Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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550 Von Ambon nach Banda. Heimkehr durch Indien.

der Heimat bleiben, wo die Selbstlosigkeit der Motive sich unserm Auge weniger überzeugend darstellt. Vor einer zu optimistischen Beurteilung des menschlichen Charakters wird der Reisende, der unter schwierigen Verhältnissen mit allen möglichen Sorten von Menschen in Berührung kommt, ebenfalls geschützt sein. Er wird sich gewöhnen, objektiv zu beobachten und wird finden, daß unter den Weißen und Schwarzen, Australiern und Deutschen, Männern und Weibern immer dieselben Leidenschaften, Schwächen und Tugenden wiederkehren, immer dasselbe Thema, aber verschieden gesetzt, verschieden variiert, überall wiederklingt, wo Menschen leben, lieben und hassen. Das Gemeinsame der Menschennatur in all ihren Verkleidungen herauszuerkennen und das Charakteristische jeder einzelnen Variation zu erfassen, ist ein weiterer Genuß, der der verständnisvollen Versenkung in ein großartiges Kunstwerk oder eine wunderbare Landschaft ebenbürtig ist.

Vielfach versucht man es, den Wert der Kolonien für das Mutterland auf Heller und Pfennig zu berechnen, indem man fragt, was sie dem letzteren unmittelbar einbringen. Mit Recht wird hiergegen geltend gemacht, daß der indirekte Nutzen: die lebhaften gegenseitigen Handelsbeziehungen, der Reichtum, den die Einwanderer aus den noch ungehobenen Schätzen der Kolonien ziehen und später mittelbar oder unmittelbar dem Mutterlande wieder zuführen, die direkten Einnahmen aus den Überschüssen unendlich übertrifft.

Noch viel höher möchte ich aber den Nutzen anschlagen, den die gesteigerte Lebenserfahrung, die Erweiterung des Horizonts auf die Persönlichkeit derjenigen ausübt, die draußen geweilt haben. Daß der Aufenthalt in fernen Ländern unter ungeregelten Verhältnissen für manche Naturen eine Schule des Lasters und der Brutalität werden kann, ist nicht zu verkennen. Doch auf die Mehrzahl der Jugend, der es vergönnt ist, draußen die Pionierarbeit zu vollführen, wird jene entsagungsvolle, aber an neuen Eindrücken und ungewöhnlichen Erlebnissen reiche Zeit sicher erzieherisch wirken, und der geistige Zuwachs, den jeder Einzelne heimbringt, kommt der Gesamtheit zu gute. Dieser ideale Wert der Kolonien für ein Volk ist ihrem materiellen mindestens gleich zu achten.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003