Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

Volltext

[Vorige Seite][Index][Nächste Seite]

8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw. 155

Stimmung gemacht, man hat sich vielmehr stets begnügt, relative oberflächliche Polwanderungen anzugeben, d. h. diese relativ zu einem beliebig gewählten Kontinent zu bestimmen. Koppen und der Verfasser [151] haben hierzu wieder den Kontinent Afrika benutzt und also die Polwanderung relativ zu Afrika beschrieben. Wählt man einen anderen Kontinent als Bezugskontinent, so wird natürlich die Polwanderung ganz anders. Nur wenn es keine Kontinentverschiebungen gäbe, würde man bei jeder beliebigen Wahl immer die gleiche Polwanderung, nämlich die absolute, finden. Wie verschieden die relative Polwanderung infolge der Kontinentverschiebung je nach der Wahl des Bezugskontinents ausfällt, möge Abb. 38 erläutern, welche dieselbe Polwanderung seit der Kreide, bezogen einmal auf Afrika und andererseits auf Südamerika, darstellt.

Auch die heutige Polwanderung, wie sie neuerdings aus den Beobachtungen des Internationalen Breitendienstes abgeleitet ist, läßt sich nur auf die Erdoberfläche beziehen. Es ist ein Markstein in der Entwicklung unserer Kenntnisse der Polbewegungen der Erde, daß es vor kurzem gelungen ist, diese heutige fortschreitende Polwanderung abzuleiten, nachdem man bis dahin immer nur periodische Schwankungen um eine unveränderte Mittellage des Pols feststellen konnte. 1915 leitete Wanach zuerst eine Verlagerung dieser Mittellage ab, konnte sie aber wegen ihres damals noch sehr geringen Betrages noch nicht für verbürgt halten1). Den ersten zahlenmäßig einwandfreien Nachweis brachte Lambert 1922, und vor kurzem hat Wanach [208] eine neue Ableitung der Pol Wanderung auf Grund der Beobachtungen des Breitendienstes von 1900,0 bis 1925,9 gegeben. Wir geben in Abb. 39 eine der Abbildungen Wanachs wieder, die die Dimensionen gut veranschaulicht. Die totale Polbewegung besteht bekanntlich in einer kreisähnlichen, bald mit größerem, bald mit kleinerem Radius vor sich gehenden Bewegung des Rotationspols um den Trägheitspol. Um die Abbildung nicht unübersichtlich zu machen, hat Wanach von dieser totalen Polbewegung nur drei Bruchstücke eingezeichnet, nämlich das mit besonders kleinem Radius von 1900,0 bis 1901,2, das mit sehr großem Radius von 1909,9 bis 1911,1 und wieder das mit kleinem Radius von 1924,7 bis 1925,9. Der Trägheitspol der Erde, der immer die

]) Schon 1912 habe ich in Petermanns Mitteilungen (S. 309) darauf hingewiesen, daß man mit dem Auge, das ja für Symmetrieformen äußerst empfindlich ist, die systematische Verlagerung des Mittelpunktes der vom Pol beschriebenen Kurven erkennen könne.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
Dieses Buch ist Teil von www.biolib.de der virtuellen biologischen Fachbibliothek..
© Kurt Stueber, 2003