Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw.

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ist vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, erscheint mir aber doch wenig wahrscheinlich1).

Dazu kommt nun noch eine anderej empirische Prüfungsmöglichkeit, nämlich mit Hilfe der Transgressionswechsel.

Daß interne Achsenverlagerungen wegen der Ellipsoidgestalt der Erde und der verzögerten Anpassung derselben an die neue Achsenlage, während das Meer sofort folgt, mit systematischen Transgressionswechseln verbunden sein müssen, haben schon zahlreiche Autoren, wie Reibisch, Kreichgauer, Semper, Heil, Koppen u.a., ausgesprochen. Abb. 41 erläutert dies: Da der Ozean bei der Umorientierung des Äquatorwulstes sofort folgt, der Erdkörper aber nicht sofort, muß in dem Quadranten vor dem wandernden Pol zunehmende Regression oder Trockenlegung, in dem Quadranten

hinter ihm zunehmende

Trans- und Regressionen bei

Transgression oder Über- Polwanderung.

schwemmung herrschen. Da

der Äquatorradius der Erde um 21000 m größer ist als der polare,

so müßte bei der etwa 60° betragenden Polwanderung zwischen

*) Staub schreibt in seinem großen Werk über den Bau der Alpen [18; ähnlich auch in 215]: „Europa und Afrika wanderten gemeinsam nach N. Europa flieht von Afrika seit den Tagen des Perms, aber der gewaltige Koloß holt das kleine Europa schließlich im mittleren Tertiär ein, treibt die Böden des einstigen Ozeans zwischen Europa und Afrika als gewaltiges Gebirge über dasselbe hinaus und stößt es weiter nach N. Die Kontinentalverschiebung beträgt ... 50 Breitengrade für Afrika und rund 35 bis 40 für Europa." Die Breitenänderung Europa als Kontinentverschiebung zu bezeichnen, ist eine entschiedene Begriffsverwirrung. Die Folge ist ein unbegründetes und höchst wahrscheinlich unrichtiges physikalisches Bild des Vorgangs, welches die beiden Annahmen involviert, daß 1. Europa und Afrika sich um die angegebenen Beträge über ihre Unterlage verschoben haben (Krustenwanderung Europas nach Norden, widerlegt durch die Schwereverteilung), und 2. keine innere Achsenverlagerung der Erde stattgefunden hat (unwahrscheinlich gemacht durch die systematischen Transgressionswechsel). Das Beispiel zeigt — und viele andere ließen sich hinzufügen —, wie wichtig im gegenwärtigen Stadium dieser Probleme eine scharfe Begriffsbestimmung ist.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003