse der Litheliden, nicht unwesentlich erweitern konnte.]. Während dadurch die Analyse der Skelet-Structur in sehr gründlicher Weise möglich wurde, war ich dagegen bei der Untersuchung des Weichkörpers nicht entfernt in gleichem Grade begünstigt. Alle hierauf bezüglichen Beobachtungen mussten in Messina selbst angestellt werden und alle Versuche, dieselben an den in verschiedenen Conservations-Flüssigkeiten (Liqueur conservativ, Glycerin, Weingeist) mitgebrachten Thierkörpern weiter fortzusetzen und zu ergänzen, schlugen leider völlig fehl. Schon die genaue Untersuchung lebender Radiolarien ist mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, da einestheils der Weichkörper der meisten nicht durchsichtig genug ist, um in toto unter dem Mikroskop beobachtet zu werden, andererseits nicht gross genug, um einer anatomischen Methode zugänglich zu sein. Dazu kommt die grosse Schwierigkeit die zarten mikroskopischen Körperchen aus dem dichten Gemenge des pelagischen Mulders zu isoliren, und die grosse Empfindlichkeit, die sie gegen Eingriffe jeder Art äussern. Trotz dieser Hindernisse, die nicht die wünschenswerthe Vollständigkeit in der Erkenntniss des feineren Baues gestatten, glaube ich doch mit der scharfen durchgreifenden Trennung der Centralkapsel von dem extracapsularen Weichkörper und mit der sorgfältigen Analyse dieser beiden gleich wichtigen selbstständigen Körpertheile einen Schritt vorwärts gethan zu haben; zumal Müllers Untersuchungen grade in diesem Punkte weniger erfolgreich gewesen waren. Für nicht minder wichtig, als die Sonderung dieser beiden weichen Körpertheile, halte ich die Berücksichtigung ihres Verhältnisses zum Skelet. Theils auf dieses Verhältniss, theils auf wichtige, bisher unerkannte Structur-Verschiedenheiten in der Anlage und Ausführung des Skelets selbst ist der fünfte Abschnitt gegründet, welcher einen Versuch eines natürlichen Systems der Radiolarien enthält. Auf diesem Felde durfte ich mich um so freier bewegen, als hier von Müller nur die ersten Grundzüge der grösseren Abtheilungen aufgestellt, die Constituirung der Familien aber noch nicht versucht war; auch erwies sich das von Ehrenberg gegebene System nicht haltbar, und die grosse Anzahl der neuen typischen Formen liess eine durchaus veränderte Gruppirung der einzelnen Glieder nothwendig erscheinen.

          Die Radiolarien-Arbeiten Ehrenbergs, welche ich erst nach meiner Rückkehr von Messina, im Mai 1860, kennen lernte, sind auf Untersuchungen der Kieselskelete von den mit Gitterschalen versehenen Radiolarien (den von ihm so genannten Polycystinen) beschränkt. Die Eintheilung in Familien, welche er auf die ihm bekannt gewordenen Arten gründete, war ohne Kenntniss des Weichkörpers und grossentheils nur mit sehr unvollkommener Erkenntniss des Skeletbaues entworfen und konnte desshalb hier nicht beibehalten werden. Auch die von Ehrenberg aufgestellten Gattungen erwiesen sich nur theilweis als brauchbar und die Feststellung des Gattungscharakters musste fast überall nach anderen Principien versucht werden. Endlich waren auch einige wichtige und umfangreiche Gruppen in dem von ihm benutzten Material überhaupt nicht vertreten. Dieses Material bestand zum kleineren Theil aus gegitterten Kieselschalen, die gelegentlich verschiedener Tiefen-Messungen mit der Sonde vom Meeresgrund gehoben wurden. Ehrenberg gründete darauf die Ansicht, dass die Bewohner der Schalen in jenen bedeutenden Tiefgründen, die bis zu fast 20000 Fuss hinabreichen, wirklich lebend existirten und diese sonst für völlig leblos gehaltenen Abgründe mit einer gestaltenreichen organischen Bevölkerung belebten. Dass diese Hypothese bis jetzt noch durch Nichts bewiesen sei, habe ich im dritten Abschnitt, welcher eine Uebersicht der Verbreitung der Radiolarien giebt, gezeigt. Den bei weitem grösseren Theil seines Radiolarien-Materials lieferten Ehrenberg verschiedene Gesteine, vor allen die Insel Barbados auf den Antillen und die Nikobaren-Inseln in Hinterindien, welche in ihrer Hauptmasse aus den fossilen Kieselpanzern dieser mikroskopischen Thierchen zusammengesetzt sind. Von diesen ist aber nur erst ein sehr geringer Theil von Ehrenberg durch kurze Diagnosen oder Abbildungen bekannt gemacht worden. Zu meinem grossen Bedauern war es mir nicht möglich, diese wesentliche Lücke zu ergänzen, da sich das ganze fossile Radiolarien-Material, das ich benutzen konnte, auf ein Stückchen Kalkmergel von Caltanisetta in Sicilien beschränkte, das ich von meinem verehrten Freunde, Herrn Professor Max Schultze in Bonn erhielt, und auf ein mikroskopisches Präparat des Polycystinen-Mergels von Barbados, das ich der Güte des Herrn Dr. Justus Roth in Berlin verdanke. Ersteres war verhältnissmässig zu arm an wohlerhaltenen Schalen verschiedener Species, letzteres zu klein, um eine Untersuchung der einzelnen Schalen zu erlauben. Ich musste daher vorläufig auf eine eingehende Untersuchung der fossilen Radiolarien in diesem Werke verzichten [Da ich die fossilen Radiolarien demnächst in gleicher Weise wie die lebenden zu bearbeiten beabsichtige, so richte ich an alle Fachgenossen, die sich im Besitze radiolarienhaltiger Gesteinsproben befinden, die Bitte mich durch Zusendung solchen Materials gütigst zu unterstützen. Besonders würden Stücke der reinen Radiolarien-Felsmassen von Barbados und den Nikobaren, wenn auch in noch so geringer Quantität, höchst erwünscht sein.].

