D I E   R A D I O L A R I E N.

ERSTE HÄLFTE.

ALLGEMEINER THEIL.

 

I. Geschichtliche Einleitung.

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          Die Radiolarien oder radiaeren Rhizopoden gehören unter den zahlreichen Thieren verschiedener Klassen, welche die umfangreichen mikroskopischen Forschungen der drei letzten Decennien aus dem vorher wenig bekannten Gebiete der niederen Wirbellosen an das Licht gefördert haben, zu denjenigen, welche erst in der neuesten Zeit genauer bekannt und bisher nur von den wenigsten Naturforschern der Aufmerksamkeit gewürdigt worden sind. Kaum sind 25 Jahre verflossen, seit die ersten eingehenderen Beobachtungen sowohl an einzelnen lebenden, als an einer grossen Anzahl fossiler Formen dieser Abtheilung angestellt wurden, und erst innerhalb der letzten 5 Jahre verband Johannes Müller, in den letzten Arbeiten, mit denen dieser grosse Meister seine ruhmreiche Laufbahn beschloss, die verschiedenen, scheinbar weit auseinander liegenden Glieder der Abtheilung durch die Erkenntniss ihrer gemeinsamen Fundamentalstructur zu einem natürlichen Ganzen und wies ihnen ihre naturgemässe Stellung im zoologischen Systeme, als eine der Polythalamiengruppe analoge Abtheilung der Rhizopodenklasse an [Johannes Müller, Ueber die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres. Aus den Abhandlungen der Berliner Akademie 1858. Wo in der Folge „Müller, Abhandl.“ angeführt wird, ist stets dieses Werk, und nicht die einzelnen Mittheilungen in den Monatsberichten der Akademie, verstanden.]. Es kann auffallend erscheinen, dass eine so umfangreiche und weitverbreitete Thiergruppe, deren zahlreiche Gestalten nicht minder durch den unerschöpflichen Reichthum und die phantastische Mannigfaltigkeit der Erfindung, als durch die unübertroffene Eleganz und die mathematische Regelmässigkeit der Ausführung, mit Recht die höchste Bewunderung erregen, so lange Zeit dem Auge der Forscher völlig verborgen bleiben, und auch nach ihrem Bekanntwerden bisher so wenige Arbeiter zu weiterem Eindringen anlocken konnte. Indess lässt sich diese befremdliche Erscheinung einerseits mit der seltsamen Gestaltung selbst und mit den sehr passiven und wenig ausgesprochenen Lebenserscheinungen der Thierchen entschuldigen, die gewiss manchen Beobachter verleitet haben mögen, zufällig gefangene Radiolarien für leblose Fragmente oder abgelöste Theile von anderen Organismen zu halten, andrerseits mit dem Umstande, dass sich dem Fange der Thiere im lebenden Zustande ungewöhnliche Schwierigkeiten entgegen stellen, die theils in der ausschliesslich oder wenigstens vorwiegend pelagischen Verbreitung, theils in der durchschnittlich sehr geringen Grösse derselben begründet sind. Die grössten einzeln lebenden Radiolarien sind unscheinbare kugelige Gallertklümpchen von wenigen Linien Durchmesser; die allermeisten bleiben aber weit hinter dieser Grösse und hinter der Mehrzahl der nahverwandten Polythalamien zurück, erreichen kaum 1/10 – 1/20 Linie Durchmesser und entziehen sich gewöhnlich dem unbewaffneten Auge völlig. Aus diesen Gründen sind auch die zerstreuten Notizen früherer Naturforscher, welche man etwa auf zufällige Wahrnehmung einzelner Radiolarien beziehen könnte, äusserst spärlich und keine andere gleich umfangreiche Ab-theilung des Thier- und Pflanzenreichs hat sich bisher in diesem Grade der allgemeinen Aufmerksamkeit entzogen.

          Die ältesten Beobachtungen von Seethieren, welche sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Radiolarien deuten lassen, finden sich in mehreren Aufsätzen über Leuchtthierchen, als Grund des Seeleuchtens, zerstreut, die sich sämmtlich in Ehrenbergs umfassender Abhandlung über das Leuchten des Meeres citirt finden [Ehrenberg, Das Leuchten des Meeres. Abhandl. der Berlin. Akad. 1834, p. 411.]. Tilesius, welcher Krusenstern auf der in den Jahren 1803 – 1806 ausgeführten Erdumsegelung als Naturforscher begleitete, bildet unter den zahlreichen Thieren, die er lebend leuchten sah, auch mehrere „sogenannte Infusionsthierchen“ ab, welche meist in den tropischen Meeren bei grosser Hitze und anhaltender Windstille beobachtet wurden. Sie sind, nach seiner Angabe, „schleimig wie die Mollusken, einige jedoch etwas härter, fast knorpelig, ihr Schimmer matt“. Eine dieser Figuren [Atlas zu Krusensterns Reise um die Welt, ausgeführt in den Jahren 1803 – 1806, Taf. XXI, Fig. 16ab. Annalen der Wetterauischen Gesellschaft, III. Band, 1814; Tilesius, Ueber das nächtliche Leuchten des Meerwassers, p. 367, Taf. XXa, Fig. 16 ab. Gilbert, Annalen der Physik 61. Band, 1819; leuchtende Meer-Infusionsthierchen p. 147, Taf. II, Fig. 23a.], welche er Leucophra echinoides nennt, lässt sich ganz gut als eine Acanthometra deuten, mit der sie bereits Müller verglichen hat. Auch andere, grössere Radiolarien sind vielleicht unter diesen leuchtenden Infusionsthierchen versteckt; so glaubt Ehrenberg in der Mammaria adspersa von Tilesius das Physematium Atlanticum Meyens wieder zu erkennen. Er hält beide für Noctilucen oder verwandte kleine Acalephen (l. c. p. 522). Doch ist die Abbildung von Tilesius zu unbestimmt, als dass man mit einiger Sicherheit die Natur des Thieres erkennen könnte. Eine der von ihm gesehenen Formen war roth punktirt, möglicherweise ein Sphaerozoum (bifurcum?). Ebenso hält Ehrenberg auch die von Baird 1830 abgebildeten [W. Baird, On the Luminousness of the Sea. London’s Magazine of natural bistory, Vol. III, 1830, p. 312, Fig. 81.] leuchtenden Gallertkügelchen, welche dieser zu Medusa (Noctiluca) scintillans rechnet, für identisch mit den Mammarien des Tilesius und mit Meyens Physematium Atlanticum (l. c. p. 505). Baird sah diese kleinen sphärischen Körperchen auf seiner Reise nach Indien und China in grossen Massen an der Oberfläche der See schwimmend und fand die Menge derselben stets dem Grade des Meerleuchtens entsprechend. Er beschreibt sie als vollkommen kugelig, auf der ganzen Oberfläche mit unzähligen kleinen runden Flecken bedeckt, im Centrum mit einem grösseren, kreisrunden dunkeln Flecke, von da an nach aussen allmälig heller werdend und in der ganzen peripherischen Gallertzone vollkommen hell und durchsichtig, mit Ausnahme der kleinen dunkeln Flecken. Häufig schien die Oberfläche von einer sehr dünnen und durchsichtigen Gallerthaut überzogen zu sein. Baird hält diese Thierchen für identisch mit der von Macartney [Macartney, Observations upon Luminous animals. Philosoph. Transact. 1810, p. 272, Taf. XV, Fig. 9, 10.] als Hauptursache des Seeleuchtens aufgefundenen und abgebildeten Medusa scintillans, dies ist jedoch irrig. Die Beschreibung und unvollkommene Abbildung Macartneys ist auf die wirkliche Noctiluca scintillans zu beziehen, während Baird unzweifelhaft eine Thalassicollide vor sich gehabt hat. Ob der Abbildung der letzteren aber grade Physematium Atlanticum zu Grunde liegt, wie Müller [J. Müller, Ueber Sphaerozoum und Thalassicolla. Monatsberichte der Berliner Akademie 1855, p. 231.] ebenfalls annimmt, oder ob dieselbe nicht vielmehr eine verwandte echte Thalassicolla darstellt, wird schwer zu entscheiden sein. Die dunkeln Punkte könnten eben so gut für gelbe Zellen (vergl. namentlich Fig. 81 c), als für die „Nester“ (centripetalen Zellgruppen) von Physematium gelten. Auch bildet sich bei den Thalassicollen nach dem Tode ein dünner membranöser Gallertüberzug, welcher sich ebenso wie die wirkliche Hüllmembran am lebenden Physematium in Stücken abziehen lässt. Endlich passt das dunkle nach aussen heller werdende Centrum von Bairds Körpern besser auf Thalassicolla nucleata, als auf Physematium.

          Die ersten genaueren Angaben über lebende Radiolarien rühren von Meyen [Meyen, Reise um die Erde. Nov. act. nat. cur. Vol. XVI, Suppl. 1834, p. 283 (159).] her, welcher auf seiner in den Jahren 1832 – 1834 ausgeführten Reise um die Erde 2 Arten Physematium und 1 Sphaerozoum beobachtete. Er stellt dieselben als eine eigene, den Nostochinen unter den Pflanzen entsprechende Thierfamilie: Palmellaria auf, welche mit einer andern (durch Acrochordium album repräsentirten) Familie: Polypozoa [Ausser Acrochordium album Meyens wird zur Familie der polypenartigen Thiere noch Lamarks Gattung Anguinaria (Actea Lamouroux, Sertularia anguina L.) gerechnet.] zusammen eine neue Thierklasse: Agastrica [„Agastrica. Thiere ohne Magen. Thiere von vielfach verschiedener Form, aber gleichmässiger Structur. Sie sind ohne alle Fresswerkzeuge und überhaupt ohne alle besondern Verdauungsorgane. Sie zeigen gänzlichen Mangel eines Nervensystems und aller Sinnesorgane; doch tritt bei einigen Bewegung der Säfte auf. Einige leben schwimmend im Wasser; andere sitzen mit einem wurzelartigen Organe auf fremden Körpern auf. Ihre Bewegungen bestehen in Contractionen der Oberfläche, wodurch die frei schwimmenden Thiere sich fortbewegen. Die Fortpflanzung geschieht durch einfache Keime, die sich im Innern ihrer Substanz befinden.“ Ibid. p. 283 (159).] bildet. Die Charakteristik der Familie der palmellenartigen Thiere lautet: „Palmellaria. Mehr oder weniger rund gestaltete Thiere, die aus einer schleimig gallertartigen Masse bestehen, in deren innerem kleine, gleichmässig grosse Bläschen enthalten sind, durch welche die Fortpflanzung nach der Art wie bei den Nostochinen geschieht. Die Bewegung entsteht durch Zusammenziehung der Oberfläche des Thieres. Meyens Beschreibung der beiden, die Palmellarien constituirenden Gattungen wird unten, bei Physematium und bei Sphaerozoum, angeführt werden. Sie ist sehr unvollkommen uud nur zum Theile richtig. Die Angaben über Bewegung und Formveränderung durch Contraction der gesammten Oberfläche der Thiere, ebenso die Angaben über die Fortpflanzung haben sich nicht bestätigt. Dagegen ist hervorzuheben, dass die Sphaerozoen als „kugelförmige Aggregate von Individuen von Physematien“ bezeichnet werden und dass auch die Spicula im Innern der Gallerte von Sphaerozoum, als „Krystalle, die wahrscheinlich aus reiner Kieselerde bestehen“, erwähnt, und mit den im Innern von Hydrurus (aus der Familie der Nostochinen) abgelagerten Krystallen verglichen werden. Diese letzteren sind wirkliche Krystalle, und zwar aus Kalkspath. Die Spicula der Sphaerozoen sind aber, wie Müller richtig bemerkt, gleich denen der Schwämme, keine Krystalle, sondern „organische Skeletbildungen aus einem anorganischen Körper“.

          Meyens Beobachtungen über Physematium und Sphaerozoum blieben lange Zeit das Einzige, was man von lebenden Radiolarien wusste, und da keine weiteren Mittheilungen von anderen Seiten erfolgten, welche sie bestätigen und erweitern konnten, wurden sie wenig berücksichtigt. Erst 17 Jahre später folgen Huxleys Beobachtungen über die Thalassicollen und ungefähr um dieselbe Zeit erst wurde auch Müller auf diese Thiere aufmerksam. Dagegen wurden in der Zwischenzeit eine grosse Menge fossiler Skelete aus verschiedenen Radiolarien-Familien durch Ehrenberg, der sie als Polycystinen beschrieb, bekannt, ohne dass irgend Jemand einen Zusammenhang derselben mit den nahverwandten Sphaerozoen geahnt hätte.

