Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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60 4. Geophysikalische Argumente.

zeitlich wie räumlich. Joly [56] sieht die Erklärung hierfür in dem Umstand, daß unter den Kontinentalschollen infolge der übermäßigen radioaktiven Wärmeproduktion die Temperatur beständig im Steigen ist, bis diese Schollen infolge der Schmelzung flott werden und sich über kühlere Teile der Erdkugel, vormalige Tiefseegebiete, hinüberschieben. In der Tat spricht für diese Deutung sehr die Tatsache, daß die geothemische Tiefenstufe in Europa im Mittel 31,7m, in Nordamerika aber im Mittel 41,8m beträgt. Dieser neuerdings viel diskutierte merkwürdige Unterschied besagt ja, daß das Erdinnere unter Nordamerika kühler ist als unter Europa. Daly meint wohl mit Recht: „Eine ausreichende Erklärung hierfür kann man in dem vergleichsweise rezenten Hinweggleiten Nordamerikas über die gesunkene Kruste des ehemals größeren pazifischen Beckens finden" [67].

An dieser Stelle wären natürlich auch diejenigen Autoren zu nennen, welche die Erscheinungen in der obersten Erdrinde auf „Unterströmungen" zurückführen, wie Ampferer [68], Schwinner [69] u.a. Nach Ampferer hätten Unterströmungen Amerika nach Westen entführt, und Schwinner nimmt in der flüssigen Schicht infolge ungleicher Wärmeabgabe Konvektions-strömungen an, welche die Kruste mitschleppen und da, wo die Bewegung nach unten umbiegt, zusammenschieben. Im Zusammenhang mit der übermäßigen radioaktiven Wärmeerzeugung in den Kontinentalschollen macht auch Kirsch [70] ausgedehnten Gebrauch von derartigen thermisch verursachten Konvektions-strömungen in der flüssigen Schicht. Er nimmt an, daß unter der ehemals zusammenhängenden Kontinentalscholle eine übermäßige Wärmeproduktion stattfand (Granitaufschmelzungen in Südafrika!) und zu einer Zirkulationsbewegung der flüssigen Unterlage führte, indem diese überall nach außen gegen die Tiefseebecken abströmte, hier infolge stärkeren Wärmeentzuges sich abwärts bewegte und mitten unter dem Kontinentalgebiet aufstieg. Durch die Reibung wurde dabei schließlich die Kontinentaldecke zerrissen und vom Strome nach allen Seiten auseinandergeführt. Kirsch kommt hier zu erstaunlich großen Strömungsgeschwindigkeiten und entsprechend kleinen Werten der Zähigkeit in der Schmelzschicht.

Alle diese Arbeiten zeigen jedenfalls das eine, daß wir heute in bezug auf den Zähigkeitskoeffizienten des Erdinnern und namentlich der einzelnen Erdschichten nicht dogmatisch sein dürfen; wir wissen noch gar nichts über ihn. Schweydars Ergebnisse sind aus dem


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003