Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Die Insel Ambon.

Boote aus bis in große Tiefe hinubzusehen. Auf dem von Korallen überzogenen Grunde enthüllt sich dann dem Auge die wundersame Welt der sonderbar gestalteten und prachtvoll gefärbten Seetiere, die, zum Teil festgewachsen, wahre Beete von bunten Blumen oder zierlich verzweigten Büschen darstellen, so daß man in einen unterseeischen Garten zu schauen glaubt. Die Holländer nennen diese Bildungen auf Ambon denn auch treffend »Tuine«, Gärten. Eine schwache Vorstellung von ihnen erhält man, wenn man unsere Seewasseraquarien betrachtet, in denen eine bunte und vielgestaltige Seetierwelt auf einen engen Raum zusammengedrängt und unter Verhältnisse gebracht ist, die der Betrachtung besonders günstig sind. Die geschützte Lage der Bai von Ambon bewirkt, daß an manchen Tagen die Betrachtung des Meeresbodens ebenso ungehindert ist, als unter den künstlichen Verhältnissen des Aquariums, eine Bedingung, die wir in der Natur sonst nur recht selten antreffen. Denn wo die Tierwelt üppig ist, ist das Wasser meist bewegt, und wo das Wasser vorwiegend ruhig ist, entfaltet sich selten ein so üppiges Tierleben wie in der Bai von Ambon.

Der Anblick der natürlichen Tuine übertrifft aber den jedes künstlichen Aquariums unendlich, denn alles, was man sieht, ist in viel größerem Stile angelegt, wir haben den Eindruck, wirkliche Natur zu beobachten, und sehen tropischen Urwald statt eines wohlgepflegten Ziergärtleins. Die ästigen Korallen bilden wahre Wälder, die knolligen Formen Hügel und Berge, dazwischen und darauf wuchern dichte Massen von purpurnen Weichkorallen, Alcyonarien. welche in unsern Meeren sehr zurücktreten, während hier und da eine andre Weichkoralle, die auch im Mittelmeer heimische Seefeder, ihre reizend gefiederte Fahne schlank emporreckt. Jedes Fiederchen ist mit Hunderten von zarten Einzelpolypen besetzt, deren Aufgabe es ist, die Nahrung für das ganze Stockgebilde aufzunehmen und die Art fortzupflanzen.

Zahlreich sind die einzelnen »Seeanemonen« oder »Seerosen« vertreten, Einzelindividuen mit einem zarten, oft prachtvoll gefärbten Tentakelkranz, der wie aus buntem, durchsichtigem Glas gefertigt erscheint. Diese entzückenden Geschöpfe, die wie Blüten eines Paradiesgartens aussehen, sind höchst gefährliche Räuber. Wehe dem Fischlein oder Krebs, der mit jenen Tentakelkränzen in Berührung kommt. Tausende von giftigen Nesselfäden werden herausgeschleudert, heften sich an den Körper des Opfers, andere Tentakel kommen zu Hilfe und ziehen das wehrlos gemachte Geschöpf in die Mitte des Blutenkelches. Dort öffnet sich ein gefräßiger Mund und die Beute


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003