          Die ersten Mittheilungen Ehrenbergs über Polycystinen, aus dem Jahre 1838, finden sich in seiner Abhandlung „Ueber die Bildung der Kreidefelsen und des Kreidemergels durch unsichtbare Organismen“ [Abhandl. der Berlin. Akad. 1838.], in der er seine Ansichten über die systematische Stellung der Polythalamien, als einer, den Flustren, Escharen, Alcyonellen nächstverwandten Ordnung der Bryozoen auseinandersetzt [Die Characteristik der Bryozoen oder Mooskorallen lautet: „Pulslose Thiere mit einfach sackförmigem oder schlauchförmigem Ernährungscanale ohne wahre oder mit wahrer, sich vermehrender Körpergliederung, mit (durch zunehmende Gliederzahl oder Knospenbildung) veränderlicher Körperform und ohne Selbsttheilung; ferner mit periodisch in sehr vielen, wahrscheinlich in allen Individuen vorhandener Eibildung, und daher vermuthlichem Hermaphroditismus. Ordo I. Polythalamia, Schnörkelkorallen. Libere vagantia et loricata. A. Monosomatia. B. Polysomatia.“ Wir geben diese, sowie die in den folgenden Anmerkungen und im Texte mitgetheilten systematischen Erklärungen Ehrenbergs und seine Charakteristiken der Klassen, Familien und Gattungen mit Absicht vollständig und wörtlich wieder, da wir wegen seiner abweichenden Ansichten über die Organisation der Polycystinen und der nahverwandten Polythalamien, die er bis heute unverändert festhält, unten mehrfach darauf zurückkommen müssen.]. Am Schlusse derselben heisst es (p. 117): „Neben den fossilen mikroskopischen Organismen der Kreidemergel Siciliens finden sich zwischen den Infusorienschalen mehrere Formen, welche der Gestalt nach sich den Polythalamien, z. B. den Nodosarien ohne Zwang anreihen liessen, deren Schale aber aus Kieselerde besteht, welche in Säuren nicht auflöslich ist, auch für das Auge durchsichtiger, glasartiger erscheint, als die mit Balsam durchdrungenen Kalkschalen. Da nun die häutige oder kalkerdige Substanz der Hülle bei der ganzen bekannten grossen Masse der Polythalamien herrschend ist, die häutige oder kieselerdige Substanz der Hülle aber ebenso herrschend bei den Infusorien ist, so dass es bisher noch kein kalkschaliges Infusorium, und kein kieselschaliges Polythalamium gegeben hat, so habe ich mich dafür entschieden, diese kieselschaligen Formen, bis auf weitere Kenntniss ihrer Organismen, zu den polygastrischen Infusorien in die Nähe der gepanzerten Amoebaeen oder Kapselthierchen, Arcellina, als eine besondere, Glieder bildende, korallenstockartige Formenreihe, in einer eigenen Familie, mit dem Namen: Arcellina composita oder Polycystina, Zellenthierchen, zu stellen [Während Ehrenberg hier die Polycystinen als zusammengesetzte Arcellinen anführt, sagt er in seinem gleichzeitig erschienenen grossen Infusorienwerke („Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen“, Leipzig, 1838) dasselbe von den Polythalamien. Es heisst daselbst p.136: „Hätten die kleinen Polythalamien wirklich den von ihm (Dujardin) vermutheten Bau, so würden sie zu den gepanzerten Amoebaeen oder den Arcellinen, vielleicht in besonderer Familie, zu stellen sein, deren physiologischer Character von ihm nicht erkannt wurde. Es wären dann nämlich korallenstockbildende Arcellinen, deren Oberhaut gewiss nicht fehlt“.]. Uebrigens giebt es verkieselte Kalkschalen kleiner wirklicher Polythalamien, die man genau zu unterscheiden hat, und durch die begleitenden Umstände sowohl, als die gleichzeitig zu beobachtenden, noch unveränderten, gleichen Kalkthierchen gewöhnlich leicht unterscheiden kann. Die Gattungen Lithocampe, Cornutella und Haliomma mit mehreren Arten sind dergleichen, den kalkschaligen Polythalamien ähnliche, kieselschalige Polycystinen“ [Eine ähnliche Ansicht findet sich in den Monatsberichten der Berliner Akademie von demselben Jahre, 1838, ausgesprochen. Ehrenberg sagt daselbst p. 198: „Eine ganz andere Natur (als die Polythalamien) scheinen diejenigen Thierchen der Kreidemergel zu haben, welche bei einer den Polythalamien ähnlichen Form einen Kieselpanzer besitzen. Diese mögen sich an die Familie der Arcellinen bei den Infusorien in der Classe der Polygastrica als Arcellina composita anschliessen, bis irgend eine directe Beobachtung eines lebenden Thierchens über die Stellung schärfer entscheidet. Uebrigens giebt es verkieselte Kalkthierchen, die man genau zu unterscheiden hat. So hat denn der Verfasser mehrere den Nodosarien und Dentalinen sehr ähnliche, vielleicht bisher als solche verzeichnete Formen, ihres bestimmten Kieselpanzers halber, als besondere Gattungen, erstere als Lithocampe und letztere als Cornutella getrennt und zu den Infusorien gezogen, auch für mehrere ganz neue Formen neue Gattungen gebildet“.]. Die Diagnose der neuen Familie der Polygastrica (Kieselinfusorien des Kreidemergels) lautet: „Polycystina. Nova Familia. Familie der Zellenthierchen. Character familiae: E Polygastricis esse videtur. Lorica silicea, tubulosa, simplex, adultis articulata, apertura unica. (Polygastrica anentera, pseudopoda, loricata, adulta articulata, processibus pediformibus multis ex apertura? = Arcellina composita?)[Hieran schliesst sich die Characteristik der 3 neuen Gattungen mit 6 Arten, welche die Familie der Polycystinen bilden: 1. Lithocampe. Loricae siliceae articuli in adulto in serie simplici recta cylindrica dispositi, apertura sub apice, laterali. 2. Cornutella. Loricae siliceae articuli in serie simplici conica, cornu curvatum referente, evoluti. 3. Haliomma. Loricae siliceae (foraminosae) articuli in adulto in seriem spiralem globosam accreti [Anmerkung: acereti ?].].

          Im folgenden Jahre [Ehrenberg, Ueber noch jetzt lebende Thierarten der Kreidebildung und den Organismus der Polythalamien. Abhandl. der Berlin. Akad. 1839, p. 154.] beschrieb Ehrenberg die Schale einer noch lebenden Polycystine Haliomma radians, welche er in den griechischen Kreidemergeln bereits fossil gefunden hatte. Er sah dieselbe in Nordseewasser aus Cuxhaven wieder, in Gesellschaft vieler lebender Polythalamien. „Bewegung und bestimmte Organe sind nicht beobachtet, indem auch die wenigen von Cuxhaven aus dem Seewasser stammenden Exemplare ganz krystallhell waren.“ In der späteren Mittheilung [Monatsber. 1847, p. 47.] über die Polycystinen von Barbados sagt er dagegen, dass er 2 Formen, welche in der Nordsee bei Cuxhaven leben, Haliomma ovatum und Haliomma radians lebend beobachtete. „Sie zeigen eine olivenbräunliche Erfüllung der Zellen und sind in der Structur des weichen Körpers unklar geblieben.“

          Im Jahre 1844 erwähnt Ehrenberg, gelegentlich der Mittheilungen, welche er der Berliner Akademie über verschiedene von ihm untersuchte fossile Bildungen und Meeresabsätze machte, noch mehrere neue Arten und Gattungen von Polycystinen, welche unter den Polygastrica aufgeführt und meist kurz charakterisirt werden. In der „Mittheilung über 2 neue Lager von Gebirgsmassen aus Infusorien als Meeresabsatz in Nordamerika und eine Vergleichung derselben mit den organischen Kreidegebilden in Europa und Africa“ [Monatsber. 1844, p. 57. 22. Februar.] wird die neue Gattung Lithobotrys [Lithobotrys nov. gen. Animal e Polycystinorum familia, liberum. Loricae siliceae articuli in adulto non in seriem, sed in uvae (brevis) formam, id est in loculos plus minus discretos nonnullos contiguos dispositi. Proxime ad Lithocampem accedit. Animal vivum ignotum.] mit 3 Arten charakterisirt, und ferner 18 andere neue Arten aus den Gattungen Cornutella, Flustrella, Haliomma und Lithocampe, welche theils in mittelländischem organischem Polirschiefer (Kreide!) aus Oran in Africa, Caltanisetta in Sicilien und Aegina in Griechenland, theils in nordamerikanischem organischem Polirschiefer (Kreide?) aus Richmond und Petersburg in Virginien und Piscataway in Maryland gefunden wurden. In demselben Jahre legte Ehrenberg „einige vorläufige Resultate seiner Untersuchungen der ihm von der Südpolreise des Kapitän Ross, sowie von den Herren Schayer und Darwin zugekommenen Materialien über das Verhalten des kleinsten Lebens in den Oceanen und den grössten bisher zugänglichen Tiefen des Weltmeeres vor“ [Monatsber. 1844, p. 182. 13. Mai.]. Hier sind die Schalen von 3 neuen, noch lebenden Arten der bis dahin nur fossil bekannten Gattungen Lithobotrys und Lithocampe [Lithobotrys denticulata (= Lithopera denticulata Monatsber. 1847, p. 43). Lithocampe antarctica (= Eucyrtidium antarcticum. Ibid). Lithocampe australis (= Eucyrtidium australe Ibid).] beschrieben. Sie fanden sich theils in dem Rückstande aus etwas geschmolzenem Pfannkuchen-Eise („Pancake Ice“, dünnen und flachen strichweis schwimmenden Eisstücken), das an der Barriere in 78° 10' S. Breite, 62° W. Länge getroffen wurde, theils in Meeresgrund, der durch die Sonde aus 1140' Tiefe an demselben Punkte heraufgezogen wurde, theils endlich in filzigen Chaetoceros-Flocken, die in 64° S. B., 160° W. L. auf der Oberfläche des hohen Meeres schwammen. Endlich werden in einer dritten Mittheilung „über eine neue, an neuen Formen sehr reiche marine Tripelbildung von den Bermuda-Inseln“ [Monatsber. 1844, p. 257. 27. Juni.] 2 neue Arten Haliomma und eine neue Lithocampe charakterisirt [Haliomma Amphisiphon (= Astromma Entomocora. Monatsber. 1847, p. 43). H. nobile, Lithocampe aculeata (= Pterocanium aculeatum. Ibid. p. 43).].

          Während die Summe aller in diesen verschiedenen Gesteinen und Niederschlägen, wie im Meeressand beobachteten Polycystinen-Formen nur 39 Arten betrug (5 lebende und 34 fossile), welche auf 5 (später, 1847, auf 15) Genera vertheilt wurden, erhielt diese kleine Anzahl 1846 mit einem Male einen beträchtlichen Zuwachs, welcher die bis dahin nur als Familie der Polygastrica betrachtete Thiergruppe zum Range einer besonderen Klasse erhob. Im December 1846 [Monatsber. 1846, p. 382. 17. December.] publicirte Ehrenberg „vorläufige Mittheilungen über eine halibiolithische, von Herrn R. Schomburgk entdeckte, vorherrschend aus mikroskopischen Polycystinen gebildete, Gebirgsmasse von Barbados“. Das in diesem Mergel, welcher in und mit Sandstein Felsen bildet, enthaltene Material war so ausserordentlich ergiebig, dass in wenigen Wochen die Zahl der Formen, welche meist höchst zierlich geflochtenen Körbchen, Laternen, Vogelbauern, Sternen, Scheiben, Bechern und Netzen gleichen, zu mehr als 140 Arten vermehrt wurde, welche sich auf 31 Genera vertheilten. In einer angehängten vorläufigen tabellarischen Uebersicht dieser kieselschaligen Thierklasse, welcher Ehrenberg schon damals „manchen Charakter der Polythalamien“ vindicirte, charakterisirt er dieselbe folgendermassen: (l. c. p. 385) „Polycystina, Zellenthierchen: Animalcula testa silicea (quam Bryozoa sicut Mollusca abhorrent) reticulata inclusa, tubo cibario (nunc verisimilius non polygastrico) simplici? articulatione spuria sensim aucta saepe insignia, sed concamerationibus veris (Polythalamiorum) destituta, nunquam (contra legem Bacillariorum) sponte dividua, saepe in polypariis cellulosis regularibus coalita, post mortem saxorum et altorum montium immensa materies“. Die Klasse wird in 2 Abtheilungen, Polycystina solitaria („Testae siliceae spatio interno ample pervio, aut passim levius transverse constricto“) und Polycystina composita („Testae siliceae spatio interno celluloso“) gespalten. Zu ersteren gehören die 3 Familien der Halicalyptrinen, Lithochytrinen und Eucyrtidinen, zu letzteren die 3 Familien der Haliommatinen, Spyridinen und Lithocyclidinen.

          Der unermüdliche Fleiss und die Schnelligkeit, mit der Ehrenberg jedes neue, auch noch so umfangreiche Material bewältigte, machte es ihm möglich, bereits nach Verlauf von kaum 2 Monaten jener ersten vorläufigen Mittheilung eine ausführlichere Charakteristik der neuen Thierklasse folgen zu lassen und die Artenzahl um mehr als das Doppelte (über 300) zu vermehren. Im Februar 1847 veröffentlichte Ehrenberg diese ausgedehnteren Beobachtungen „über die mikoskropischen [Anmerkung: sic!] kieselschaligen Polycystinen als mächtige Gebirgsmasse von Barbados, und über das Verhältniss der aus mehr als 300 neuen Arten bestehenden, ganz eigenthümlichen Formengruppe jener Felsmasse zu den jetzt lebenden Thieren und zur Kreidebildung. Eine neue Anregung zur Erforschung des Erdlebens“ [Monatsber. 1847, p. 40. 11. Februar.]. Die Gesteinsmasse der Insel Barbados auf den Antillen, die diesen überraschenden Reichthum an neuen, ungeahnten Thierformen eröffnete, und in der bereits ihr Entdecker, der berühmte Reisende Sir Robert Schomburgk, Infusorienschalen beobachtet hatte, bildet in dem „Scotland- and Below-Cliff“ genannten Theile der Insel einen 1100' hohen, mächtigen Gebirgsstock, welcher die 150' mächtige Deckschicht von jungem Korallenkalk durchbricht und sich im Mount Hillaby bis zu 1148' über die Meeresfläche erhebt. Dem blossen Auge zeigt diese Felsmasse keinen besonderen Charakter und scheint nur aus oft eisenschüssigen Sandsteinen, sandigen Kalksteinen und erdigen Mergeln zu bestehen. Ein Blick unter das Mikroskop ergiebt, dass dieselbe hie und da, wie keine andere bisher bekannte Gebirgsart, theils wesentlich gemischt, theils ganz vorherrschend aus kieselschaligen Polycystinen des Oceans gebildet ist. Da, wo die sandsteinartigen Gebirgsmassen kalkhaltig, also wirkliche Mergel, und dann öfter weiss und mürbe wie Kreide sind, fanden sich in der Mischung kalkschalige mikroskopische Polythalamien, meist weniger gut erhalten, als die kieselschaligen Polycystinen. Die nicht kalkhaltigen, mergelartig weissen, mehr oder weniger mürben Gebirgsarten jener Gegenden sind ein zuweilen in Halbopal übergehender Tripel, welcher mit Ausschluss einer gewissen (selten die Hälfte des Volums erreichenden) Menge von kieselschaligen Diatomeen, Spongienfragmenten etc., ganz aus Polycystinen und deren Fragmenten besteht. Die festeren sandsteinartigen Gebirgsmassen lassen zuweilen ganz deutlich ihre Umwandlung aus Polycystinen erkennen. Da aber, wo, wie es häufig vorkommt, Eisen beigemischt ist, hat sich das organische Element am meisten verändert. Auch die schwarze Gebirgsart des Burnthill (Brandberges), welcher 5 Jahre lang fortgebrannt haben soll, und welcher in vulkanischem Rufe steht, enthält grosse Massen oft wohl erhaltener Polycystinen. Der tief schwarze Mergel desselben ist nicht gebrannt und vulkanisch geschwärzt, sondern bituminös und verliert seine kohlenartig schwarze Färbung durch Glühen. Die schwarze Schicht des Berges ist nie, so wenig als die darauf gelagerte graue, vom Feuer berührt worden; wohl aber zeigen rothgebrannte Proben und Schlacken aus der Nähe, dass ein Erdbrand das bituminöse Lager theilweise zerstört haben muss. Auch diese gebrannten Massen zeigen Polycystinen.

          Was den Charakter und das Alter des merkwürdigen Barbadosmergels betrifft, so schliesst Ehrenberg aus einer Vergleichung der Polycystinen, die denselben zusammensetzen, mit denjenigen Polycystinen, welche theils noch leben, theils in dem halibiolithischen (ganz aus See-Organismen gebildeten) tertiären Tripel und Polirschiefer von Oran, Zante und Aegina, so wie von Virginien und den Bermuda-Inseln, theils endlich in dem Kreidemergel von Caltanisetta in Sicilien vorkommen, dass die Formenmasse, welche das Gestein von Barbados bildet, der jetzt lebenden Organismenwelt, so wie der Tertiärzeit fremdartiger ist, als der secundären Kreide von Caltanisetta in Sicilien. Unter den 282 minus 15 Polycystinen von Barbados fand sich nämlich nur eine einzige Art (Haliomma ovatum), welche mit einer der 5 jetzt lebend bekannten Arten übereinstimmt; ferner nur 10, also die kleinere Hälfte, von jenen 21 Arten, welche den (vorwiegend aus Diatomeen gebildeten) oben erwähnten tertiären halibiolithischen Tripeln und Mergeln gemeinsam sind; dagegen wurden von den 18 Arten, die schon aus dem Kreidemergel von Caltanisetta bekannt waren, 8 gleichfalls im Barbados-Mergel wieder beobachtet, und neuerlich fanden sich im ersteren noch 6 andere (zusammen also 14 Arten), welche ebenfalls im letzteren vorkommen.