          Da die kurzen Diagnosen der Gattungen und Arten, welche Ehrenberg von einer Anzahl fossiler und in Grundproben gefundener Radiolarien-Skelete gegeben hat, an verschiedenen Stellen in mehreren Jahrgängen der Monatsberichte und Abhandlungen der Berliner Akademie zerstreut sind, so habe ich dieselben sämmtlich an den betreffenden Stellen im sechsten Abschnitte, welcher die systematische Beschreibung der Familien, Gattungen und Arten der Radiolarien enthält, eingetragen und kritisch erläutert. Ferner habe ich in diesen speciellen Theil auch die Beschreibung und Kritik der von Müller aufgestellten Genera und Species aufgenommen, sowie der wenigen einzelnen Arten, die ausserdem noch von anderen Autoren hie und da beschrieben und in der geschichtlichen Einleitung sämmtlich erwähnt sind. Um endlich den zweiten speciellen Theil ebenso vollständig als den allgemeinen herzustellen, habe ich auch von denjenigen, meistens fossilen Arten, welche von Ehrenberg zwar nicht beschrieben oder mit Diagnosen versehen, aber in der Mikrogeologie abgebildet sind, nach dieser Abbildung eine kurze Beschreibung entworfen und an der entsprechenden Stelle in das System eingefügt. Die zweite Hälfte der Monographie enthält also nicht allein die genaue systematische Beschreibung und Abbildung der von mir selbst in Messina beobachteten neuen Radiolarien, sondern auch die vollständige Zusammenstellung, Beschreibung und Kritik sämmtlicher Gattungen und Arten von Radiolarien, die bis zum Jahre 1862 auf irgend eine Weise, sei es durch Beschreibung, sei es durch Abbildung, bekannt geworden sind. Ich hoffe mit dieser Arbeit den nachfolgenden Systematikern einen wesentlichen Dienst geleistet, ihnen manche Mühe erspart und den Boden für weitere Forschungen geebnet zu haben.

          Die erste Mittheilung über die von mir in Messina beobachteten Radiolarien machte ich am 17. September 1860 in der zoologischen Section der fünfunddreissigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Königsberg, woselbst ich auch die Mehrzahl der neuen Arten in wohlerhaltenen Präparaten (theils in Canada-Balsam, theils in Liqueur conservativ und Glycerin) vorlegte und sie u. A. den Herren Virchow, von Siebold, Grube, Dohrn demonstriren konnte. Eine zweite Mittheilung erfolgte bald darauf an die Berliner Akademie der Wissenschaften, in deren Gesammtsitzungen vom 13. und 20. December 1860 Herr Professor W. Peters einen kurzen Auszug meiner Arbeit nebst den zugehörigen Abbildungen vorzulegen die Güte hatte. Ich hatte damals 120 neue Species sicher unterschieden, welche sich auf 45 Gattungen vertheilten. Die kurzen Diagnosen derselben finden sich in den Monatsberichten der Berliner Akademie, 1860, p. 794 – 817 und p. 835 – 845. Einige der daselbst beschriebenen Gattungen und Arten habe ich bei der nachfolgenden genaueren Untersuchung noch in mehrere gespalten; andere neue sind aus dem nachträglich durchsuchten pelagischen Mulder hinzugekommen, so dass jetzt die Zahl der neuen Species von Messina auf 144, die der neuen Gattungen auf 46 gestiegen ist. Rechne ich dazu noch eine Anzahl neuer Formen, von denen ich keine hinlänglich genaue Beschreibung und Abbildung entwerfen konnte, oder die während der Beobachtung durch einen unglücklichen Zufall verloren gingen, so erreicht die Zahl der neuen Messineser Arten fast das Dreifache der bis dahin lebend beobachteten Species. Da bei der die beiden letzten Jahre hindurch beständig fortgesetzten Untersuchung noch eine Menge neuer Thatsachen, besonders auf den verwickelten Skeletbau der Ommatiden, Sponguriden, Disciden und Litheliden bezügliche Einzelnheiten, sich feststellen liessen, der Druck des Werkes aber bereits im Anfange des vorigen Jahres begonnen hatte, so waren einzelne Widersprüche in den früheren und späteren Theilen des Buches nicht zu vermeiden. In diesen Fällen ist immer die spätere Angabe eine Berichtigung der früheren, die bereits gedruckt war.

