Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Schlußbetrachtung. 549

der Heimat zuführen soll. Am 15. April nahm ich Abschied von den sonnigen Küsten Indiens, zehn Tage später winkten mir die schneebedeckten Berge Kretas den ersten Willkommensgruß Europas zu. An den schroffen, kahlen Höhen von Zakynthos vorüber, dann durch die schmale Meerenge zwischen Kephalonia und Ithaka trägt uns das Schiff nach Brindisi. Es war am 28. April, als wir anlangten; im Frühlingsschmuck lag Italien da; im Frühlingsschmuck, den die Tropen nicht kennen, begrüßte mich die deutsche Heimat.

Wenn ich zum Schluß zurückblicke und mich frage, was ist mir diese Reise gewesen, so denke ich nicht der greifbaren Förderung, die meine wissenschaftlichen Arbeiten durch Gewinnung eines reichen und in vieler Beziehung sehr eigenartigen Materials erfahren haben. Viel höher schätze ich die große Anregung auf allen Gebieten naturwissenschaftlichen Denkens, die den reisenden Forscher veranlassen, unendlich Vielem Beobachtung und Nachdenken zu widmen, das für ihn zu Hause, wo er allein den Weg seiner Spezial-forschung zu wandeln gewohnt ist, nicht vorhanden ist. Nicht Zersplitterung, sondern einseitige Spezialisierung ist die Hauptgefahr, die heute die Vertreter der so hoch, aber deshalb so spezialisiert entwickelten Naturforschung bedroht. Da wirkt denn die Reise ins große Meer allgemeiner Naturerkenntnis auf den jungen Forscher wie die Meerfahrt des Lachses auf das Fischlein, das in seinem kleinen Fluß groß geworden ist, sich dort heimisch weiß und, bevor es seine große Reise ins Weltmeer angetreten hat, kaum ahnt, daß es draußen auch noch Wasser gibt.

Ebenso wichtig wie der Gewinn, den der Forscher aus einer solchen Reise zieht, ist aber die Förderung, die der Mensch als Mensch erfährt, die reiche Fülle ästhetischer Genüsse, die Übung des Auges und aller Sinne, die Ausdehnung des Horizonts und der Urteilsfähigkeit durch die Vervielfachung der Vergleichungsobjekte. Wallace sagt scherzend, allein der Genuß, Durian zu essen, lohne eine Reise in den Osten. Er hat darin schon recht, aber noch mehr lohnt es sich, der Gesellschaft der eigenen Verwandten und alten Freunde zeitweilig zu entsagen, um dafür draußen fremde, uns durch keinerlei Bande verknüpfte Menschen kennen zu lernen, die hochherzig und ohne jedes eigennützige Motiv den fremden Wanderer bei sich aufnehmen und seine Bestrebungen opferwillig unterstützen. Solche Erfahrungen, die auf einer langen Reise in fremden Ländern jeder machen wird, der sich ihnen nicht künstlich verschließt, sind geeignet, uns den Glauben an eine eingeborene Güte der menschlichen Natur viel eindringlicher zu Gemüte zu führen, als wenn wir im abgegrenzten Kreise


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003