          Nicht nur die unerwartete Masse von sehr bestimmt charakterisirten neuen Formen sondern auch der jetzt erst scharf hervortretende constante Charakter in der eigenthümlichen Gitterstructur der Kieselschalen bestimmte Ehrenberg, wie erwähnt, die vorher als Familie der Polygastrica, als „zusammengesetzte Arcellinen“ aufgefasste Thiergruppe der Polycystinen jetzt als besondere Klasse aufzustellen. Da ihm die Weichtheile völlig unbekannt waren, musste er sich an die Structur der Schale halten, welche sich ihm durch ihren Kieselgehalt eben so weit von den kalkschaligen Polythalamien, als durch die, vielen Polythalamien äusserst ähnliche, Form, die Quergliederung oder „zellige Anordnung des Gerüstes“, von den kieselschaligen Polygastricis (Diatomeen) zu entfernen schien. Er hält dieselben daher für eine besonders organisirte Klasse kieselschaliger Thiere und stellt dieselben „sammt den Räderthieren und Polythalamien (Bryozoen) in die Abtheilung der pulslosen Schlauchthiere (Tubulata asphycta) mit den Echinodermen zusammen“. Die Stelle, an der er sich über die Verwandtschaft der Polycystinen und über ihre Beziehungen zu den Polygastrica einerseits, zu den Polythalamien andrerseits ausspricht, l. c. p. 46, lautet folgendermassen:

          „Was nun die Verwandtschaft dieser kleinen Thierformen mit den schon bekannten Thierabtheilungen anlangt, so hat der Verfasser die im Jahre 1835 von ihm der Akademie übergebene Uebersicht des Thierreichs nach dem ihm eigenen Princip überall gleich vollendeter Entwicklung [Das „Princip überall gleich vollendeter Entwicklung“ im Thierreiche, welches sämmtlichen systematischen Arbeiten Ehrenbergs bis auf den heutigen Tag zu Grunde liegt, entwickelt derselbe in der Abhandlung „über die Acalephen des rothen Meeres und den Organismus der Medusen der Ostsee“ (Abhandl. der Berlin. Akad. 1835, p. 181). Danach besitzen alle Thiere, bis zur Monade herab, einen und denselben gleichen Bildungstypus. In keiner Klasse ist die Organisation einfacher, als in der andern. „Ein Thier ist jeder dem Menschen in den Hauptsystemen des Organismus gleicher lebender Körper ohne Gleichmass dieser Systeme oder jeder (und mit Sicherheit nur ein solcher) Organismus, welcher ein Ernährungssystem, ein Bewegungssystem, ein Blutsystem, ein Empfindungssystem und ein Sexualsystem besitzt“ (l. c. p. 247).] seinem Urtheil wieder zu Grunde gelegt. Zwar sind seitdem mehrere dort berührte Umstände im Detail näher bestimmt worden, aber die Hauptgruppen und Charaktere sind unverändert dieselben geblieben. Hiernach zeigt sich in dem kieselschaligen zarten organischen Gebirgsmaterial von Barbados ein von den polygastrischen und polythalamischen Thierformen gleich stark abweichender Charakter, aber auch eine grosse Verwandtschaft zu diesen beiden Gruppen, welche, nicht muthmasslich, sondern genauen Untersuchungen des Verfassers zu Folge, erfahrungsmässig einen sehr verschiedenen Bildungstypus haben. Die Kieselschale bindet sie an die Polygastrica, welche den strahligen Darmbau haben; aber die Quergliederung sammt der ganzen zelligen Anordnung des Gerüstes bindet dieselben an die nicht strahligen, einen schlauchartigen Darmbau habenden an, welche stets kalkschalig, nie kieselschalig sind. Da der Darmbau bei keiner lebenden Form bisher hat beobachtet werden können, so tritt erst aus der physiologischen Formbildung der ganzen höchst zahlreichen Formengruppe eine nähere Verwandtschaft zu den Moosthierchen (Bryozoen) und namentlich den Polythalamien (Schnörkelkorallen) hervor, welche in ihren Nodosarien sehr ähnliche Formbildungen wie die Polycystina solitaria, in ihren vielleibigen Soriten, Pavoninen, Melonien aber durchaus ähnliche Bildungen wie die Polycystina composita, die Haliommatina und Lithocyclidina zeigen. Auch ist die Kreuzform und das Strahlige in den Siderolinen und Siderospiren, sogar der jetzt lebenden Meeresbildungen (Monatsber. 1845, p. 376) vorhanden. Dessenungeachtet finden sich an den kleinen Kieselschalen der Polycystinen physiologische Charaktere, welche dieselben, auch abgesehen von dem Kieselpanzer, den Polythalamien ganz entfremden, das ist der Mangel wirklicher Kammern, deren Existenz den Körper der Polythalamien ganz anders gliedert und auch den Namen bedingt. Ferner ist bei der Mehrzahl der Einzelformen deutlich, dass ihre Körpergliederungen nicht, wie bei den Nodosarien und Rotalien, mit dem Alter an Zahl zunehmen, sondern individuell abgeschlossen sind, ein wichtiger Charakter. Andererseits ist die nicht abschliessende leichtere Quergliederung der Polycystinen ein den Bacillarien, welche stets Längstheile in ihrem Skelete und in ihrer Entwicklung zeigen, ganz fremder Charakter.

          „Mit diesen und noch andern Gründen hält der Verf. die Polycystinen nicht weiter für vermuthliche Polygastrica, nicht mehr für zusammengesetzte Arcellinen, sondern vielmehr für der Abtheilung der Schlauchthiere, Tubulata [In der der eben erwähnten Abhandlung (p. 256) angehängten tabellarischen Uebersicht, in welcher das „Naturreich des Menschen oder das Reich der willensfreien, beseelten Naturkörper“ in 29 hinsichtlich der Organisation gleich vollkommen entwickelte Klassen getheilt wird, bilden die Tubulata die eine Abtheilung der pulslosen und marklosen Thiere; die Wirbellosen werden darin folgendermassen geordnet: Ganglioneura (Evertebrata): a. Sphygmozoa s: Cordata. III. Articulata. IV. Mollusca. b. Asphycta s: Vasculosa. V. Schlauchthiere. Tubulata. 18. Bryozoa. 19. Dimorphaea (Sertularina, Tubularina). 20. Turbellaria (rhabdocoela). 21. Nematoidea. 22. Rotatoria. 23. Echinoidea (Echinus, Holothuria, Sipunculus). VI. Traubenthiere. Racemifera (Radiata). 24. Asteroidea. 25. Acalephae. 26. Anthozoa (excl. Sertularinis, Tubularinis). 27. Trematodea. 28. Complanata (Turbellaria dendrocoela). 29. Polygastrica.], den Bryozoen gleich, angehörige, aber kieselschalige und besonders organisirte Formen. So würden dann im Systeme diese Naturkörper als den Polythalamien zunächst stehend, den herz- und pulslosen Gefässthieren mit einfachem schlauchartigem Darme in besonderer Gruppe anheimfallen. Die individuell am grössten entwickelten Formen ihrer Abtheilung würden die Holothurien und Seeigel, Echinoidea, sein.“

          In der tabellarischen dichotomen Uebersicht der neuen Klasse, welche Ehrenberg dieser seiner ausführlichsten Mittheilung über die Polycystinen anhängte (l. c. p. 54), und welche zur Ergänzung der schon 1846 mitgetheilten vorläufigen Uebersicht dient, werden 44 Gattungen charakterisirt und auf 7 Familien vertheilt, welche zusammen 282 Arten zählen. Wir haben dieselbe unten wörtlich und vollständig wiedergegeben, da eine ausführlichere Charakteristik später nicht erfolgt ist, und da dieselbe also den einzigen Anhaltspunkt zur Bestimmung der von Ehrenberg aufgestellten Familien und Gattungen bildet. Ueber die Principien für die Systematik der neuen Formenmasse bemerkt Ehrenberg: „das Verhältniss der Abschliessung der Einzelthiere und bei den Einzelthieren die Oeffnungen im Panzer, von denen die vordere meist gitterartig oder fensterartig, die hintere offen ist, sind als physiologisch wichtige und nothwendige Charactere des Organismus zu den grösseren Abtheilungen, Gliederung und Anhänge zu generischen Abtheilungen benutzt.“ (l. c. p. 53.)

          Vier Jahre später, nachdem Ehrenberg die Polycystinen als neue Klasse aufgestellt, gab derselbe eine vorläufige Mittheilung „über eine weit ausgedehnte Felsbildung aus kieselschaligen Polycystinen auf den Nikobaren-Inseln, als erstes Seitenstück des Polycystinen-Gesteines von Barbados der Antillen“ [Monatsber. 1850, p. 476. 19. December.]. Danach sind die Thone, Mergel, und wohl auch die kalkhaltigen Sandsteine (Sandsteinmergel), welche bis auf 2000 Fuss Erhebung den festen Kern, und fast den ganzen Unterbau und Aufbau der Nikobaren-Inseln bilden, nicht unorganische Trümmermassen älterer Gesteine, sondern vorweltliche Halibiolithe, Producte eines reichen mikroskopischen Meereslebens, um welche der neuere Korallenanbau nur unterhalb einen schmalen Mantel bildet. Sowohl die grauen Thone von Car-Nicobar, als die weissen, meerschaumähnlich leichten und die eisenhaltigen, roth- und weissbunten Thone von Camorta bestehen zum grossen Theil aus Polycystinen, von denen über 100 Arten, theils neue, theils mit denen von Barbados identische, unterschieden werden konnten. Ganz besonders schön entwickelt ist dies Material auf der Insel Camorta, wo ein etwa 300 Fuss hoher Berg bei Frederikshavn sowohl unten, als in der Mitte und oben, bunte Polycystinen-Thone trägt, während die Mongkata-Hügel auf der Ostseite der Insel ganz und gar aus einem meerschaumähnlichen leichten, weissen Thone bestehen, der ein ziemlich reines Conglomerat von Polycystinen und ihren Fragmenten mit vielen Spongolithen ist.

          Die Felsen von Barbados und von den Nikobaren sind bis jetzt die einzigen geblieben, in denen Polycystinen in dieser Masse, entweder überwiegend, oder fast ausschliesslich, gesteinbildend aufgefunden worden sind. Gegen diese treten die oben erwähnten Kreidemergel und Polirschiefer von einzelnen Küstenpunkten des Mittelmeeres (von Caltanisetta in Sicilien, Oran in Africa, Aegina und Zante in Griechenland), von den Bermuda-Inseln im nordatlantischen Ocean und von einigen Orten Nordamerikas (Richmond und Petersburg in Virginien, Piscataway in Maryland) völlig zurück, da sie im Verhältniss zu der grossen Masse anderer kiesel- und kalkschaliger Organismen immer nur einzelne wenige Polycystinen-Arten enthalten. Dasselbe gilt von einem, „marinen europäischen Polygastern-Lager (Halibiolith-Tripel) bei Simbirsk in der Nähe von Kasan“, welches 11 Polycystinen-Arten, darunter 4 neue enthielt [Monatsber. 1855, p. 305. Die Arten sind ohne Diagnose genannt.], und von einer durch Philippi aus dem Morro de Mijellones (an der Küstengrenze zwischen Chile und Bolivia) übersandten neuen Gebirgsmasse, einem weissen halibiolithischen Polirschiefer (Tripel), in welchem Ehrenberg 7 Polycystinen-Arten aus 7 verschiedenen Gattungen fand, unter denen die neue Gattung Chlamydophora [Monatsber. 1856, p. 425. 14. August. Die Arten werden blos genannt, die neue Gattung nicht charakterisirt; übrigens ist der Name „Chlamydophorus“ bereits 1825 von Harlan für eine in Chili gefundene Gürtelthier-Gattung verbraucht.]. Bei der grossen Masse verschiedener Gesteine aus allen Gegenden der Erde, welche Ehrenberg mikroskopisch untersucht hat, muss dieses vereinzelte Vorkommen der Polycystinen sehr auffallend erscheinen.

          Die Reihe der Mittheilungen Ehrenbergs über fossile Polycystinen ist hiermit und mit den weiter unten erwähnten Abbildungen in der Mikrogeologie bis jetzt abgeschlossen. Die noch folgenden Angaben über Polycystinen, welche sich in den letzten Jahrgängen der Monatsberichte, bis Ende 1860, finden, betreffen sämmtlich die Schalen von Polycystinen, welche gelegentlich mehrerer Tiefenmessungen und Sondirungen mit dem Schlamme vom Grunde verschiedener Meere gehoben wurden. Auch hier beziehen sich seine Angaben lediglich auf die kieselerdigen Schalen, da er lebende Thiere oder Schalen, in denen noch der todte weiche Körper sichtbar war, nicht erhielt. Das überaus reiche Material, welches in jener Beziehung keinem andern Forscher so, wie Ehrenberg zu Gebote stand, und der rastlose Fleiss, mit dem er die Grundproben untersuchte, gaben ihm Gelegenheit, die Zahl der schon bekannten Gattungen und Arten, von denen viele gleichzeitig fossil und im Meeresschlamm gefunden wurden, noch ansehnlich durch neue Formen zu vermehren.

          Am 16. Februar 1854 [Monatsber. 1854, p. 54.] berichtete Ehrenberg „über das organische Leben des Meeresgrundes in bis 10800 und 12000 Fuss Tiefe“. Er hatte durch den bekannten amerikanischen Marineofficier Maury 8 verschiedene Proben des Meeresgrundes von den tiefen Sondirungen der amerikanischen Marine zwischen Nordamerika und den Azoren erhalten. Dieselben waren 1858 an verschiedenen Stellen des atlantischen Oceans, zwischen 37 – 54° N. B. und 7 – 50° W. L. auf der Brigg Delphin mit Brookes Senkloth ausgeführt, einem Sondirungs-Apparat, dessen eiserne Spindel mit Talg umgeben ist, in den sich lockere Bodentheile eindrücken und so heraufziehen lassen, ohne dass das Wasser Alles abspülen kann. Die 8 Grundproben enthielten zahlreiche theils kieselige, theils kalkige Skelete von Pflanzen und Thieren, und Fragmente von solchen, namentlich zahlreiche Diatomeen und am massenhaftesten Polythalamien. Die 5 tiefsten Grundproben enthielten auch 40 Polycystinen-Arten, und zwar in folgendem Verhältniss zur Tiefe:

Tiefe des Meeresgrundes:

6480'

8160'

9480'

10800'

12000'

Zahl der Polycystinen-Arten:

15

10

7

16

14

          Unter diesen Formen sind 29 neue, 11 bekannte, und von letzteren sind mehrere identisch mit solchen, die fossil in den Gesteinen von Barbados und Caltanisetta beobachtet sind, so: Cornutella clathrata, Eucyrtidium lineatum, Lithobotrys cribrosa etc. Die Charakteristik der 29 neuen Arten, unter denen auch die 2 neuen Gattungen: Cenosphaera und Spongodiscus sich befinden, findet sich im Monatsbericht 1854, p. 237, 240.

