Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Australische Giftschlangen. 203

Jahreszeit, die im südlichen und mittleren Queensland etwa zwei Monate, in den südlicheren Kolonien etwas länger dauert, hört und liest man wenig von Schlangenbissen. Die Tiere halten sich dann mehr versteckt und kommen höchstens mittags hervor, um sich an warmen Hängen zu sonnen. Schon im August werden aber die Schlangen wieder lebendig, und dann braucht man nur die Zeitungen von Sydney oder den Brisbane Courier vorzunehmen, um wöchentlich mehreremale von Unglücksfällen durch Schlangenbiß zu lesen.

Eine Statistik der Häufigkeit der Schlangenbisse, die einen töt-lichen oder doch die Gesundheit ernstlich gefährdenden Ausgang gehabt haben, ist meines Wissens für Australien noch nicht aufgestellt worden. Nach meiner Berechnung berichten die Zeitungen von Brisbane jährlich über fünfzig bis hundert Fälle und zwar wesentlich über Fälle aus dem südlichen Queensland und natürlich auch nicht über alle, die in jenem Bereich überhaupt vorgekommen sind. Ähnliche Zahlen erhält man, wenn man die Zeitungen von Sydney, Melbourne und Adelaide durchmustert. Wenn man annimmt, daß jährlich auf dem Kontinente mindestens 500 Menschen von Giftschlangen gebissen werden, ohne daß allerdings die Mehrzahl der Fälle tötlichen Ausgang hat, greift man entschieden nicht zu hoch. Die Bevölkerung von Australien wird gegenwärtig etwa auf 3 Millionen Einwohner geschätzt; wenn nun aus den englischen Provinzen Indiens mit 120 Millionen Einwohnern jährlich 20000 Todesfälle durch Schlangen berichtet werden, so mag das vielleicht etwas übertrieben sein und sich dahinter mancher Schwindel, bewußte oder unbewußte Täuschung der Behörden durch die eingeborenen Unterbeamten verbergen. So arg ist die Übertreibung aber wohl kaum, wie neuerdings vielfach behauptet wird. In Indien wie in Australien würde jährlich von 6000 Menschen einer durch Schlangenbiß zu leiden haben, wobei der minder schlimme Ausgang in Australien hauptsächlich auf die mindere Giftigkeit der dortigen Schlangen verglichen mit den indischen Cobras, Bungarums, Riesenhutschlangen, Vipern und Grubenottern zurückzuführen ist.

Man muß deshalb nicht denken, daß man in jenen Ländern in beständiger Furcht vor den giftigen Reptilien lebt. In Wirklichkeit denkt man nicht an sie, wenn man ausgeht oder ausreitet, und pflegt nur eine gewisse Vorsicht zu üben, wenn man an Orten hantiert, wo große Mengen von dürrem Holz und Reisig sich angehäuft haben, weil das beliebte Verstecke der Schlangen sind. Als ich einmal meine Hand ohne weiteres in die Röhre eines höhlennistenden Vogels an dem Flußufer stecken wollte, um zu sehen, ob Junge darin wären, hielt Frank ängstlich meinen Arm zurück und untersuchte zuerst das


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003