Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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84 Das Camp am Auburn.

längere Zeit existieren kann. Eine solche Einsamkeit ist nicht mit der Einsamkeit zu vergleichen, die der der Landessprache unkundige Fremde zuweilen in großen Städten zu erdulden hat, noch weniger mit der schrecklichen Einsamkeit des unglücklichen Gefangenen in der Isolierzelle. Die Waldeinsamkeit war mir zunächst interessant, dann schuf sie mir hier und da trübe Stunden und das Gefühl des Verlassenseins, endlich empfand ich sie als einen neuen, gewaltigen Eindruck, ebenso groß und ebenso stark als das Anschauen und Erleben der buntesten Szenen in der fremdartigen Umgebung ferner Länder und Menschen. Man hat Zeit und Ruhe, über sich selbst nachzudenken, nicht wie man meint sich in den Augen seiner Mitmenschen abzuspiegeln, sondern in seinem Verhältnis zur großen, unbekümmert fortschaffenden, bildenden und vertilgenden Natur. Unter keinen ändern Verhältnissen tritt man in ein so inniges, intimes Verhältnis zu dieser, als wenn man wochenlang frei und einsam in ihr lebt, ohne Haus, ohne irgend eine Spur von Kulturtätigkeit um sich zu erblicken, ohne menschliche Gesellschaft. Das Beobachten von Tieren und Pflanzen, das ästhetische Vergnügen, das wir beim Anschauen von Land und Wasser, Fels und Baumschlag haben, ist der einzige Genuß, aber wir empfinden diesen Genuß dann viel stärker und reiner.

Wenn man nach Australien kommt, erscheint einem die Euca-lyptusvegetation zunächst mehr fremdartig als schön. Wir sind so sehr gewohnt, an Bäumen besonders das kräftige frische Grün und die reiche und dichte Belaubung zu bewundern. Durch die letztere hebt sich der Baum von Umgebung und Himmel erst schärfer ab, seine Form tritt kräftig hervor und er erhält als Individuum seine charakteristische Ausprägung, Die Schönheit der Eucalypten liegt in andrer Richtung. Fehlt dem Laube auch die Kraft und Frische der Färbung, so gibt das milde sanfte Grün bei niedrigstehender Sonne und im Kontrast gegen eine frischgrüne Grasfläche oder den hellschimmernden Sand des Flußbettes doch reizende Farbeneffekte. Der Wuchs der Bäume ist immer edel und stattlich, zuweilen geradezu gigantisch. Die Schmalheit der Blätter und ihr vertikales Herabhängen läßt die Belaubung aber viel dünner erscheinen als sie wirklich ist. Dadurch wird die Erscheinung des Individuums weniger ausgeprägt und markig. Sie gewinnt aber an Feinheit und Zartheit und erhält eine Durchsichtigkeit, die keiner ändern Baumart, die ich kenne, eigen ist, sodaß das Auge, wenn einmal an die Fremdartigkeit gewöhnt, nicht satt wird, die feine Durcharbeitung der Zeichnung zu bewundern. In Europa kenne ich nur drei Baumformen, die etwas


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003