          Von den Abbildungen der in Messina beobachteten, grösstentheils neuen Arten, welche den Atlas von 35 Kupfertafeln bilden, ist dasselbe zu bemerken, was oben von der anatomischen Beschreibung des Körperbaues gesagt wurde, dass nämlich die Darstellung der Weichtheile an Genauigkeit und Naturtreue in vieler Beziehung hinter derjenigen der Hartgebilde zurückbleibt. Diese Ungleichheit erklärt sich auch hier daraus, dass die Abbildungen des Weichkörpers nur an Ort und Stelle, oft nur unter den ungünstigsten Verhältnissen und in der grössten Eile entworfen werden und nur selten gehörig ausgeführt werden konnten, während das reiche mitgebrachte Material der Kieselskelete, das ich nach meiner Rückkehr aufs Bequemste in voller Musse und Ruhe untersuchen konnte, eine sehr exacte und sorgfältige Darstellung gestattete. Die naturgetreue Wiedergabe des Weichkörpers, besonders seines extracapsularen Theiles hat übrigens auch an Ort und Stelle, unter sonst günstigen Verhältnissen, mit sehr erheblichen Hindernissen zu kämpfen, die theils in der Schwierigkeit begründet sind, die sehr empfindlichen Thierchen längere Zeit unter dem Mikroskop am Leben zu erhalten, theils in der Natur der Sarkode selbst, in den unbestimmten und äusserst wechselnden Umrissen der Matrix und der von ihr ausstrahlenden äusserst feinen Pseudopodien, ihrer Verzweigungen und Anastomosen. Auch der Kupferstecher hat in der Darstellung der Weichtheile Manches zu wünschen übrig gelassen, wogegen der Stich der meisten Kieseltheile als vollkommen gelungen bezeichnet werden kann. Ausgenommen sind davon nur die, allerdings sehr schwierig wiederzugebenden, Schwammskelete der Sponguriden auf Taf. XII, XXVII und besonders XXVIII. Unter den Darstellungen der Weichtheile sind Taf. II und III am wenigsten gelungen. Der grösste Werth der in dem Atlas enthaltenen Abbildungen liegt übrigens weniger in der sorgfältigen Ausführung, als in der technischen Art und Weise, durch welche ihre Umrisse gewonnen wurden. Die allermeisten Figuren, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, besonders fast alle Abbildungen von Skeleten und Skelettheilen, sind mittelst der Camera lucida entworfen, und machen mithin in Bezug auf die Contour-Linien und die relativen Grössen-Verhältnisse auf fast geometrische Genauigkeit Anspruch [Wenn die Zeichenmethode mit der Camera clara schon an und für sich bei Wiedergabe mikroskopischer Objecte mit festen und charakteristischen Umrissen vor jeder anderen den Vorzug verdient, so gilt dies ganz besonders bei den höchst complicirten, mit vielen architektonischen Ornamenten verzierten Skeletgestalten der Radiolarien. Jede aus freier Hand entworfene Abbildung auch des geschicktesten Zeichners muss hier hinter dem objectiven Bilde der Camera lucida zurückbleiben und selbst photographische Abbildungen würden hier nicht entfernt dasselbe leisten. Namentlich erwies sich dieses Instrument höchst werthvoll bei Objecten von beträchtlicher Dicke, wo der Focus des Mikroskops, um das vollständige Bild zu erhalten, nach einander auf verschiedene Durchschnittsebenen eingestellt werden musste, wie z. B. bei den Gitterkugeln der Ommatiden auf Taf. XXI und XXIV, bei den nach bestimmter Ordnung vertheilten Stacheln der Acanthometriden auf Taf. XV und XVII. Indem hier der Tubus des Mikroskops (eines grossen Instrumentes erster Qualität von Schiek in Berlin) mittelst der grossen Tubus-Schraube bei unveränderter Vertical-Lage des Doppel-Prisma und unveränderter Horizontal-Lage des Objectes den verschiedenen Focal-Distanzen entsprechend auf- und abbewegt wurde, gelang es, eine Anzahl sich deckender Bilder aus verschiedenen Einstellungs-Flächen in eine und dieselbe Horizontal-Ebene auf dem Papier zu projiciren. Ausser der sonst nicht zu erreichenden Sicherheit und Leichtigkeit, mit der man so die schwierigsten Contour-Linien gewinnt, besitzen die so erhaltenen Bilder, sofern nur der Bleistift den Umrissen auf dem Papier genau folgt, den unschätzbaren Vorzug vor allen freien Handzeichnungen, dass sie alle relativen Grössenverhältnisse mit fast mathematischer Genauigkeit wiedergeben. Man braucht nur den Durchmesser des so genommenen Papierbildes durch den wirklichen, mit demselben Maassstabe direct gemessenen Durchmesser des Objectes zu dividiren, um als Quotient die genaue Angabe der Vergrösserung zu erhalten.].