          In demselben Jahre trug Ehrenberg „weitere Ermittlungen über das Leben in grossen Tiefen des Oceans“ vor [Monatsber. 1854, p. 305. 15. Juni.]. Von Edward Forbes, welcher 1842 auf dem Beacon die bekannte Reise nach Kleinasien machte, auf der er den Charakter der unterseeischen Fauna in verschiedenen Meerestiefen zu bestimmen suchte, hatte er 11 Grundproben erhalten, welche aus verschiedenen Tiefen des Aegaeischen Meeres mit besonderen Senkapparaten gehoben worden waren. Die beiden tiefsten von diesen Grundproben, von 1020' und 1200' Tiefe, enthielten unter zahlreichen anderen kiesel- und kalkschaligen Organismen auch 5 Polycystinen [Unter diesen 5 Arten sind 2 neue: Eucyrtidium Aegaeum und Flustrella bicellulosa.], während die 9 anderen Proben aus geringeren Tiefen deren keine enthielten. Diese wiederholte Beobachtung des Zunehmens der Polycystinen-Schalen mit der zunehmenden Tiefe des Meeresgrundes, auf dem sie leben sollen, führt Ehrenberg zu der Vermuthung, dass die reineren Polycystinen-Gesteine, wie die Mergel von Barbados und den Nikobaren, stets aus besonders grossen Tiefen gehoben sind und einer entfernteren vorweltlichen Bildungsepoche angehören. „Ja, man kann mit ziemlicher Gewissheit schon die Vermuthung aussprechen, dass die Hebung überwiegend aus Polycystinen gebildeter Massen aus nicht wohl weniger als 12000' Tiefe geschehen sein mag.“ Barbados, dessen Polycystinen-Mergel Forbes für mittlere Tertiärbildungen hält, würde nach Ehrenberg einen „vulkanisch aus grosser Tiefe im Meere hervorgetriebenen Nabel oder Kegel darstellen, dessen weitere Basis und Umgebung vom Meere bei der Hebung abgewaschen worden, und der deshalb eine so beschränkte Verbreitung zeigt“ (p. 312).

          Die von Forbes 1842 begonnenen Tiefmessungen des Mittelmeeres wurden 1857 von Spratt fortgesetzt und reichten zu bis dahin im Mittelmeer ungeahnten Tiefen von 1500 – 9720 Fuss. Von den dabei mit dem Senkapparate heraufgehobenen Grundproben erhielt Ehrenberg 5 verschiedene Sorten, aus Tiefen von 1500, 3000, 6600, 6900, 9720 Fuss zwischen Malta und Creta gehoben [Monatsber. 1857, p. 546. 26. November. „Ueber organische Lebensformen in unerwartet grossen Tiefen des Mittelmeeres.“]. Es fanden sich darin 25 Polycystinen aus 13 verschiedenen Gattungen, darunter 11 neue Arten und 1 neue Gattung (Pylosphaera), deren Charakteristik sich im Monatsbericht des folgenden Jahres findet [Monatsber. 1858, p. 12, p. 30.].

          Am 4. August 1859 las Ehrenberg „über neue massenhafte Polycystinen des Meeresgrundes aus 13200 Fuss Tiefe bei Zankebar und legte die Zeichnungen und Praeparate vieler neuer eigenthümlicher Formen aus diesen Tiefen vor“ [Monatsber. 1859, p. 553. 4. August.]. (Ein Referat des Vortrags ist nicht gegeben.) Dagegen machte derselbe am l8. August eine Mittheilung über Proben des Tiefgrundes im rothen Meere bis zu 2766' Tiefe, in welchen, bei grossem Reichthum an kalkschaligen Thieren, alle Polycystinen fehlen [Monatsber. 1859, p. 569. 18. August.].

          Die jüngsten Mittheilungen Ehrenbergs über Schalen von Polycystinen, vom 13. December 1860 [Monatsber. 1860, p. 819. 13. December.], enthalten die kurze Charakteristik von 22 neuen Gattungen. Das reiche Material zu diesen neuen Entdeckungen lieferten ihm verschiedene Tiefgrundproben, welche von dem nordamerikanischen Lieutenant Brooke mittelst eines neuen, von ihm erfundenen, sehr verbesserten Senkapparates, durch den die sehr lästige Verunreinigung der Grundproben mit Talg vermieden wird, an verschiedenen Stellen des stillen Oceans aus sehr bedeutenden Tiefen gehoben worden waren. Der Grundschlamm der einen dieser Proben, welche Brooke am 11. Mai 1859 aus 19800 Fuss Tiefe zwischen den Philippinen- und Marianen-Inseln [Latit. 18º 03' N. Longit. 129º 11' E. Greenwich. Monatsber. 1860, p. 766. 10. December. Eine vorläufige Mittheilung über die Beschaffenheit dieser Tiefgrundproben hatte Ehrenberg bereits am 26. Juli und 1. November 1860 gemacht. Vergl. Monatsber. 1860, p. 466 und p. 588.] gehoben hatte, enthielt 79 Polycystinen-Arten, von denen hervorgehoben wird, „dass ihre Menge und Formenzahl mit der Tiefe des Meeres zunimmt“. Die 6 anderen Tiefgrundproben, welche von Brooke im October und November 1858 an verschiedenen Stellen des stillen Oceans zwischen Californien und den Sandwich-Inseln [Zwischen Latit. 20º 52' N. bis Latit. 31º 06' N. und Longit, 129º 49' W. bis Longit. 151º 50 W. Greenwich.] aus 11700, 12000, 14400, 15000 und zweimal aus 15600 Fuss Tiefe gehoben worden waren, enthielten zusammen 69 verschiedene Polycystinen-Arten, welche wieder mehr als die Hälfte aller organischen Formen ausmachten. Die grosse Anzahl der neuen, zum Theil von allen bekannten sehr abweichenden Gattungen (22) unter der relativ geringen Arten-Zahl erscheint auffallend und führt auf den Gedanken, dass sie vielleicht als charakteristische Bewohner dieser ausserordentlichen Tiefen, bis zu denen vorher niemals die Forschung vorgedrungen war, anzusehen sind. Ehrenberg sagt in dieser Beziehung [Monatsber. 1860, p. 772.]: „Ganz besonders bemerkenswerth ist es, dass aus jener Tiefe so viele Formen hervorgehoben worden sind, welche den bekannten aus allen Meeresverhältnissen der Erde bisher zusammengetragenen und in den marinen urweltlichen Felsschichten aller Alter fossil genannten sich nicht anschliessen, sondern als 22 neue Genera besonders zu verzeichnen sind. Mehrere dieser neuen Genera sind zwar schon aus anderen hohen Tiefgründen von mir verzeichnet worden, allein dass sie hier um so bedeutend vermehrt werden und sonst nirgends in flachen Verhältnissen gesehen worden sind, ist für das Leben der Tiefgründe von Wichtigkeit.“ Jedoch ist zu bemerken, dass vielleicht nur die Hälfte von diesen 22 neuen Gattungen wirklich fortbestehen wird. Von 7 derselben [Dermatosphaera, Disolenia, Trisolenia, Tetrasolenia, Pentasolenia, Polysolenia, Mazosphaera.] führt Ehrenberg selbst an, dass sie als Polycystinen zweifelhaft sind und mehr Aehnlichkeit mit den Pollenkörnern verschiedener Pflanzen, als mit den Kieselschalen der übrigen Polycystinen zeigen [Ibid. p. 778.]. Es ist dies um so beachtenswerther, als theilweis nicht einmal die Kieselerde sich darin nachweisen liess, und als es andererseits bekanntlich Blüthenstaub, besonders von Coniferen, giebt, der äusserst schwer zerstörbar und sogar fossil in tertiären und Kreide-Lagern vollkommen gut erhalten ist. Was die 4 übrigen von den 11 zweifelhaften Gattungen anbetrifft, so lassen sich dieselben auf andere Radiolarien-Gattungen reduciren [Rhopalodictyum fällt der Diagnose nach mit Dictyastrum zusammen. Euchitonia ist wohl nur ein älteres Stadium von Histiastrum. Distephanolithis dürfte zu Acanthodesmia, und Schizomma zu Tetrapyle zu ziehen sein.], worüber das Nähere unten zu vergleichen ist, wo wir hinter Ehrenbergs Tabelle der Polycystinen-Gattungen auch die Diagnosen dieser neuen Genera vollständig angeführt haben.

          Von der grossen Anzahl von Polycystinen-Schalen, welche Ehrenberg theils fossil in den genannten Gesteinen, theils in den Grundproben verschiedener Meere gefunden hat, ist bisher nur erst ein sehr kleiner Theil durch Beschreibung oder Abbildung bekannt geworden. Die lateinischen kurzen Charakteristiken von 77 Arten finden sich in den Monatsberichten der Berliner Akademie von 1844 bis 1858 zerstreut. Die Abbildungen von 72 Arten, welche zum Theil schon in den eben erwähnten Charakteristiken kurz beschrieben waren, sind in Ehrenbergs umfangreicher Mikrogeologie [C. G. Ehrenberg: Mikrogeologie. Das Erden und Felsen schaffende Wirken des unsichtbar kleinen., selbstständigen Lebens auf der Erde. Leipzig, 1854. Fol.] veröffentlicht worden [Die Abbildungen von Polycystinen in der Mikrogeologie sind, je nach den verschiedenen Fundorten der Thiere, auf 8 verschiedene Tafeln folgendermassen vertheilt: – Taf. XVIII, Fig. 110, 111. Aus dem Halibiolith von Nordamerika, von Virginien bis Maryland verbreitet, und auf den Bermuda-Inseln; 2 Arten. – Taf. XIX, Fig. 48 – 56 und 60 – 62. Aus dem plastischen Thon von Aegina; 12 Arten. – Taf. XX, I, Fig. 20 – 25 und 42. Aus dem Plattenmergel von Zante; 5 Arten. – Taf. XXI, Fig. 51 – 56. Aus dem weisslichen Mergelschiefer und Polirschiefer von Oran in Africa (Terra Tripolitana, Tripel); 6 Arten. – Taf. XXII, Fig. 20 – 40. Aus dem weissen Kalkmergel von Caltanisetta in Sicilien; 22 Arten. – Taf. XXXV A, XIX, A, Fig. 5. Aus 1200 Fuss tiefem Meeresgrund des Aegaeischen Meeres (Eucyrtidium Aegaeum) und XXI, Fig. 18 aus Rückstand geschmolzenen Meereises vom Südpol (Eucyrtidium australe); 2 Arten. – Taf. XXXV B, Fig. 16 – 23. Aus erdigem Meeresboden des atlantischen Oceans von 10800 – 12000' Tiefe; 9 Arten. – Taf. XXXVI, Fig. 1 – 33. Aus dem weissen Polycystinenmergel von Barbados der Antillen und von den Nikobaren bei Hinterindien; 33 Arten. – Viele Arten sind mehrfach, von den verschiedenen Fundorten, abgebildet worden.]. Diese vereinzelten und im Vergleich zu dem reichen angesammelten Material sehr fragmentarischen Mittheilungen bilden bis jetzt die einzige Grundlage unserer Kenntnisse von den fossilen und von den auf dem Meeresboden zerstreuten Radiolarienskeleten, da ausser Ehrenberg bisher noch kein anderer Forscher derartiges, Polycystinenschalen enthaltendes Material zum Gegenstande seiner Untersuchungen gewählt hat. Ausgenommen ist nur Bailey in New – York, welcher 1856 die kurzen Diagnosen und Abbildungen von 12 neuen Polycystinenschalen vom Grunde des Kamtschatkischen Meeres veröffentlichte [J. W. Bailey, Notice of Microscopic Forms found in the soundings of the Sea of Kamtschatka. American Journal of Science and Arts 1856, Vol. XXII, p. 1. plate I.].

          Während so Ehrenberg durch Entdeckung des überraschenden Formenreichthums, der in diesen zierlichen und vielgestaltigen Kieselschalen sowohl auf dem Meeresgrunde, als in einzelnen fossilen Gesteinen bis dahin verborgen lag, den Zoologen ein neues vielversprechendes Feld der Forschung eröffnete, waren inzwischen auch schon lebende Polycystinen von Huxley beobachtet worden, ohne freilich einen Zusammenhang mit den Polycystinen Ehrenbergs zu ahnen. Diese Beobachtungen wurden im December 1851 veröffentlicht [Thomas H. Huxley, Zoological Notes and Observations made on board H. M. S. Rattlesnake. III. Upon Thalassicolla, a new Zoophyte. Annals and Mag. of nat. hist. II. Ser. 1851, p. 433.]. Huxley, welcher als Naturforscher an der Erdumseglung des Rattlesnake Theil nahm, fand in allen Meeren, aussertropischen und tropischen, welche er durchsegelte, in grosser Menge die eigenthümlichen gallertigen Körper schwimmend, welche er Thalassicolla genannt hat. Es sind gallertartige, durchsichtige, farblose Massen von sehr verschiedener Form, bald kugelig, bald ellipsoid, bald mehr oder weniger cylindrisch verlängert. Sie zeigen keine Spur von Contractilität oder selbstständiger Ortsbewegung, sondern flottiren ganz passiv an der Oberfläche der See. Huxley unterscheidet 2 sehr verschiedene Formen derselben, Thalassicolla punctata und Th. nucleata, von denen die erstere theils kugelige, theils elliptische oder länglich walzliche Gallertmassen bildet, die dem blossen Auge mit dunkeln Flecken übersäet erscheinen, während die zweite, kleinere Form stets kugelig ist und der dunkeln Flecke entbehrt, dafür aber einen dunkel schwärzlichen Kern im Centrum besitzt. Wie wir unten sehen werden, stellt diese letztere den Typus einer skeletlosen solitären Radiolarie dar und wird fortan ihren ersten Namen gültig beibehalten. Dagegen zerfällt die Thalassicolla punctata in 4 verschiedene Arten von zusammengesetzten Radiolarien, von denen eine mit dem schon von Meyen beschriebenen Sphaerozoum fuscum identisch oder mindestens ganz nahe verwandt ist. Die punktirten Thalassicollen bestehen aus einer dicken structurlosen, gallertigen Rindenschicht, welche eine grosse centrale, blasenförmige Höhlung oder ein Aggregat von solchen hellen Blasen umschliesst, die Huxley den Vacuolen der Sarcode Dujardins vergleicht. In der gallertigen Rinde, näher ihrer innern Oberfläche, sind kleine sphärische oder ovale Körper eingebettet, welche das punktirte Aussehen veranlassen. Jedes Sphaeroid derselben hat 1/200 – 1/250 Zoll im Durchmesser und bildet eine Zelle, von einer dünnen aber festen Membran umschlossen, welche einen klaren, fettig aussehenden Kern von 1/1400 – 1/800 Zoll Durchmesser enthält, umgeben von einer Masse von kleinen, zuweilen zellenförmig erscheinenden Körnchen. Die Zellen werden blos durch die gallertige Substanz zusammengehalten und haben keine andere Verbindung, doch strahlten zuweilen von jeder Zelle zarte, verzweigte, fein granulirte Fäden ringsum in die Gallerte aus. Endlich finden sich constant, entweder in der ganzen Gallertrinde zerstreut, oder um die einzelnen Zellen angehäuft, eine wechselnde Anzahl von sphärischen hellgelben Zellen (von 1/1600 Zoll Durchmesser). Huxley vergleicht diese Fundamentalstructur – eine Anzahl Zellen, durch Gallert vereinigt – einer thierischen Palmella. Die eben geschilderte Grundform entspricht derjenigen, die Müller später als Sphaerozoum inerme verzeichnet hat. Die Varietäten, die Huxley davon auffand, waren folgende: 1) Jede Zelle war von einer Zone von eigenthümlichen Krystallen, ähnlich den sternförmigen Spicula gewisser Spongien, umgeben, bestehend aus einem kurzen Cylinder, von dessen beiden Enden je 3 konische Aeste ausstrahlten, jeder Ast wieder mit kleinen Seitenfortsätzen versehen. L. c. pl. XVI, Fig. 1 – 3. Dies ist Müllers Sphaerozoum punctatum. 2) In einer seltneren Form war jede Zelle blau gefärbt und in ein Lager von dicht gepackten, sehr kleinen Körnchen (von nur 1/15000 Zoll Durchmesser) eingebettet und enthielt einige prismatische Krystalle von ungefähr 1/1000 Zoll Länge. Die Spicula der vorigen Art fehlten. Dafür war aber jede Zelle von einer sphäroiden, zerbrechlichen, durchsichtigen, von zahlreichen kleinen Oeffnungen durchbrochenen, also gefensterten Schale umschlossen. Die bei allen Formen vorkommenden hellgelben Zellen lagen noch innerhalb dieser Schale. L. c. pl. XVI, Fig. 6. Diese Form ist das erste beobachtete Beispiel einer zusammengesetzten, coloniebildenden Polycystine: Müllers Collosphaera Huxleyi. 3) Ein einziges Mal fand Huxley eine Gallert, in der die Schalen nicht einfach gefenstert waren, sondern wo sich jede der wenigen Oeffnungen der Schale in ein kurzes, am Ende quer abgeschnittenes Röhrchen verlängerte. L. c. pl. XVI, Fig. 5. Diese Form hat Müller als Collosphaera tubulosa, oder als neue Gattung: Siphonosphaera tubulosa, unterschieden.

