Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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170 Rückkehr an den Burnett.

auch auf dem Marsche ihre Augen stets überallhin schweifen, achteten auf jede Fährte, lauschten auf jeden Laut. Auf grasbedeckter Fläche, unserm Auge nicht wahrnehmbar, erkennt das Falkenauge des Schwarzen die Spur einer Känguruhratte. Sein Blick folgt der Richtung der Fährte, da, zweihundert Schritte entfernt, sitzt das possierliche Beuteltier, ein dunkler Fleck im hohen Buschgras, sorglos äsend. Zur Bildsäule erstarrt steht der Jäger, auch Frauen und Kinder verharren unbeweglich, oder fallen, wenn es sich um größere Tiere wie Känguruhs und Wallabies handelt, die infolge ihrer Höhe weitere Strecken überschauen können, lautlos zur Erde nieder. Bietet sich Deckung durch Büsche oder Bodenerhebungen, so schleicht der Jäger unter dem Winde in aufrechter Haltung näher, jeden Muskel gespannt, jeden Sinn zu höchster Schärfe gesteigert. Nie wird unter seinem Fuße ein Zweig knacken, nie im Vorbeistreifen ein Busch rascheln, so gut ist jede Bewegung berechnet, so genau wird auf die nächste wie auf die fernste Umgebung geachtet. Ist keine Deckung da, so windet sich der Jäger wie eine Schlange auf dem Boden langsam dem Wilde zu, bis er auf Wurfweite heran ist, das hölzerne Geschoß fliegt und streckt die Beute mit ebenso tötlicher Sicherheit, wie die Kugel aus dem Laufe eines Kunstschützen.

Die Birsch gilt unter europäischen Jägern als die höchste, edelste, schwierigste Art des Waidwerks, und ist es in der Tat; sie ist aber auch die natürlichste. Scharfe Sinne, genaueste Kenntnis der Spuren und der Gewohnheiten des Wildes, absolute Beherrschung des eignen Körpers, Ruhe, Geduld und Geistesgegenwart gehören zu ihr. Es ist eine eigentümliche Ironie, daß das, was der hochkultivierte Europäer als die Krone des edlen Waidwerks ansieht, nach der nur der Erfahrenste und Tüchtigste die Hand ausstrecken darf, in weit höherer Vollendung von einer der niedersten Menschenrassen erreicht wird, die augenblicklich unsern Erdball bewohnt. Denn das ist ganz sicher, daß kein europäischer Sports- oder Berufsjäger, kein amerikanischer Trapper, kein australischer Buschmann sich auch nur entfernt mit einem Eingebornen Australiens, der nicht durch die Einflüsse der Weißen verdorben ist, einem Manne wie Jimmy als Jäger messen könnte. Unsre ganze Erziehung, unser ganzes Leben und Denken entfernt uns zu weit von der Natur, um ihre kleinsten Zeichen ebenso scharf aufzufassen, zu erkennen und zu beurteilen, wie der eingeborne Sohn des Busches es tut, dessen Hauptdenktätigkeit sich in diesem Gebiet konzentriert. Nicht jeder »Wilde« ist ein guter Jäger. Die Bodenkultur treibenden Papuas, die intelligenten Malayen, die afrikanischen Neger sind fast alle nur sehr mittelmäßige Jäger. Sie


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003