          Für die Liberalität, mit welcher der Herr Verleger den Text sowohl als die Tafeln ausstattete, bin ich demselben zu lebhaftem Danke verpflichtet, um so mehr, als das Werk mir unter den Händen wuchs und den anfänglich abgeschätzten Umfang mehrfach überschritt.

          Wenn ich bei Ausarbeitung dieser Monographie bestrebt war, eine möglichst vollständige Darstellung der Radiolarien nach allen bis jetzt bekannten Verhältnissen zu liefern und neben den eigenen neuen Arbeiten auch die Resultate aller früheren darauf bezüglichen Untersuchungen zusammenzufassen, so dass die Summe aller bis jetzt erworbenen Kenntnisse dieser Thiergruppe sich darin gesammelt findet, so fühlte ich mich in mehr als einer Beziehung verpflichtet, das in diesem Sinne vollendete Werk dem Gedächtnisse meines verstorbenen Lehrers Johannes Müller zu widmen. Nachdem Johannes Müller, wie Keiner vor ihm, alle Gebiete thierischen Lebens mit seinem hellen Blicke durchwandert und erforscht, weilte er zuletzt mit Vorliebe im Kreise der niedersten Thiere, bemüht, das Räthsel ihrer einfachen Organisation, die mit so überraschender Mannichfaltigkeit der äusseren Gestaltung verbunden ist, aufzuklären. Nachdem er in der Untersuchung der Infusorien seinen Blick aufs Neue bewährt, waren es in seinen letzte Lebensjahren die Radiolarien, die ihn am meisten und intensivsten beschäftigten. Ihnen waren seine letzten Reisen an die Meeresküste, ihnen seine ganze Ferien-Thätigkeit gewidmet; die Radiolarien bespricht er in dem letzten Aufsatze für sein Archiv; sie sind der Gegenstand seiner letzten grösseren Abhandlung, seiner letzten Arbeit in den Abhandlungen der Berliner Akademie, die erst nach seinem Tode erschien, und in der die Naturgeschichte der Radiolarien zum ersten Male im Zusammenhange, wenn auch nur in den Grundzügen, dargestellt ist. Kaum darf ich nach dieser Erinnerung an die unmittelbarsten sachlichen Beziehungen, die es mir zur Pflicht machen, dies Buch Johannes Müllers Gedächtniss zu widmen, auch der persönlichen Motive gedenken, die mir diese Pflicht doppelt werth machen. Ich verehre in Johannes Müller dankbar den Lehrer, der vor Allen bestimmend und leitend auf meine wissenschaftliche Entwicklung eingewirkt hat, von dem ich die mächtigste Anregung zur Erforschung des thierischen Lebens erhielt, wie er mich persönlich auch in das höchst genussreiche Studium der pelagischen Fauna einführte. Möge diese Widmung als Zeichen vorzüglicher Verehrung und dankbarer Erinnerung an den allzufrüh dahin geschiedenen Meister wenigstens das ernste Streben bezeugen, auf der von ihm vorgezeichneten Bahn der Naturforschung fortzuschreiten.

          Berlin, am 18. August 1862.

Ernst Heinrich Haeckel.                             


Widmung - Inhalt - 1. Kapitel

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Erstellt am 24. November 2001 von Norbert Anderwald.