          Ebenso wie Huxley das Verdienst gebührt, den Bau der schalenlosen und beschalten coloniebildenden Radiolarien, der Sphaerozoen und Collosphaeren zuerst genau untersucht und richtig erkannt zu haben, so gilt dasselbe auch von seiner Beschreibung der Thalassicolla nucleata, des Typus der schalenlosen solitären Radiolarien. Huxley fand diese Gallertkugeln so gross, als die punktirten Thalassicollen mittlerer Grösse, mit einer unregelmässigen schwarzen Centralmasse, umschlossen von einer Zone von klaren zarten Blasen. Zwischen diesen Blasen (Vacuolen, Alveolen), die von aussen nach innen an Grösse abnehmen, sind zahlreiche gelbe Zellen und sehr kleine dunkle Körnchen zerstreut. Ausserdem verlaufen dazwischen zahlreiche platte, verzweigte, sehr zarte Fäden, welche von dem innersten Lager ausstrahlen. In einem Exemplar waren diese Fäden dicht mit äusserst kleinen dunkeln Körnchen besetzt, welche eine active Bewegung zeigten, als ob sie entlang der Fäden circulirten, jedoch ohne bestimmte Richtung. In weniger als einer Stunde war sowohl diese Körnchenbewegung als die exquisit strahlige Anordnung der verzweigten Fäden verschwunden. Durch Rollen unter Druck konnte der centrale dunkle Körper von der umhüllenden Masse befreit werden und erschien dann als ein kugeliges Bläschen von 1/65 Zoll Durchmesser, dessen umschliessende Membran sehr fest, derb und elastisch war. Beim Bersten derselben trat als Inhalt ein sehr blasses zartes Bläschen heraus und eine heterogene Masse, bestehend aus Oelkugeln, zellen- und kernähnlichen Körperchen und einer feinkörnigen Grundmasse.

          Ueber die Stellung der Thalassicollen im Systeme spricht sich Huxley sehr vorsichtig aus, weist ihnen jedoch einen vorläufigen Platz unter den Protozoen, zwischen den Foraminiferen und Spongien, an. Er hebt hervor, dass die Thalassicollen keine Ausnahmsstellung im Thierreiche einnehmen, sondern sich ganz gut im Kreise der Protozoen unterbringen lassen, der durch die 4 Classen der Spongien, Foraminiferen, Infusorien und Gregariniden gebildet wird [Den Charakter des Protozoenkreises sucht Huxley, der damals herrschenden Theorie v. Siebolds und Köllikers zufolge, in der „Einzelligkeit“, d. h. „es sind entweder einfache gekernte Zellen oder einfache Aggregate von solchen unter sich ganz gleichen und coordinirten Zellen, welche nicht einem gemeinsamen Leben („common life“) untergeordnet sind“. Eine Art ihrer Fortpflanzung besteht in einer endogenen Zellenentwickelung, welcher ein der Conjugation der niederen Pflanzen (Algen) analoger Process vorhergeht.]. Thalassicolla nucleata wird einerseits mit Actinophrys, mit der sie sehr grosse Aehnlichkeit besitzt, andererseits mit Noctiluca zusammengestellt, welche damals nach Quatrefages Darstellungen für einen Rhizopoden galt, und deren innere Körnchenströme allerdings mit der äusseren Körnchenbewegung auf den Fäden der Thalassicolla ganz übereinstimmen. Für Thalassicolla punctata wird einerseits die Verwandtschaft ihrer Spicula mit den Kieselspiculis vieler Spongien, andererseits die Analogie der durchbrochenen Gitterschalen, welche bei manchen Formen die um die Zellen angehäuften Spicula vertreten, mit den durchbrochenen Kalkschalen vieler Foraminiferen (Orbitoides) hervorgehoben. Die offenbare nahe Verwandtschaft, welche Thalassicolla nucleata und Th. punctata in allen Einzelnheiten ihrer Structur, im Bau der Zellen, der Alveolen, der Fäden und der gelben Zellen zeigen, bestimmen Huxley zu der Annahme, dass beide nur verschiedene Zustände eines und desselben Thieres sind, und dass erstere wahrscheinlich nur eine losgelöste und vergrösserte Einzelzelle der letzteren darstellt. Mit Rücksicht auf die Aehnlichkeit der Thalassicolla nucleata mit Actinophrys und die damals noch gültige Vor-stellung, dass diese ein Reproductionszustand („reproductive stage“) gewisser Vorticellinen sei, tritt die Vermuthung nahe, dass Thalassicolla nucleata nur ein ähnlicher Reproductionszustand von Thalassicolla punctata sei, was durch die Aehnlichkeit der letzteren mit Aggregaten von Schwammzellen oder von Gregarinen (Navicella-Säcke) noch wahrscheinlicher wird. Thalassicolla nucleata kann in ähnlicher Weise aus Thalassicolla punctata hervorgehen, wie die Schwärmspore der Spongien aus aggregirten Spongienzellen.

          Huxleys genaue und sichere Beobachtungen über den Bau der Thalassicollen wurden 4 Jahr später von Johannes Müller in allen Punkten bestätigt. Müllers erste Mittheilungen über Radiolarien rühren aus dem Frühjahr 1855 her und betreffen Sphaerozoum und Thalassicolla [Monatsber. 1855, p. 299. 19. April. Johannes Müller, Ueber Sphaerozoum und Thalassicolla.]. Diese pelagischen Thiere mögen Müller, welcher die an der Oberfläche der See lebenden Thiere mit grösserem Fleisse und Erfolge, als irgend ein anderer Naturforscher, viele Jahre hindurch verfolgt und erforscht hatte, schon seit langer Zeit bekannt gewesen sein. Insbesondere müssen ihm die schon dem blossen Auge sichtbaren, häufig über 1 Zoll langen, punktirten Gallertmassen von Sphaerozoum und Collosphaera gewiss schon längst aufgefallen sein, da sie im Mittelmeer zu gewissen Zeiten in ungeheuren Schwärmen an der Oberfläche der See treiben und mit dem pelagischen Mulder, dem Auftriebe des feinen Netzes, in der Gesellschaft von Echinodermenlarven und ausgebildeten jungen Echinodermen, Medusen, Crustaceen, Pteropoden, Larven dieser und der Gasteropoden, Muscheln, Anneliden und andern Würmern, und Infusorien, zuweilen in grosser Masse gefischt werden. Indess scheint Müller über die selbstständige thierische Natur dieser bewegungslosen, nur passiv an der Meeresoberfläche umhertreibenden Gallertkörper lange Zeit zweifelhaft gewesen zu sein, wie wahrscheinlich schon manche frühere seereisende Naturforscher, denen dieselben nothwendig aufgestossen sein müssen, sie nur für Eier oder losgelöste Theile anderer Organismen und insbesondere für Aggregate von Mollusken-Eiern, von denen einige in der That sehr ähnlich aussehen, gehalten haben. Nach Müllers eigener Angabe hatten sie schon im August und September 1849, wo er sie in Nizza sehr häufig sah, und noch mehr im Herbst 1853 in Messina, wo er sie noch zahlreicher fand und auf den Excursionen „Meerqualster“ nannte, seine besondere Aufmerksamkeit erregt.

          Sobald sich Müller intensiver mit diesen Körpern zu beschäftigen anfing, erkannte er sogleich die Identität derselben mit den Sphaerozoen Meyens und den Thalassicollen Huxleys. Er giebt in seiner ersten Mittheilung mit seiner gewohnten Vorsicht dem letzteren Namen den Vorzug vor dem älteren Meyens, um über die thierische Natur der Körper, die ihm damals noch zweifelhaft war, nicht zu praejudiciren. Die Beschreibung Huxleys bestätigt er in allen Theilen und ergänzt dieselbe durch sorgfältige eigene Beobachtungen an verschiedenen Formen von Thalassicolla punctata. Sie finden sich nicht nur an der Oberfläche der See, sondern auch in tieferen Schichten, so weit das Auge eindringt. Erscheinungen von activen Bewegungen und Contractilität fehlen gänzlich. Von einer äussern Haut um die weiche Gallert ist keine Spur vorhanden. Die Spicula bestehen, wie Meyen schon vermuthete, in der That aus Kieselerde. Es sind aber keine Krystalle, sondern organische Skeletbildungen aus einem anorganischen Körper. Sie sind entweder, wie die gelben Zellen, im ganzen Qualster zerstreut oder bilden einen Hof um die grossen Zellen, welche dem blossen Auge als Punkte des Qualsters erscheinen. Diese Zellen nennt Müller „Nester“. Ihr Körnerinhalt, in dessen Mitte die wie ein Oeltropfen lichtbrechende helle Kugel liegt, ist von einer structurlosen Membran umschlossen. Zuweilen finden sich darin auch kleine prismatische Körperchen, wie Krystalle. Zuweilen sind die runden Nester in die Länge gezogen, bis doppelt so lang als breit, und dann meist ohne Spicula. Auch finden sich einzelne Nester, die aus 2 oder gar 3 mit einander verbundenen Zellen bestehen. Die gelben Zellen, welche meist zwischen Nest und Spicula liegen, umschliessen in einer deutlichen Membran gelbe Körnchen. Sie werden von Jod, in Verbindung mit Schwefelsäure oder Salzsäure, tief gebräunt, während die Gallert und die Nester nur gelb gefärbt werden. An den in der Gallert zerstreuten, nicht um die Nester angehäuften gelben Zellen tritt eine weitere Entwicklung zu Mutterzellen ein, indem der Inhalt durch Einschnürung in 2, seltener 3 oder 4 runde Kugeln auseinandergeht, die so gross als die noch ungetheilten gelben Zellen sind. Diese Vermehrungsart der gelben Zellen war Müller damals geneigt, auf eine Neubildung von Nestzellen zu beziehen (p. 238), indem er glaubte, dass die bis um das doppelte vergrösserten gelben Zellen unmittelbar in die sehr ähnlichen, kleinsten Nestzellen übergehen könnten, was um so wahrscheinlicher erschien, als er auch an diesen eine ähnliche Vermehrung durch Abschnürung in 2 – 3 Theile beobachtete. Indess diese letzteren färben sich niemals, wie die gelben Zellen, durch Jod und Schwefelsäure dunkelbraun, und später hat Müller selbst diese Vermuthung zurückgenommen (Abhandl. p. 6). Als eine Varietät von Thalassicolla punctata, oder vielleicht als eine besondere Art, Thalassicolla acufera, beschreibt er einen Qualster, dessen Nester von zweierlei Spicula umgeben sind: einfachen, langen, spitzen, leicht gekrümmten Nadeln, und dreischenkeligen Nadeln, deren Schenkel unter gleichen Winkeln von 120° auseinandergehen.

          Die Form der Thalassicolla punctata mit durchlöcherten Gitterschalen um die Zellenpunkte war von Müller ebenfalls bei Messina 1853 beobachtet worden und wird von ihm als besondere Gattung: Collosphaera, wegen des ganz verschiedenen Skelets, abgetrennt (p. 238). Die genaue Untersuchung derselben lieferte ihm folgende Resultate: Die Nestzellen und der Gallert-Qualster gleichen ganz denen von Th. punctata, bis auf die Spicula. Die in den Nestern eingeschlossenen Krystalle, deren Müller einmal bis 27 zählte, und die 1/60''' lang werden, sind rhombische Prismen, welche sich sowohl durch diese eigenthümliche Form, als durch ihre Unlöslichkeit in heissem Kali und in kalten concentrirten Mineralsäuren sehr auszeichnen. Sie gehören einem mit schwefelsaurem Strontian und schwefelsaurem Baryt isomorphen, schwerlöslichen Körper oder einer mit diesen isomorphen schwerlöslichen Verbindung an. Die Gitterschalen oder die Nestzellen bestehen aus Kieselerde ohne alle organische Grundlage. Sie erinnern sehr an manche der von Ehrenberg beschriebenen Polycystinenschalen, namentlich an die hohlen Gitterkugeln von Cenosphaera Plutonis, welche sich nur durch ihre rauhe Oberfläche und die gleichmässigen runden Löcher unterscheiden.

          Auch ächte Polycystinen aus den Gattungen Haliomma, Dictyospyris, Eucyrtidium und Podocyrtis hatte Müller 1853 in Messina lebend mit dem pelagischen Netze gefischt. Er glaubt aber, dass dieselben auf dem Grunde des Meeres leben und nur zufällig, wie auch andere schwerere, auf dem Grunde befindliche Körper, z. B. leere Polythalamienschalen, durch Strömungen fortgerissen und an die Oberfläche geführt werden. Dieser Umstand, sowie der andere, dass diese Thiere selbstständige Einzelwesen sind, entfernt sie von den mit ähnlichen Schalen versehenen Collosphaeren, welche an der Oberfläche leben und Bestandtheile eines grösseren Ganzen sind. Auch waren die lebenden Polycystinen nicht von einer zusammenhängenden Gallert umhüllt. In ihrer gegitterten Schale war eine weiche, dunkelgefärbte Substanz eingeschlossen, welche bei Eucyrtidium sehr regelmässig in 4 Lappen getheilt war und bei Haliomma Zellen von gelblichem Körncheninhalt, farblose Zellen und violette Molecularkörperchen enthielt. Aus den Löcherchen der Schale strahlten überall zarte, durchsichtige, discrete Fäden ohne Zweige und Gliederung aus. Sie zeigten keine Bewegung und erinnerten an die strahligen Fäden der Actinophrys und der Acanthometra.

