Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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10 2. Das Wesen der Verschiebungstheorie.

runzelung bei der Schrumpfung des Erdinnern führte zu der unannehmbaren Konsequenz einer Druckübertragung innerhalb der Erdrinde über eine Strecke von 180 Großkreisgraden. Zahlreiche Autoren, wie Ampferer [13], Reyer [14], Rudzki [15], Andrée[16] u. a. haben mit Recht dagegen Stellung genommen und gefordert, es müßte die ganze Erdoberfläche gleichmäßig von der Runzelung betroffen werden, was ja auch der trocknende Apfel zeigt. Besonders war es aber die Entdeckung des schuppenartigen „Deckfaltenbaues" oder der Überschiebungen in den Alpen, welche die ohnehin schwierige Erklärung der Gebirge durch Schrumpfung immer unzulänglicher erscheinen ließ. Diese durch die Arbeiten von Bertrand, Schardt, Lugeon u. a. eingeführte neue Auffassung vom Bau der Alpen und zahlreicher anderer Gebirge führt zu weit größeren Beträgen des Zusammenschubs als die früheren Vorstellungen. Während Heim nach der letzteren noch für die Alpen eine Verkürzung auf 1/2 berechnete, findet er unter Zugrundelegung des heute allgemein anerkannten Deckfaltenbaues eine Verkürzung auf 1/4 bis 1/8 [17]. Da die heutige Breite etwa 150km beträgt, so wäre also hier ein Rindenstück von 600 bis 1200km Breite (5 bis 10 Breitengraden) zusammengeschoben. Aber in der jüngsten großen Synthese über den Deckfaltenbau der Alpen kommt R. Staub [18] in Übereinstimmung mit Argand sogar zu noch größeren Beträgen des Zusammenschubs. Er kommt auf S. 257 zu dem Schluß:

„Die alpine Orogenese ist der Effekt der Nordwanderung der afrikanischen Scholle. Glätten wir nur die alpinen Falten und Decken auf dem Querschnitt zwischen Schwarzwald und Afrika wieder aus, so ergibt sich gegenüber der jetzigen Distanz von rund 1800km schon ein ursprünglicher Abstand von rund 3000 bis 3500 km, also ein Zusammenschub der alpinen Region, alpin in weiterem Sinne gemeint, um rund 1500 km..Um diesen Betrag muß sich Afrika gegenüber Europa verschoben haben. Wir kommen damit also auf eine wahre Kontinentalverschiebung der afrikanischen Scholle um große Beträge"1).

In ähnlichem Sinne haben sich auch andere Geologen geäußert, wie z. B. F. Hermann [106], Edw. Hennig [19] oder Kossmat [2l],

1) Wie es scheint, sind die Schätzungen der Größe des Zusammenschubs der Alpen noch immer im Wachsen. So schreibt Staub neuerdings [214, ähnlich in 215]: „Denken wir uns nun aber diesen alpine

wohl dutzendfach übereinandergeschobenen Deckenhaufen wieder aus-


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003