Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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190 10. Ergänzende Bemerkungen über die Sialsphäre.

am Äquator und Transgressionen an den Polen entstehen müssen. Als Ursache solcher Abplattungsänderungen kämen unter anderem in Betracht Schwankungen der Rotationsgeschwindigkeit der Erde, wie sie neuerdings durch Beobachtungen festgestellt sind (aber ihre Deutung als solche ist noch ungewiß!), und weiter auch die Änderungen der Ekliptikschiefe; denn bei großer Ekliptikschiefe müssen die Gezeitenkräfte eine, wenn auch geringe Verlängerung der Erdfigur in Richtung ihrer Achse erzeugen, die bei kleiner Ekliptikschiefe in ihr Gegenteil, nämlich in eine Vergrößerung des Äquator-Radius übergeht, so daß bei wachsender Schiefe an den Polen Transgression, bei abnehmender Schiefe Regression zu erwarten ist, am Äquator umgekehrt.

4. Sofern die geologisch feststellbaren Polwanderungen so zu deuten sind, daß es sich um eine Verlagerung der Erdachse relativ zum ganzen Erdkörper handelt, müssen dieselben, wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde, eine sehr ergiebige Quelle von Trans-gressionswechseln sein. Wie dort gezeigt wurde, deuten die Erscheinungen in der Tat die Realität dieses Effektes an, indem vor dem wandernden Pol zunehmende Regression, hinter ihm Transgression zu herrschen scheint. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß sich diese Ursache als Hauptursache der Transgressionen erweisen wird, doch zeigt das Gesagte, daß daneben auch noch andere Ursachen in Betracht kommen, deren Zahl sich wohl sogar noch vermehren ließe.

Die unter 2. angegebenen Erscheinungen der Bruchdehnung und des Faltenzusammenschubs bilden neben den Transgressions-wechseln die zweite Haupterscheinung bei den Kontinentalschollen. Sie bilden seit langem Gegenstand der Tektonik. Wir wollen hier nur einiges hervorheben, was in diesem Zusammenhang von Interesse ist. Am längsten bekannt ist, daß sich die Entstehung der Faltengebirge unter beträchtlichem horizontalen Zusammenschub vollzieht, wenngleich auch dies von einigen Autoren noch heute bestritten wird, die die Entstehung der Faltengebirge auf grundsätzlich andere Weise erklären wollen, aber mit ihrer Auffassung so allein stehen, daß wir hier nicht darauf einzugehen brauchen. Wichtig ist, daß wir sowohl bei alten wie bei jungen Faltengebirgen keine Schwerestörung von derjenigen Größe finden, die vorhanden sein müßte, wenn diese Bergketten einfach der Erdrinde aufgesetzt wären. Zwar findet man vielfach in solchen Gebirgen gut meßbare Abweichungen von der vollkommenen Isostasie, und deren Diskussion ist von


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003