Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Tjibodas. 461

viel Regen wie in Buitenzorg, aber die größere Höhe macht das Klima besonders herrlich und verleiht dem Weißen für seine Arbeit eine Spannkraft und Frische, die er unten nicht kennt.

Wohin uns auch unser Schritt führt, da eröffnen sich uns in Nähe und Ferne entzückende Bilder. Über die Schlucht hin, in deren Grund ein munteres stürmisches Gebirgswasser dahinrauscht, blickt man auf eine grüne Pflanzenmasse von solcher Dichtigkeit und solchem Wechsel der Zusammensetzung, daß man ein ganzes Buch schreiben müßte, um jeden einzelnen Busch oder Baum zu beschreiben. Denn das ist eine der charakteristischen Eigenschaften der Tropenvegetation: die Waldbäume und die Gebüsche gehören nicht wie in unsern Wäldern wenigen Arten an, sondern fast jedes Individuum, welches wir untersuchen, ist Repräsentant einer eigenen Art. Waldungen, die sich gleichmäßig aus einer oder wenigen Arten zusammensetzen, wie unsere Buchen- oder Eichen-, Tannen- oder Kiefernwälder, kommen so gut wie gar nicht vor. Nur erinnere ich mich, gelegentlich auf den Molukken Striche des Waldes durchwandert zu haben, deren Baumwuchs ausschließlich aus Bambus bestand.

Blicken wir von der Terrasse, auf der das Haus steht, in die Ferne, so sehen wir vor uns am Fuße des Berges das Plateau, auf welchem Tjiwalen und Tjipanas liegen; weißschimmernde Wasserflächen sind in dasselbe eingestreut, dann folgen coulissenartig hintereinander aufsteigende Bergzüge, jede fernere Reihe in zarteren Duft gehüllt, und ganz in der Weite die zackigen Hochgipfel einer mächtigen Vulkankette. Den ganzen Tag über pflegte ich im Walde herumzustreifen, oft allein, zuweilen begleitet von meinem Schmetterlingsfänger Neïbi und dem »Waldjungen«, das heißt Planzensammler des Gartens von Tjibodas, Sapiën. Mein träger Diener Kudjong war mir am Tage nach meiner Ankunft oben nachgekommen, ich hatte ihn aber sofort entlassen.

Es war mir im hohen Grade interessant, mich hier auf einmal inmitten eines ganz anderen Tierlebens wiederzufinden, als ich es von Australien und Neu-Guinea her gewohnt war. Die Beuteltiere sind verschwunden, dafür schaukeln sich Affen (Cercopithecus cynomolgus) in den Wipfeln der Bäume, wirkliche Eichkätzchen springen von Ast zu Ast. Hier gibt es Spitzmäuse, Marder, zahlreiche Viverra-Katzen, auch Panther. Tiger sind am Gedeh wohl ausgerottet. Während meiner Anwesenheit in Buitenzorg machte aber ein Tiger, und zwar ein wirklicher »Menschenfresser«, die westlichen Abhänge des Salak unsicher und verstand es, sich monatelang der Verfolgung zu entziehen.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003