Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Besitzen die Fische ein Gedächtnis?

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Namen kann ich nicht mitteilen, denn ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich keinen meiner Sammlung zu nachträglicher Bestimmung einverleibt hatte, sondern es vorzog, mit ihrem zarten, würzigen Fleisch unsere Konserven- und Schiffszwiebackskost zu unterbrechen. Ich suchte immer nach kleinen Exemplaren zum Konservieren, fand aber stets nur große zum Kochen. Also wir kochten unsere Krabben auf der Weiterfahrt an Bord und hielten ein schwelgerisches Krebsessen. Als ich nun die leeren Schalenteile einen nach dem ändern über Bord warf, bemerkte ich eine Anzahl Fische von etwa ein Viertel Meter Länge, die jedesmal blitzschnell unter dem Boote hervorschossen, sobald etwas ins Wasser fiel, die Brocken wegschnappten und wieder verschwanden. In ihren Bewegungen glichen sie ein wenig kleinen Haifischen. Der nächste Brocken, den ich ins Wasser warf, barg einen Angelhaken und an ihm hing unmittelbar darauf ein Fisch, den ich sogleich als Echeneis erkannte. Ich wollte noch mehr fangen und warf meine Angel wieder und wieder aus. Sie blieb unberührt, ebenso wie die weiteren Brocken, die wir darauf ohne Angel ins Wasser warfen. Wo waren die Genossen unseres Gefangenen geblieben, die sich vorher so gierig zur Teilnahme an unserem Mahl gedrängt hatten? Offenbar widerstanden sie, gewitzigt durch das Schicksal ihres Kameraden, allen Lockungen und blieben diesen ganzen Tag über hartnäckig mit ihren Saugscheiben an den Kiel unseres Bootes angeheftet. Dies läßt auf einen so bemerkenswerten Grad von Beobachtungsvermögen und Gedächtnis1) schließen, wie es mir sonst noch bei keinem ändern Fisch vorgekommen ist. Weiß doch jeder Angler, daß die Fische sich immer wieder um den Köder drängen, mag man auch noch so viele andre vor ihren Augen fangen und zappelnd aus dem Wasser ziehen, ja mag man sogar sie selbst schon einmal oder öfter an der Angel gehabt haben. Übrigens fing ich später auf gleiche Weise noch einige Male eine Echeneis, jedesmal aber nur eine.

Es kommen in der Torresstraße zwei Arten des Fisches vor: Echeneis naucrates und Echeneis remora. Man hat bis jetzt darüber nicht ins Klare kommen können, zu welchem Zweck sich die Schiffhalter an Schiffe, Schildkröten und große Fische anheften. Meine kleine Beobachtung klärt, wie ich glaube, diesen Zweifel auf. Die

i) Neuerdings (1899) hat der bekannte Hirnanatom und Physiolog L. Edinger eine Sammelforschung über die Frage angestellt, ob die Fische ein Gedächtnis besitzen. Wie zu erwarten stand, ist die Antwort bejahend ausgefallen. Ähnliche Beobachtungsresultate wie die von mir bei Echeneis gewonnenen wurden Edinger vom Blei, Abramis brama, und Aland (Idus melanotus) berichtet.


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003