Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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76 5. Geologische Argumente.

Am meisten in die Augen fallend sind die karbonischen Faltungen, welche E. Suess das armorikanische Gebirge nennt, und welche die Kohlenlager Nordamerikas als die unmittelbare Fortsetzung der europäischen erscheinen lassen. Dieses heute stark eingeebnete Gebirge zieht sich in Europa, aus dem Innern des Kontinents kommend, in bogenförmigem Verlauf zuerst gegen WNW, dann gegen W, um in Südwestirland und der Bretagne eine wild zerrissene Küste (sogenannte Riasküste) zu bilden. Die südlichsten, Frankreich durchsetzenden Faltenzüge dieses Systems scheinen in dem vorgelagerten Schelf ganz nach Süden umzubiegen und jenseits der buchförmig sich öffnenden Tiefseespalte der Biscaya auf der spanischen Halbinsel ihre Fortsetzung zu finden. Suess nannte diese Abzweigung den „asturischen Wirbel". Die Hauptketten aber setzen offenbar durch die nördlicheren Teile des Schelfes nach Westen fort, wenngleich durch die Abrasion der Brandungswoge abgehobelt, und weisen hier, eine Fortsetzung heischend, in den Atlantischen Ozean hinaus1).

Diese Fortsetzung auf amerikanischer Seite bilden, wie Bertrand zuerst 1887 entdeckte, die Ausläufer der Appalachen auf Neuschottland und dem südöstlichen Neufundland. Hier endigt gleichfalls ein karbonisches Faltengebirge, ebenso wie das europäische nach Norden gefaltet, indem es eine Riasküste erzeugt und davor wohl noch den Schelf der Neufundlandbank durchzieht. Seine Richtung, sonst nordöstlich, geht nahe der Abrißstelle in die rein östliche über. Schon nach den bisherigen Vorstellungen nahm man an, daß es sich um ein einziges großes Faltensystem handele, wofür E. Suess die Bezeichnung „transatlantische Altaiden" gebrauchte. Die Verschiebungstheorie bringt hier schon dadurch eine große Vereinfachung, daß die beiden Teilstücke in der Rekonstruktion fast zur gegenseitigen Berührung gebracht werden, während man bisher ein versunkenes Mittelstück annehmen mußte, das länger als die uns bekannten Enden wäre, was Penck schon als Schwierigkeit empfand. Auf der Verbindungslinie der Abrißstellen liegen einige vereinzelte Erhöhungen des Meeresbodens, die man bisher als Gipfel der versunkenen Kette betrachtet hat. Nach unseren Vorstellungen sind

J) Die von E. Suess abweichende Ansicht Kossmats [82], daß sämtliche europäischen Falten im ozeanischen Gebiet herumbiegen und nach der spanischen Halbinsel zurückkehren, dürfte schwer aufrechtzuhalten sein, da sich ein so großer Faltenbogen nicht mehr im Schelf unterbringen läßt.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003