          Unter dem Namen Acanthometra stellte Müller noch in derselben ersten Mittheilung (p. 248) eine neue Gattung von solitären pelagischen mikroskopischen Organismen mit Gallerthülle und Kieselstacheln auf, welche er häufig an verschiedenen Stellen des Mittelmeeres, in Nizza, Triest und Messina, ebenfalls mit dem feinen Netze von der Oberfläche der See gefischt hatte, wo sie passiv der Bewegung des Meerwassers hingegeben sind. Sie bestehen aus einer Anzahl (zwischen 10 und 30) sehr langer, nadelförmiger, gewöhnlich vierkantiger Kieselstacheln, welche alle im Mittelpunkt des weichen Körpers mit keilförmig zugeschnittenen inneren Enden zusammenstossen. Die Stacheln stehen radial in mehreren sich kreuzenden Ebenen paarweis gegenüber, so dass man mehrere, in einem gemeinsamen Centrum sich kreuzende Achsen der Gestalt unterscheiden kann. Gewöhnlich ist der Körper nach den verschiedenen Richtungen gleich lang strahlig, und also im Ganzen kugelig, zuweilen aber auch länglich, indem eine Achse länger als alle übrigen ist. Verbrennt man die Weichtheile, welche die feste Mitte umgeben, so hängen die kieseligen Stacheln noch nach dem Glühen in der Mitte zusammen, fallen aber sogleich, wenn man sie mit etwas Salzsäure benetzt, in der Mitte mit den keilförmigen, noch kantigen, inneren Enden auseinander. Die die Mitte umgebenden weichen Theile bestehen aus einer dunkelen, körnigen, organischen Masse, von einer durchsichtigen, zarten Haut bedeckt, und um diese herum liegt zwischen den Stacheln die Gallerte, in welcher man frisch äusserst zarte, durchsichtige, strahlige Fäden erkennt. Die charakteristischen Stacheln der Acanthometren sind weder einzeln, noch im Zusammenhange in fossilem Zustande oder in den Niederschlägen des Meeres beobachtet worden.

          Wie man aus dieser Zusammenstellung sieht, hatte Müller bereits in dieser ersten Mittheilung über die Thalassicollen, Acanthometren und Polycystinen nicht nur deren Bau, sondern auch die nahen Beziehungen, welche zwischen diesen scheinbar weit auseinandergehenden Organismen obwalten, im Wesentlichen richtig erkannt. Doch hinderte ihn die musterhafte Vorsicht, mit der er sich bei Beurtheilung jeder neuen Erscheinung immer nur streng an das Gebiet der feststehenden Thatsachen hielt, und jeden voreiligen Schluss sorgfältig vermied, schon damals alle 3 Gruppen in einer Abtheilung zu vereinigen. Auch hatte er zu jener Zeit die Körnchenbewegung an den Fäden noch nicht gesehen und die Zusammenstellung der Thalassicolla nucleata, die ihm damals noch nicht vorgekommen war, mit der Noctiluca durch Huxley selbst machte ihn bedenklich. Indessen wird bereits die Analogie der weichen Strahlenfäden der Acanthometren und Polycystinen mit denen der Actinophrys hervorgehoben. Bei Besprechung der Beziehungen zu anderen verwandten Naturkörpern macht Müller namentlich auf die grosse Aehnlichkeit der Kieselbildungen mit denen gewisser Schwämme aufmerksam. Die Acanthometren erinnern an die im Innern der Tethya in der Sarcodemasse versteckten Gemmulae, von denen man nicht einsieht, wie sie nach aussen gelangen können. Diese bestehen aus sehr zahlreichen radialen Kieselnadeln, welche im Centrum durch eine albuminöse Masse verbunden sind. Allein diese Spicula sind am centralen Ende abgerundet, ohne blattförmige Kanten. Auch weichen die Gemmulae schon durch die überaus grosse Zahl der Stacheln von den Acanthometren ab. Es ist also nicht wahrscheinlich, dass letztere mit den Spongien irgendwie zusammenhängen. Alles deutet vielmehr darauf hin, dass die Acanthometren selbstständige Organismen, wie die Polycystinen, sind. Weder die erstern noch die letztern trifft man jemals in Mehrzahl beisammen, als Bestandtheile eines grösseren Ganzen, entweder als mehrfach vorhandene Organeinheiten oder als gesellig verbundene Individuen, wie es die Nester der Thalassicollen sind. Doch ist die Aehnlichkeit der Collosphaerenschalen mit denen gewisser Polycystinen allerdings so gross, „dass man versucht sein könnte, die Meerqualster für Colonieen von Polycystinen zu halten“ (p. 247). Andererseits bieten auch die Schalen der Collosphaeren Analogieen zu den Siebkugeln der Tethyen und die Spicula der Thalassicollen Analogieen zu den Kieselspicula der Spongien dar. Allein die in der Form ähnlichen kieseligen Siebkugeln der Tethyen umschliessen keine Weichtheile und sind nur einzelnen Spicula aequivalent. „Dagegen haben die Kieselschalen der Collosphaera die Bedeutung einer Summe oder eines Hofes von Spicula um das wesentliche Zellengebilde, weil der Hof von Spicula um die Zellen der Thalassicolla und die Kieselschale um die Zellen der Collosphaera Aequivalente sind.“ Auch mit den sogenannten Gemmulae mancher Spongien und Spongillen, wie z. B. der Halichondria, könnte man versucht sein, die von Kieselgebilden umlagerten Zellen der Thalassicollen zu vergleichen. Auch diese Gemmulae sind bald mit Kieselnadeln, stachelförmigen Spicula, bald mit einer Kieselkruste von Amphidisken umlagert. Indess sind die Gemmulae selbst durch eine constante nackte Depression („Porus“) von den Nestzellen verschieden. Auch sonst sind die Analogieen schwach und ein wesentlicher Unterschied bleibt immer der, dass die Spongien festsitzen, die Thalassicollen frei im Meere herumtreiben. Die Analogie der Skeletformen kann überhaupt nicht allein entscheiden, da ähnliche Skeletformen bei sehr verschiedenen organischen Körpern vorkommen. Nadeln und Netzbildungen kommen häufig bei sehr nah verwandten Organismen, oft in einem und demselben vor. So finden sich Kieselspicula bei Spongien und Thalassicollen, Kieselnetze bei Spongien, Thalassicollen und Polycystinen. Ebenso giebt es Kalkspicula bei Spongien, Polypen, Echinodermen, Mollusken, Kalknetze bei Polypen und Echinodermen und bei letzteren eine Menge mikroskopischer, complexer, bald ungegitterter, bald gegitterter Kalkformen. Ebenso wenig als die Form, ist die chemische Grundlage des Skelets immer durchgreifend charakteristisch, wie z. B. bei den Spongien in den einen Gattungen Kalkskelete, in den andern Kieselskelete auftreten. Der völlige Mangel jedes Skelets bei Thalassicolla nucleata und dem offenbar nah verwandten Physematium, sowie die von Meyen bei letzterem erwähnte Eigenbewegung, und die von Huxley bei ersterer hervorgehobene, der von Noctiluca ähnliche, Körnchenströmung, lassen es Müller am räthlichsten erscheinen, beide vorläufig von den gallertigen pelagischen Organismen mit Kieselskelet zu entfernen.

          Grade die Ungewissheit über die gegenseitigen Beziehungen der Thalassicollen, Acanthometren und Polycystinen, und über ihre Stellung im System der organischen Körper, wie die negativen Resultate von Müllers sorgfältigen Bemühungen, über ihre Lebenserscheinungen klar zu werden, mit denen er diese erste Mittheilung im April 1855 schliessen musste, waren geeignet einen Mann von Müllers wissenschaftlicher Energie und Forschungslust aufs höchste zu weiteren Bemühungen anzuspornen, und so sehen wir denn, dass seine drei letzten Reisen an die Meeresküste, im Herbst 1855 nach Norwegen, 1856 nach Cette und Nizza, 1857 nach S. Tropez, fast ausschliesslich diesem Gegenstande gewidmet waren.

          Die Reise an die norwegische Küste, welche Müller im Herbste 1855 in Begleitung seiner Schüler E. Claparède, J. Lachmann, W. Schmidt und A. Schneider unternahm, erfüllte indessen ihren Zweck für Müller selbst nicht. Es war dies bekanntlich jene unglückliche Expedition, bei welcher das Schiff, auf dem Müller die Rückreise von Christiansand antrat, in der Nacht vom 9. zum 10. September durch Zusammenstossen mit einem andern Fahrzeuge Schiffbruch erlitt. Müller und Schneider retteten nur mit Noth schwimmend ihr Leben, während Schmidt ertrank. Der furchtbare, langandauernde Kampf mit den Wellen in der finstern Nacht machte auf Müller einen unauslöschlichen Eindruck und an die Stelle seiner besonderen Vorliebe für das Meer trat seit jener Zeit ein tiefes, unüberwindliches Grauen. Nie konnte er sich seitdem wieder entschliessen weder in der leichten Barke, noch auf dem sichern Dampfschiff, sich dem trügerischen Elemente anzuvertrauen. Dieser Umstand ist für die Geschichte unserer Radiolarien noch von besonderm Interesse. Es lässt sich nämlich mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Müllers Untersuchungen über die Organisation der Radiolarien und insbesondere über den Bau der zusammengesetzten Radiolarien, viel weiter vorgeschritten sein würden, wenn er auf seinen beiden letzten Reisen noch, wie früher, selbst hinausgefahren wäre, um der altgewohnten, liebgewordenen Fischerei mit dem pelagischen Netze obzuliegen. Er wäre dann ohne Zweifel auch auf den Gedanken gekommen, die zarten Meerqualster, welche durch den Mechanismus der pelagischen Fischerei fast immer getödtet oder wenigstens sehr beschädigt, und nur selten lebend erhalten werden, mit dem Glase von der Oberfläche wegzuschöpfen. Gewiss würden ihm so die völlig lebend gefangenen Thiere weitere Aufschlüsse über ihren Bau und ihre Lebenserscheinungen geliefert haben. So gross war aber seine Scheu vor der See geworden, dass er auch zu den gewohnten Barkenfahrten sich nicht mehr entschliessen konnte. Als ich ihn in Nizza im Herbst 1856 wiedersah, hatte er einen Fischer zu dem Geschäfte der pelagischen Fischerei abgerichtet und ebenso liess er sich auf der letzten Reise in S. Tropez die Gläser durch einen Fischer mit dem pelagischen Mulder füllen, aus dem er die Radiolarien heraussuchte.

          Die pelagische Fischerei 1855 an der norwegischen Küste blieb, wie gesagt, für Müller resultatlos. Jenes nordische Meer ist sehr arm an Radiolarien, und was er etwa dort gefunden, ging bei dem Schiffbruch mit verloren. Glücklicher waren seine Begleiter Claparède und Lachmann, welche in Bergen zurückgeblieben waren und auf der Bergen benachbarten kleinen Insel Glesnaesholm ihre Untersuchungen fortsetzten. Claparède beobachtete daselbst in grosser Menge eine grosse neue Acanthometra, A. echinoides, und zwei kleinere, A. pallida und A. arachnoides. Die Beobachtungen sind von Müller in den Monatsberichten von 1855 mitgetheilt [Monatsb. 1855, p. 674. 5. November.] und später von Claparède in dem von ihm und Lachmann herausgegebenen Infusorienwerke durch Abbildungen erläutert worden [Claparède et Lachmann, Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes. Genève 1858 – 59, p. 458. Echinocystida. Pl. XXIII, Fig. 1 – 6. Pl. XXII, Fig. 8 – 9.]. Acanthometra echinoides besitzt gegen 20 sehr starke, vierseitige, radiale Stacheln, welche an der verbreiterten und keilförmig zugespitzten Basis in 4 Blätter auseinandergehen. Mit den Blattkanten stossen die benachbarten Stacheln zusammen. Dazwichen [Anmerkung: sic !] hat jeder Stachel an der Basis einen rhombischen Schlitz, welcher in einen in der Längsachse des Stachels verlaufenden Canal führt, der sich sowohl an dessen Spitze, als durch mehrere seitliche Schlitze öffnet. In diesem Canal verläuft ein Faden, welcher an dem Basalschlitz ein- und an der Spitze austritt und ganz den andern Strahlenfäden gleicht, die allenthalben vom Körper ausgehen. Diese zarten, durchsichtigen Fäden zeigen dieselbe strömende Bewegung von kleinen Körnchen, wie die Strahlenfäden der Actinophrys. Die Strahlen der Acanthometren sind aber weniger steif, als die der letzteren, krümmen sich leise, verlängern und verkürzen sich, fast wie Tentakeln und Füsse, und sind die Ursache von ganz geringen Ortsbewegungen des Körpers. Zuweilen machen sie am Ende eine schwingende Bewegung wie Geisseln. Sie sind nicht Verlängerungen der äusseren Haut, sondern durchbohren dieselbe und setzen sich in radialer Richtung in die tiefere organische Masse fort. Diese enthält purpurrothe Pigmentkörner und gelbe Zellen, welche durch ihre Reaction gegen Jod und Schwefelsäure denen der Thalassicollen gleichen. Der kleineren Acanthometra pallida fehlen die Pigmente und 4 im Kreuz stehende Stacheln sind grösser als die 16 andern. Zwischen den Strahlenfäden war meist eine, zuweilen ganz fehlende, Gallertschicht wahrnehmbar, welche an todten Individuen, wo die Fäden nicht mehr sichtbar waren, am stärksten ausgebildet schien. Sehr abweichend verhielt sich die dritte Art, A. arachnoides, welche deshalb später von Claparède zu einer besondern Gattung, Plagiacantha, erhoben wurde. Sie besitzt nur 3 solide Kieselstacheln, die fast in einer Ebene liegen und deren jeder sich in 3 Gabeläste spaltet. An die mittlere Vereinigung lehnt sich der gelbliche, kugelige Körper an einer Seite an. Die Stacheln sind von einer zarten Schleimschicht überzogen, welche sich über die Spitze der Stacheln hinaus in gleiche Fäden, wie die der Acanthometren, verlängert. Gleiche Fäden verbinden auch brückenartig die verschiedenen Stacheln. Aus der späteren, ein wenig ausführlicheren und ergänzenden Beschreibung Claparèdes, in seinen Etudes etc. (p. 458) ist noch hervorzuheben, dass bei besonders starken Individuen von Plagiacantha arachnoides die Stacheln statt durch Schleim-, durch Kieselbrücken verbunden sind, und dass einmal ein lebendes Individuum beobachtet wurde, wo der mittlere gelbliche Kugelkörper fehlte und nur durch eine zarte Schleimplatte ersetzt war. Ferner wird hinzugefügt, dass die Fäden der Acanthometren sich verästeln und unter einander, wie die der Actinophrys, verschmelzen können. Hinsichtlich der Plagiacantha bemerkte Müller in seiner Mittheilung über Claparèdes Beobachtungen noch, dass dieselbe an Bacteriastrum erinnere, dessen in einer Ebene liegende Kieselstacheln ebenfalls getheilt sein können, aber darin abweichen, dass sie von einem mittleren kreisförmigen Theile des Skelets ausgehen. Auch einer frisch beobachteten Dictyocha wird noch beiläufig gedacht, deren sechsstrahliges Kieselnetz von einer gelblichen organischen Substanz erfüllt war, die das Netz auch auswendig überzog und verhüllte. Der Körper war niemals in weiche Strahlen verlängert. Endlich veröffentlicht Müller bei dieser Gelegenheit die genauere Beschreibung der 5 von ihm 1853 im Hafen von Messina lebend beobachteten Polycystinen, von deren kieseliger Gitterschale gleiche Fäden, wie die der Acanthometren, ausgingen, und deren innere organische, von der Schale umschlossene Masse ähnliche gelbe Zellen, wie die der Thalassicollen, zeigte [Monatsb. 1855, p. 671. 5 November. „Ueber die im Hafen von Messina beobachteten Polycystinen.“ (Haliomma polyacanthum, Haliomma hexacanthum, Eucyrtidium Zancleum, Dictyospyris Messanensis, Podocyrtis Charybdea.)].

