Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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9. Die verschiebenden Kräfte. 179

Die grundsätzliche Erklärung dieses Versuchs ist sehr einfach, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Schwerpunkt des Schwimmers nicht mit dem Schwerpunkt des von ihm verdrängten Wassers zusammenfällt, sondern bei aufrechtem Nagel oberhalb, bei abwärts gerichtetem unterhalb desselben liegt. Im Wasser herrscht, wie seine gekrümmte Oberfläche zeigt, ein radiales Druckgefälle, das durch die Zentrifugalkraft gerade kompensiert wird. Würde der Schwerpunkt des Schwimmers gerade mit dem des verdrängten Wassers zusammenfallen, so träte keine verschiebende Kraft auf, da sich dann auch für den Schwimmer der Druckunterschied auf der äußeren und inneren Seitenfläche gerade mit der Zentrifugalkraft kompensieren würde. Liegt sein Schwerpunkt aber, bei aufrechtem Nagel, nach oben und zwar senkrecht zum Wasserspiegel verschoben, so wird er dadurch zugleich der Achse genähert, die Zentrifugalkraft wird kleiner, und der Überschuß des Druckgradienten treibt den Schwimmer zur Mitte. Umgekehrt muß der Schwimmer bei abwärts gerichtetem Nagel zum Rande wandern, weil sein Schwerpunkt weiter von der Achse entfernt ist als der des verdrängten Wassers und jetzt also die Zentrifugalkraft über den Druckgradienten überwiegt.

Auf den ersten Blick scheint dieser Versuch gerade das Gegenteil der Polfluchtkraft zu liefern, weil die Kontinente mit ihrem höher gelegenen Schwerpunkt dem Schwimmer mit aufrechtem Nagel entsprechen. Man sieht aber leicht, daß diese Umkehrung des Effektes lediglich eine Folge der entgegengesetzten Krümmung der Flüssigkeitsoberfläche ist. Der Schwerpunkt der Kontinente liegt eben infolge der konvexen Krümmung der Erdoberfläche weiter von der Achse entfernt als der des verdrängten Simas, während im Versuch sein Achsenabstand verringert ist.

Wie aus dem Vorangehenden ersichtlich, ist die Polfluchtkraft ausreichend, um die Kontinentalschollen im Sima zu verschieben, doch nicht ausreichend, um die großen Faltengebirge zu erzeugen, die wir gerade in Verbindung mit der Polflucht der Kontinente entstehen sehen. Allerdings hat Berner mit Recht darauf hingewiesen, daß dies zunächst nur zutrifft, solange man den statischen Druck betrachtet, der durch eine nicht in Bewegung befindliche Kontinentalscholle vermöge der Polfluchtkraft in horizontaler Richtung ausgeübt wird. Anders liegen die Dinge, wenn wir z. B. annehmen, daß ein großer Kontinent sich vermöge der Polfluchtkraft, die dabei die Zähigkeit der Unterlage zu überwinden hat,

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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003