Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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430 Neu-Guinea. Vom Südkap bis zum Ostkap.

verhältnismäßig- kleiner Teil, und alles, was ich sage, gilt streng genommen nur für den Südosten der Insel. Aus den Berichten und Bildern anderer Reisender kann ich ersehen, daß die Ethnographie und Anthropologie der Papuas von Neu-Guinea in mannigfacher Weise kompliziert ist und zahlreiche lokale Eigentümlichkeiten zeigt. Dennoch aber scheint mir aus allem mit großer Bestimmtheit hervorzugehen, daß wir es im großen und ganzen mit einer einheitlichen Rasse zu tun haben, die trotz der verschiedenartigen Einwirkungen ihrer näheren und ferneren Nachbarn ein Ganzes darstellt.

Die körperlichen Eigenschaften der Papuas habe ich schon auf Seite 352 geschildert und habe an verschiedenen Stellen meiner Erzählung auf die bedeutenden Schwankungen hingewiesen, die die Stämme vom Golf von Papua bis zum Ostkap in ihrer Körpergröße und Hautfarbe erkennen lassen. So bedeutend diese Differenzen sind, und so deutlich sie hervortraten, hatte ich doch niemals den Eindruck, als ob es sich dabei um wesentlich verschiedene Rassen handle, mehr um Spielarten eines Grundtypus, der in Physiognomie, Schädelbau und allgemeiner Körperform immer deutlich hervortritt. Es ist sicher, daß an der Ostspitze Neu-Guineas eine stärkere Vermischung mit polynesischen Elementen eingetreten ist als weiter westlich. Auch in der Sprache soll sich dies ausprägen. Doch dominiert auch an dem Ostkap und in Milne-Bay das echt Papuanische so sehr, daß wir durchaus nicht jene Stämme von unsern Betrachtungen auszuscheiden brauchen.

Wer die Erzählung meiner Fahrt gelesen hat, der wird, wie ich hoffe, auch von dem Charakter der Papuas ein Bild erhalten haben, von ihrem lebendigen, impulsiven, sorglosen Wesen, ihrem heiteren Temperament, der rückhaltlosen Art, mit der sie ihren Empfindungen und Stimmungen Ausdruck geben, ihrem Familiensinn, der sich in freundlicher Behandlung der Frau und Kinder, in aufrichtiger Trauer um den Tod ihrer Verwandten äußert. Die Papuas sind leidenschaftliche Menschen, und in ihrer Leidenschaftlichkeit liegen auch die Schattenseiten ihres Charakters begründet: ihre Begehrlichkeit nach schönem Besitz, den sie in der Hand von Fremden sehen, die Unzuverlässigkeit, mit der sich Viele, nicht Alle, fremden Besuchern gegenüber benehmen, die rücksichtslose Art ihrer Kriegführung, die Raschheit, mit der ihr Zorn aufflammt und wieder erlischt.

Gute und ausdauernde Arbeiter sind die Papuas nicht. Eine ernstere Lebensauffassung ist ihnen in jeder Beziehung fremd, und als echte Kinder ihrer schönen sonnigen Heimat führen sie ein Dasein, das in Freud und Leid wesentlich dem Augenblicke hingegeben.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003