          Bedeutend erweitert und vervollkommnet wurden Müllers Anschauungen über die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren durch den sechswöchentlichen Aufenthalt in Cette und Nizza im Herbst 1856 [Monatsber. 1856, p. 474. 13. November. „Ueber die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres.“]. Die treffliche Gelegenheit, viele neue Arten daselbst längere Zeit lebend zu beobachten, brachte Müllers Ansichten über die nahe Beziehung jener 3 Gruppen und über ihre Verwandtschaft zu den Polythalamien, dort zu einem bestimmten Abschluss. Insbesondere überzeugte er sich von der Identität der weichen Fäden mit denen der Polythalamien. Er beobachtete in Nizza nicht nur die Thalassicolla punctata Huxleys und seine Collosphaera Huxleyi, sondern auch Huxleys Thalassicolla nucleata (diese zum ersten Male) in vollkommen lebendem Zustande und sah die weichen Fäden derselben ganz in derselben Weise theilweis unter einander verschmelzen und wieder auseinandergehen, und die Körnchen auf denselben ganz ebenso in wechselnder Strömung an den Fäden auf- und ablaufen, wie bei den Polythalamien. Dasselbe sah er zugleich völlig übereinstimmend an vielen Polycystinen und Acanthometren und somit war die Stellung aller dieser Thiere in der Classe der Rhizopoden, bei denen allein solche Erscheinungen vorkommen, schon damals unzweifelhaft festgestellt. Da hiermit die thierische Natur auch der früher zweifelhaften coloniebildenden Thalassicollen (Thalassicolla punctata, acufera etc.) entschieden war, so trat der schon vorher von Müller vorgesehene Fall ein, Meyens Namen Sphaerozoum für die letzteren wieder herzustellen und die Gattung Thalassicolla auf die solitären Formen ohne Kieselgebilde (Th. nucleata und verwandte Formen) zu beschränken.

          Die völlig lebende Thalassicolla nucleata fand Müller stets ohne Spur einer äusseren Gallerthülle, die nur bei der todten vorhanden ist. Vielmehr sind am ganzen Umfang der Kugel nur die freien Enden der ausstrahlenden Fäden sichtbar. Dasselbe gilt von den Sphaerozoen und Collosphaeren, bei denen auch nur im Tode eine umhüllende Gallertmasse sichtbar ist. Auch die Körnchenbewegung an den Fäden ist nur im Leben sichtbar und hört im Tode sogleich auf. Im Leben strahlen die Fäden nach allen Seiten von den Nestern der Colonie aus; doch wurde eine Verbindung der Fäden verschiedener Nester nicht wahrgenommen. Die Fäden sind contractil; doch sind ihre Bewegungen äusserst schwach und langsam, ebenso wie die dadurch hervorgebrachten Bewegungen des Gesammtkörpers, die bei den Acanthometren als ein sehr langsames Drehen und Wanken der Gestalt gesehen wurden. Die von Huxley beschriebenen Blasen, welche den „Kern“ von Thalassicolla nucleata umschliessen, und zwischen denen die Fäden ausstrahlen und die gelben Zellen zerstreut sind, haben nicht die Bedeutung blosser Erweiterungen der Pseudopodien, sondern sind selbstständige, mit einer Membran versehene Blasen, welche öfter ein kleines Bläschen eingeschlossen enthalten. Dasselbe gilt auch von den wahrscheinlich identischen Alveolen in der scheinbaren Gallertmasse der Sphaerozoen. Von Sphaerozoum fand Müller einmal ein solitäres Nest, eine mit einigen wenigen Fäden und gelben Zellen dazwischen besetzte farblose Zelle, welche einen Oeltropfen enthielt. Ausser Sphaerozoum punctatum und acuferum wurden noch 3 andere Arten beobachtet, von denen sich eine, S. spinulosum, durch grade nicht zugespitzte Nadeln mit kurzen rechtwinklig abgehenden Seitenästen auszeichnet. Ob die Sphaerozoen ohne Kieselgebilde, welche mit sehr abweichenden Nestern vorkommen, eine eigene (S. inerme?) oder gar mehrere eigene Arten bilden, ist zweifelhaft. Bei einer solchen nackten Form., S. bicellulare, bestand jedes Nest aus 2 ineinandergeschachtelten, dünnwandigen Zellen.

          Die schon früher von Müller ausgesprochene Vermuthung, dass die Collosphaeren gleicherweise Colonieen von Polycystinen seien, wie die Sphaerozoen gesellig lebende Thalassicollen sind, erhielt nun ihre volle Bestätigung, da er lebende derartige Einzelwesen mit gegitterter Kieselschale sowohl in Cette, als in Nizza sehr häufig pelagisch fischte. Auch hier strahlen von dem lebenden Körper allenthalben die gleichen zahlreichen weichen Fäden aus, auf denen die kleinen Körnchen beständig auf- und ablaufen. Mit den Körnchen werden an der Oberfläche der Fäden auch benachbarte fremde Körper, Körnerhaufen, Schleimklümpchen etc. auf- und abgeführt. Wie bei den Acanthometren, Thalassicollen und Polythalamien, scheint auch hier die Bewegung ganz äusserlich an der Oberfläche der Fäden stattzufinden. Dagegen bemerkte Müller bei den Polycystinen nicht die bei den ersteren so häufigen Anastomosen der fadigen Ausläufer. Bei den nach einer Seite ganz offenen Polycystinen treten die Fäden nicht nur durch die kleinen Gitterlöcher der Schale, sondern in Menge auch auf der offenen Seite der Schale durch diese Mündung hervor. Stirbt das Thier, so hört die Körnchenbewegung auf, die vorher steif ausgestreckten Fäden werden schlaff, verschmelzen und werden durch eine gallertige Ausschwitzung verhüllt. Bei den Acanthometren, wo die Fäden viel weniger zahlreich als bei den Polycystinen sind, erscheinen sie auch nach dem Tode noch deutlich sichtbar, obwohl retrahirt und sehr verkürzt, als kurze, dicke Cilien. Jeder Stachel ist an seiner Basis von einer zapfenförmigen Verlängerung der Gallerthülle scheidenartig umgeben, und auf der Spitze jeder Stachelscheide steht eine bestimmte Anzahl solcher Cilien oder Fadenstümpfe, welche den Stachel im Kranz umgeben. Auch die Zahl der Stacheln ist bei den Acanthometren fest bestimmt und sie sind nach einem mathematischen Gesetze symmetrisch vertheilt. Meist sind es 20 Stacheln, selten mehr oder weniger, und für diese 20 lautet jene Formel: Zwischen 2 stachellosen Polen stehen 5 Gürtel von je 4 Stacheln, alle nach dem gemeinsamen Centrum der ganzen Sphaere gerichtet, und die Stacheln jedes Gürtels mit denen des vorhergehenden alternirend. Hinsichtlich des Verhaltens der Fäden zu den Stacheln schliesst sich Müller der Ansicht Claparèdes an, dass die Stacheln durchbohrt sind und dass die Fäden an der Basis der Stacheln durch einen Schlitz in deren Axencanal eintreten, in diesem verlaufen und durch die Spitzenöffnung des Stachels vortreten. Auch scheinen bei den Acanthometren die Fäden die häutige Kapsel der Weichtheile zwischen den Stacheln zu durchbohren und durch deren gefärbten Inhalt hindurch ihren Weg radial gegen das Centrum zu nehmen. Bei den Thalassicollen und Polycystinen dagegen war ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar und die Fäden liessen sich immer blos bis zur Aussenfläche der Pigmentkörner und Fetttropfen enthaltenden häutigen Kapsel verfolgen. Auch liegen hier die eigenthümlichen gelben Zellen immer ausserhalb der letzteren, während sie bei den Acanthometren (wenn vorhanden!) darin eingeschlossen sind. In einem Falle zeigte der Körperinhalt einer Acanthometra eine sehr merkwürdige Erscheinung, ein Gewimmel von kleinen Wesen, wie von Infusorien, von denen sich einige ablösten und umhertrieben. Als Müller sie bei stärkerer Vergrösserung unter dem Druck des Deckplättchens betrachten wollte, war die Bewegung bereits erloschen und es zeigten sich nur zahlreiche kleine, helle, runde Bläschen, von denen einige überaus zarte ähnliche Fäden, wie an den Acanthometren, abgingen.

          Alle Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren, welche Müller aus dem Mittelmeer erhielt, wurden pelagisch an der Oberfläche des Meeres mit dem feinen Netze gefischt, in Gesellschaft von lebenden Polythalamien (Orbulinen, Globigerinen etc.) und anderen echt pelagischen Thieren. Die Empfindlichkeit der Thierchen gegen die bei dieser Fangmethode unvermeidlichen Schädlichkeiten ist sehr verschieden. Während die Acanthometren meist äusserst zart und empfindlich sind, und deshalb gewöhnlich nur todt zur Beobachtung kommen, sind die Polycystinen unter denselben Verhältnissen fast immer lebendig. Ebenso sind die solitären Thalassicollen viel weniger empfindlich als die coloniebildenden Collosphaeren und Sphaerozoen, die man nur selten lebend erhält. Was die Localitäten betrifft, so fand Müller die Acanthometren reichlicher bei Cette, die Polycystinen reichlicher bei Nizza, die Thalassicollen ausschliesslich an der sardinischen Küste.

          An diese ausführliche Schilderung der allgemeinen Resultate seiner Beobachtungen schliesst Müller noch in dem erwähnten Bericht die Beschreibung der neu aufgefundenen Gattungen und Arten, 14 Acanthometren, 19 Polycystinen [Die 19 Polycystinenarten vertheilen sich auf folgende Gattungen: 2 Lithocircus, 1 Cladococcus, 1 Acanthodesmia, 2 Dictyosoma, 1 Spongosphaera, 9 Haliomma, 1 Stylocyclia, 1 Eucyrtidium, 1 Podocyrtis.] und einer Thalassicolla (Th. morum). Von besonderem Interesse sind darunter die Uebergangsformen, welche die 3 vorher getrennten Gruppen innig verbinden. Dass die Collosphaeren die Sphaerozoen und Thalassicollen mit den Polycystinen verbinden, war schon früher erwähnt. Dazu kommen nun noch die Mittelglieder zwischen den Acanthometren und Polycystinen, einerseits Claparèdes Plagiacantha (Acanthometra arachnoides), andererseits Müllers Acanthometrae cataphractae (unsere Dorataspis), deren Stacheln über der Körperoberfläche Querfortsätze entwickeln, welche zu einer unvollständigen Gitterkugel zusammentreten und sich so den Haliommen nähern.

          Müllers letzter Aufenthalt an der Meeresküste, im Herbst 1857, war wieder ausschliesslich dem Studium der Radiolarien gewidmet, welche er diesmal an einem neuen Punkte des Mittelmeeres, bei S. Tropez, an der Küste der Provence, aufsuchte [Monatsber. 1858, p. 154. 11. Februar.]. Er bereicherte die Zahl der lebend beobachteten Radiolarien um 9 neue Arten, 5 Polycystinen [Tetrapyle octacantha, Haliomma Amphidiscus, H. asperum, Lithocampe Tropeziana, Lithomelissa mediterranea.] und 4 Acanthometren [Acanthometra cruciata, A. lanceolata, Lithophyllium foliosum, Lithoptera fenestrata.], von denen mehrere ein besonderes Interesse darboten. Unter den Polycystinen ist besonders Tetrapyle octacantha zu erwähnen. Hier ist die gegitterte Schale mit 4 besonderen grossen Oeffnungen oder Schlitzen versehen, von denen je 2 auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers liegen. Aehnlich ist bei Haliomma Amphidiscus die plattrunde Gestalt in der Jugend am ganzen Umfange gespalten und wächst aus 2 uhrglasförmigen Scheiben zusammen. Unter den neuen Acanthometren zeichnet sich die neue Gattung Lithophyllium dadurch aus, dass sie statt der gewöhnlichen Stacheln dreitheilige Kieselblätter besitzt, deren Blattebenen mit Meridianebenen zusammenfallen. Bei Lithoptera breiten sich die nicht hohlen Stacheln entlang 2 gegenüber gelegenen Seiten in gegitterte Querfortsätze aus, so dass jeder Stachel an seinem Endtheil ein sehr breites, flaches, gefenstertes Geländer mit rechtwinklig gekreuzten Leisten bildet.

