Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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6 2. Das Wesen der Verschiebungstheorie.

Selbstverständlich sind viele Einzelfragen hierbei noch ungenügend geklärt. In manchen Fällen sind ehemalige Landbrücken auf Grund sehr dürftiger Anzeichen konstruiert worden und haben beim Fortschritt der Forschung keine Bestätigung erfahren. In anderen Fällen herrscht wenigstens noch keine völlige Einigkeit über den Zeitpunkt, zu dem die Verbindung erlosch und die heutige Trennung einsetzte. Aber bei den wichtigsten dieser alten Landyerbindungen herrscht doch heute schon unter den Spezialisten eine erfreuliche Übereinstimmung, ob sie nun ihre Schlüsse auf die geographische Verbreitung der Säugetiere oder der Regenwürmer, der Pflanzen oder eines anderen Teiles der Organismenwelt gründen. Arldt [11] hat aus den Äußerungen bzw. Karten von 20 Forschern l) eine Art Abstimmungstabelle über die Existenz oder Nichtexistenz der verschiedenen Landverbindungen für die verschiedenen geologischen Zeiten entworfen. Für die vier wichtigsten dieser ehemaligen Landverbindungen habe ich das Ergebnis dieser Auszählung graphisch in Abb. l dargestellt. Hierin sind für jede Landverbindung drei Kurven gezeichnet, nämlich die Zahl der bejahenden, die Zahl der verneinenden Stimmen und deren Differenz, also die Stärke der Majorität, letztere durch Schraffur der zugehörigen Fläche hervorgehoben. So zeigt die oberste Darstellung, daß die Verbindung Australiens mit Vorderindien, Madagaskar und Afrika (das alte „Gondwanaland") nach der Mehrzahl der Forscher seit kambrischen Zeiten bis zum Beginn der Jurazeit andauerte, zu diesem Zeitpunkt aber erlosch; die zweite Darstellung zeigt, daß die alte Landverbindung

auf der Nordhalbkugel fossil nachgewiesen sind. Für diese ist es nach ihm unzweifelhaft, daß sie einst mehr oder weniger universal verbreitet waren. Ist nun schon dieser Schluß nicht unbedingt zwingend, so noch viel weniger der weitere, daß wir eine universale Ausbreitung auch in allen den Fällen diskontinuierlicher Verbreitung im Süden annehmen dürfen, in denen ein fossiler Nachweis im Norden noch nicht stattgefunden hat. Wenn er so alle Verbreitungseigentümlichkeiten ausschließlich durch Wanderungen zwischen den Nordkontinenten und ihren mediterranen Brücken erklären will, so steht diese Annahme durchaus auf ganz unsicherem Boden." (Arldt [135].) Daß sich die Verwandtschaften der Südkontinente einfacher und vollständiger durch unmittelbare Landzusammenhänge erklären lassen, als durch parallele Abwanderung vom gemeinsamen Nordgebiet, bedarf wohl keiner Erläuterung, wenn auch in einzelnen Fällen der Vorgang sich so abgespielt haben kann, wie Pfeffer annimmt.

') Arldt, Burckhardt, Diener, Frech, Fritz, Handlirsch Haug, v. Ihering, Karpinsky, Koken, Kossmat, Katzer,

Lapparent, Matthew, Neumaryr, Ortmann, Osborn, Schuchert

Uhlig, Willis.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003