          Bei S. Tropez sah Müller auch dreimal die merkwürdige Thalassicolla morum wieder, welche er 1856 in Nizza aufgefunden [Monatsber. 1856, p. 477.], aber nur einmal beobachtet hatte: eine häutige, kugelige Kapsel mit gelblichem, zelligem Inhalt, zwischen den von ihr ausstrahlenden Fäden mit einer geringen Anzahl ungleich grosser, blauer, zackiger Körper besetzt, welche an Krystall-Drusen erinnern, aber mehr den Lithasterisken der Tethyen zu entsprechen und in die Kategorie der Spicula zu gehören scheinen. Andere neue Thalassicollen fand Müller bei diesem letzten Aufenthalte am Meere nicht. Dagegen wurde im folgenden Jahre von A. Schneider die Beschreibung eines neuen, der Thalassicolla verwandten Radiolars mitgetheilt [A. Schneider, Ueber 2 neue Thalassicollen von Messina. Müllers Archiv 1858, p. 38, Taf. III B. Fig. 1 – 4.], welches derselbe im Mai und Juni 1857 bei Messina häufig beobachtet hatte. Er stellt dasselbe unter dem Namen Physematium Mülleri mit Meyens Physematium Atlanticum in derselben Gattung zusammen; indess lässt sich bei der mangelhaften Analyse, die Meyen von seinen Physematien gegeben hat, schwer entscheiden, ob die von demselben beschriebenen Arten mit der bei Messina vorkommenden Species in den Gattungscharakteren wirklich übereinstimmen oder nicht vielmehr generisch verschieden sind. Physematium Mülleri unterscheidet sich von Thalassicolla besonders dadurch, dass das Aggregat von blassen, kugeligen Alveolen, welche die Hauptmasse des Thieres bilden, nach aussen durch eine besondere, zwar zarte, aber feste Membran abgeschlossen ist, welche den Umfang des Körpers kugelig begrenzt und von welcher erst die Fäden mit den Körnchen ausstrahlen. ln der Mitte des Körpers, der bis 5mm Durchmesser hat, liegt eine kugelige Zelle von 0,5mm Durchmesser, mit poröser Wand und mehreren blassen Kugeln im Innern. Nach aussen ist sie von einer Schleimschicht umhüllt, von der allenthalben verästelte, stärkere und schwächere, Schleimfäden ausstrahlen, die zwischen den Alveolen sich ausbreiten und nach aussen zur Hüllmembran verlaufen. Unter der letzteren liegen die „Nester“. „Sie unterscheiden sich von den Nestern des Sphaerozoum und der Collosphaera dadurch, dass sie keine besondere Membran haben. Jedes Nest besteht aus 4 – 5 keilförmigen Stücken, die mit der breiten Basis an die äussere Haut stossen und nach innen in feine Fäden auslaufen. Zu jedem Nest gehört eine fettartige braune oder orangerothe Kugel, von einer Gallertkugel umschlossen.“ Das Zusammenfliessen der äusseren Fäden und die Körnchenbewegung auf denselben verhält sich wie bei Thalassicolla. Auch „gelbe Zellen finden sich spärlich zwischen den Nestern zerstreut. Die Spicula sind längliche Nadeln, S- oder C-förmig leicht gebogen.“ Dass die Bezeichnung „Nester“, welche Schneider von den Individuen der zusammengesetzten Sphaerozoen und Collosphaeren entlehnt, für die eigenthümlichen Gebilde unter der äusseren Haut von Physematium nicht passend ist, weil dasselbe wegen der centralen Zelle und der äusseren Hüllmembran ein Einzelthier aus der Gruppe der Thalassicollen und keine Colonie darstellt, hat bereits J. Müller (Abhandl. p. 29) erwähnt. Die Thalassicolla caerulea, welche Schneider in demselben Aufsatze als neue Species beschreibt (p. 40, Taf. III B., Fig. 5 – 7.), ist von Huxleys Thalassicolla nucleata nicht specifisch verschieden, da die Farbe des bald blauen, bald rothen, bald braunen oder schwarzen Pigments bei dieser Art nicht constant ist und da auch der geformte Inhalt der centralen Zelle den mannigfachsten Abänderungen in Gestaltung und Zusammensetzung unterliegt.

          In dem letzten Aufsatze, mit dem Müller die Reihe seiner ausgezeichneten Arbeiten in seinem Archive schloss [Müllers Archiv 1858, p. 90. J. Müller, Geschichtliche und kritische Bemerkungen über Zoophyten und Strahlthiere.], und in welchem er die Classe der Radiaten als eine künstlich aus mehreren zusammengesetzte auseinanderlegt, wird auch die naturgemässe Stellung der Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren als Rhizopoden mit radiärem Typus erläutert. Cuviers Abtheilung der Radiaten ist unnatürlich und lässt sich nicht mehr als solche halten, da auch die Polycystinen ebenso ausgesprochen radiär sind. Von viel grösserer Wichtigkeit, als der symmetrische oder unsymmetrische Typus sind für die systematische Sonderung der grösseren Thierabtheilungen die typischen Differenzen im Ausbau gewisser Organe. So sind namentlich die Bewegungsorgane oft deutlich genug als bindende Unterschiede an die Spitze gestellt, wie bei den Rhizopoden die eigenthümlichen Wechselfüsschen oder Pseudopodien, bei den Echinodermen die wassererfüllten Ambulacren, bei den Würmern die subcutane Muskulatur. „Die Natur hat aber die allgemeinen Typen der Bewegungsorgane mit sehr verschiedenen Graden von Complication der Organsysteme verwirklicht.“ Wie sehr hinter dieser Bedeutung der Bewegungsorgane diejenige der Symmetrie zurücktritt, zeigen grade die Rhizopoden sehr deutlich. „Während in den Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren überall der vollendetste radiäre Typus, die vollkommenste radiäre Symmetrie herrschend ist, und dadurch eine Abtheilung von Rhizopoden mit radiärer Symmetrie, Rhizopoda radiaria, begründet wird, so ist dagegen der radiäre Typus in den nächstverwandten Rhizopoda polythalamia gänzlich untergeordnet und tritt vielmehr nur selten, wie in den Orbulinen, hervor, dagegen unter den mehresten der übrigen gewöhnlich der spirale oder schneckenförmige Typus herrschend ist. – Auch die Infusorien haben zum grossen Theil nichts Radiales an sich; viele, sogar die meisten, sind grade durch den Mangel der Symmetrie, sowohl der bilateralen, als radialen und spiralen, ausgezeichnet.“ Endlich bespricht Müller hier noch die Beziehung der Rhizopoden zu den nahverwandten, ebenfalls mit Pseudopodien versehenen Infusorien, seinen „rhizopoden Infusorien“ (Actinophrys, Amoeba, Arcella, Difflugia etc.) und schliesst mit folgendem Satze: „Ob die rhizopoden Infusoriengattungen mit den Polythalamien, Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren in eine Reihe gehören, bleibt so lange zweifelhaft, als es nicht gelingt, die für die Infusorien so charakteristischen Organe, welche den rhizopoden Infusorien mit den andern lnfusorien gemein sind, die contractilen Blasen und ihre Ausläufer, in den Polythalamien, Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren wiederzufinden.“

          Alles, was Müller in den erwähnten Aufsätzen über die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren einzeln veröffentlicht hatte, findet sich vereinigt und durch neue Zusätze vermehrt in der letzten Denkschrift, mit der er die Abhandlungen der Berliner Akademie zierte, der schon im Anfang erwähnten Abhandlung: „Ueber die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres“, welche erst nach seinem, am 28. April 1858 erfolgten Tode erschien. Die Denkschrift zerfällt in 5 Abschnitte. Der erste Abschnitt: „Ueber die Organisation und die Lebenserscheinungen“ ist ein Abdruck des im Monatsbericht der Akademie vom 13. November 1856 Mitgetheilten.

          In dem zweiten Abschnitte: „Ueber die Verwandtschaften und die Systematik“ (p. 16) werden die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren als nächstverwandte Rhizopoden mit radiär-symmetrischer Anlage, im Gegensatze zu den, nur ausnahmsweise radiären Rhizopoda polythalamia, unter dem Namen der Rhizopoda radiaria sive Radiolaria zusammengefasst und folgendermassen eingetheilt:

A. Einfache, Radiolaria solitaria.
1. Ohne Gehäuse, nackt oder mit Kieselspicula. Thalassicollen.
2. Mit kieseligem, netzartigem Schalengehäuse. Polycystinen.  
3. Ohne Gehäuse, mit kieseligen Stachelradien. Acanthometren.

B. Zusammengesetzte, Radiolaria polyzoa.
4. Ohne Gehäuse, nackt oder mit Kieselspicula. Sphaerozoen
5. Mit kieseligem, netzartigem Schalengehäuse. Collosphaeren.

          Hierauf bespricht Müller die Verwandtschaft der Rhizopoda Radiolaria mit den Polythalamien, welche auf Grund der Polycystinenschalen schon von Ehrenberg vor langer Zeit, und ehe die Pseudopodien der Polycystinen beobachtet waren, prognosticirt worden war. Die articulirten Gehäuse der offenen Polycystinen: Lithocampe, Eucyrtidium etc. entsprechen den gestreckten Polythalamien: Nodosaria, Dentalina etc., wie die Haliommatinen und Lithocyclidinen den Soriten und Melonien. Müller verfolgt diese Analogie weiter als Ehrenberg, indem er nachweist, dass die einzelnen Abtheilungen der Polycystinenschalen in der That den Kammern der Polythalamien entsprechen, und dass auch die Zahl der Abtheilungen bei den articulirten Polycystinen grade so wie bei den Polythalamien mit dem Alter durch Anwuchs neuer Glieder bis zu einem definitiven Ziele zunimmt. Besonders wird dann die Analogie der cyclischen Polythalamien (Orbitulites, Orbiculina, Cyclolina, Cycloclypeus) mit den aus ringförmigen Abtheilungen zusammengesetzten Lithocyclidinen hervorgehoben. Die letztern lassen sich aber wieder auf die articulirten Polycystinen reduciren, indem man einen weiten Trichter mit ringförmigen Abtheilungen (die Grundform der gestreckten articulirten Polycystinen) zu einer uhrglasförmigen Scheibe mit ringförmigen Abtheilungen (der Grundform der Lithocyclidinen) umwandelt. Auch ein Analogon der von Williamson in den Polythalamienschalen entdeckten Canäle, welche von der Centralkammer aus in den Scheidewänden der Kammern bis zur Oberfläche sich verbreiten und dort sich öffnen, glaubt Müller bei den Radiolarien wieder zu finden, und zwar in den Canälen, welche die Stacheln der Acanthometren und Haliommen durchbohren und zum Durchtritt der Pseudopodien dienen sollen. Am Schlusse dieses Abschnittes wird eine Begrenzung der Radiolarien, einerseits gegen die rhizopoden Infusorien, andrerseits gegen die Polythalamien versucht.

          Der dritte Abschnitt (p. 21) enthält Beobachtungen „über das Wachsthum“ mehrerer Polycystinen. Bei den gestreckten, articulirten, an einem Ende offenen Formen ist das Gipfelglied das erste und die Zahl der anwachsenden Glieder nimmt bis zu einem definitiven Ziele zu. Eine sehr eigenthümliche Art des Wachsthums von 2 Seiten findet sich bei Haliomma Amphidiscus, einer biconvexen Linse, welche in der Jugend am ganzen Rande offen (gespalten) ist und aus 2 uhrglasförmigen Scheiben zusammenwächst, die jederseits durch radiale Balken mit einer mittleren kugeligen Kernschale zusammenhängen. Dagegen wächst wahrscheinlich bei allen sphärischen Haliommen die Gitterschale aus mehreren Stücken von Gitter zusammen, die von den einzelnen Stacheln auswachsen, wie es von den Acanthometrae cataphractae gewiss ist. Es sind dies einfache Gitterkugeln mit radialen Stacheln, welche im Centrum, ohne eine Kernschale wie die Haliommen zu bilden, einfach zusammentreten. Die zu den einzelnen Stacheln gehörigen Gitterstücke sind zwar durch Nähte getrennt. Doch hält es Müller für sehr wahrscheinlich, dass diese Nähte später verwachsen und dass so aus den anfänglichen Acanthometren später kernlose Haliommen mit vollständiger Gitterschale und aneinandergelegten keilförmigen innern Enden der Stacheln entstehen, welche er als neue Mittelgattung: Haliommatidium unterscheidet.

          Im vierten Abschnitte: „Ueber die pelagische Verbreitung der Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren (p. 23) stellt Müller zunächst fest, dass alle diese Thiere jedenfalls, unter sonst günstigen äusseren Verhältnissen, in ungeheuren Massen an der Oberfläche der See leben, und in geeigneten Meeren von einer gewissen Tiefe bei günstigem Wetter und ruhiger See täglich im besterhaltenen lebenden Zustande zu Tausenden pelagisch gefischt werden können. Die erforderlichen Bedingungen, um sie in solcher Menge an der Oberfläche der See zu treffen, sind klares, salzreiches, nicht durch Süsswasserzuflüsse, Regengüsse und andere Beimengungen verunreinigtes Wasser, ruhiges, klares Wetter und nicht durch Sturm bewegte Oberfläche, ferner eine gewisse Tiefe des Wassers. Die geringste Tiefe, über welcher Müller sie jemals vorfand, war 18 Fuss, bei Cette, und 40 – 60 Fuss, bei Triest. Dagegen waren die Meeresstellen, an denen er sie bei Messina und S. Tropez fischte, zwischen 150 und 200 Fuss, und darüber, tief; und in Nizza, wo die Küste sehr rasch sich bis in Abgründe von 2000 Fuss versenkt, war die durchschnittliche Tiefe 1/2 Stunde vom Strande, wo die Thierchen sehr häufig waren, 720 Fuss. Hieraus geht unzweifelhaft hervor, dass dieselben nicht blos zufällig von ihrem Standort am Grunde durch Wellen und Strömung abgewaschen, und an die Oberfläche geführt sein können, wie dies gelegentlich mit auf dem Grunde lebenden kleinen Seethieren geschieht. Uebrigens will Müller hieraus keineswegs folgern, dass die Oberfläche des Meeres der einzige Aufenthaltsort der Radiolarien sei. Nur für die Thalassicollen, welche durch die in ihnen enthaltenen grossen Oeltropfen gradezu hydrostatisch sind, ist er geneigt dies anzunehmen. Dagegen hält er es hinsichtlich der Polycystinen und Acanthometren für wahrscheinlicher, dass sie auch unterhalb der Oberfläche auf grosse Wassermassen bis zu einer grossen, noch ungekannten Tiefe vertheilt sind, und dass sie auch auf dem Grunde des Meeres, auf Steinen und Algen, im Schlamm sich aufhalten und kriechend nach Art der Polythalamien leben können. Doch ist bisher noch kein Radiolarium lebend auf dem Seegrunde beobachtet worden und die durch Sondiren des Meeresgrundes gewonnenen Polycystinenschalen sprechen weder dafür noch dagegen, da sie erst nach dem Tode der Thiere in die Tiefe hinabgesunken sein können. Um diese Frage zu entscheiden, muss man die Thierchen mit dem Seewasser, als in ihrem natürlichen Vehikel, vom Grunde des Meeres heraufbringen, was mittelst der von Graff angegebenen Saugsonde geschieht.

          Der fünfte Abschnitt (p. 28) enthält die Beschreibung der von Müller im Mittelmeer beobachteten Gattungen und Arten der Rhizopoda Radiolaria, welche zum Theil schon in den Monatsberichten der Akademie vom Jahre 1855, 1856 und 1858 beschrieben worden waren. Es sind zusammen (nach Ausschluss der Collosphaera Ligurina, welche nur eine Varietät der C. Huxleyi ist) 50 Arten, von denen nur 4, nämlich die von Huxley zuerst beobachteten Thalassicollen (seine Thalassicolla nucleata, Müllers Sphaerozoum punctatum und inerme, und Collosphaera Huxleyi) bereits vor Müller bekannt waren. Unter den 46 neuen Arten befinden sich: 1 Thalassicolla, 24 Polycystinen, 18 Acanthometren und 3 Sphaerozoen (zusammengesetzte Thalassicollen). Die 50 Arten vertheilen sich auf 20 Gattungen, von denen 10 neu sind. Die neuen Arten sind auf den der Abhandlung beigefügten elf Kupfertafeln durch zahlreiche treffliche Abbildungen von J. Müllers eigener Hand erläutert.

          Rechnet man zu diesen 50 von Müller beobachteten Arten noch die 3 von Meyen gesehenen Species, die von Huxley gefundene Siphonosphaera, die 3 von Claparède beschriebenen Radiolarien und das von Schneider entdeckte Physematium, so beläuft sich die Gesammtzahl aller bis zum Jahre 1858 lebend beobachteten Radiolarien auf 58 Arten, welche sich auf 24 Gattungen vertheilen.

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Vorwort - Inhalt - 2. Kapitel

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Erstellt am 24. November 2001 von Norbert Anderwald.