1. Abschnitt: NW-Argentinien.

Auf dem Bahnhof wurden wir von den Kollegen Viirsoo, Ploper und Reche empfangen. Das Hotel war ordentlich, sogar mit Klimaanlage. Leider regnete es am nächsten Tag. Herr Diers benutzte die kurze Zeit zum Sammeln mit Herrn Vervoorst in der Tucumaner Ebene, während ich die Nordargentinientour vorbereitete. Die wichtigste Frage, die des Wagens wurde auf zuvorkommendste Weise durch den Direktor des I.N.T.A.-Büros Ing. Ollivarri in Tucuman gelöst. Auf Grund der Empfehlung von Ing. Garcia inBuenes Aires war er gern bereit, uns einen Wagen zur Verfügung zu stellen, sogar mit Chauffeur. Ich hatte die Wahl zwischen einem Kayser Estanciera (Typ Kombi mit geschlossener Karosserie) und einem Pick-up von Chevrolet mit offener Lagefläche. In Anbetracht der zu erwartenden Regenfälle nahm ich den erstgenannten Wagen. - Am Nachmittag besuchte ich das Instituto Miguel Lillo, dessen Direktor Willink, ein Entomologe, mir dies berühmte Institut zeigte. Leider war der Cytogenetiker Krapovickas nicht anwesend, aber Dr. Wygozinski erläuterte mir die interessanten entomologischen Sammlungen.

Abends beim Besuch des Konsul Berndt erfuhr ich Wissenswertes über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Provinz Tucuman. Sie lebt von der Zuckerrohrkultur. Infolge des gesunkenen Zuckerpreises war das wirtschaftliche Leben etwas ruhig. Der Konsul besitzt im Norden Agrumenplantagen. Die Kultur der Orangen ist lange nicht von der Perfektion wie in Europa. Die Früchte sind oft unausgereift und von wenig gutem Geschmack.

Es wurden mit Herrn Reche noch Einzelheiten über seinen geplanten Aufenthalt in unserem Institut besprochen. Er macht einen ordentlichen Eindruck und zeigt einen sonst in Südamerika ungewöhnlichen Ehrgeiz.

Am 11. 2. stiegen wir (Vervoorst, Diers, der Fahrer und ich) in die Estanciera, und es ging los. Dies Datum ist der eigentliche Beginn der Expedition.

Unser Ziel in Argentinien war die Sammlung möglichst zahlreicher Herkünfte der dort vorkommenden ca. 15. Solanumarten und von Phaseolus aborigineus, daneben, wie überall, Lupinen, Zierpflanzen und Material für die Chromosomenuntersuchungen von Herrn Diers, sowie Beobachtungen der Parasiten an den Kulturpflanzenverwandten. Spezialproblem waren gewisse taxonomische Fragen, Indentität von Solanum sanctae-rosae und S. megistracrolobum, die von S. infundibuliforme und S. xerophyllum und das Verhältnis von S. simplicifolium zu S. venturii.

Aconquija-Gebirge bei Ingenio El Arenal
mit Expeditionswagen

Der erste Tag war dem Aconquija-Gebirge gewidmet. Es gehört noch nicht zum Kordillerenmassiv, sondern ist eine der pampinen Sierren, die den Kordilleren vorgelagert sind und aus Sandstein bestehen. Das Gebirge ist in der Pflanzengeographie berühmt, weil es von mehreren der schönsten Vegetationsformen Argentiniens bedeckt ist. Bis Concepcion führt die Straße durch eine Kulturlandschaft, meistens Zuckerrohrkulturen. Nur hier und da sieht man noch Reste des ursprünglichen Übergangswaldes, der vom ariden Chacowald zum Regenwald überleitet. In Concepcion bogen wir rechts ab dem Gebirge zu. Die Vegetation änderte sich rasch. Bei Alpachiri am Fuß des Aconquijagebirges bot sich überraschend der Anblick eines subtropischen Regenwaldes. Einige riesige abgestorbene Laurelbäume (Phoebe porphyria) flankierten die Straße. Über und über behangen mit Epiphyten wie Polypodium, Aechmea, Rhipsalis, Peperomia und Moosen, künden sie den Eintritt in eine dem europäischen Botaniker völlig neue Vegetationswelt ein. Weiter im Innern des Waldes bot sich die ganze Fülle einer von Feuchtigkeit und Wärme begünstigten Vegetation. Es war ein sonniger Tag. Fremdartige Vögel, Papageien und Schmetterlinge vermehrten den Eindruck des Zauberhaften. Mehrere Unterbrechungen der Fahrt erlaubten uns, die Vegetation eingehender zu studieren und zu sammeln. Hier fand auch die Bekanntschaft mit der ersten Solanum Species statt. Es war S. venturii.

Das Waldgebiet, in dem wir uns befanden, ist der letzte Ausläufer des großen Waldgürtels, der sich an den östlichen Hängen der Anden und deren Vorgebirge von Nordperu bis hier herunter zieht. Der dem Aequator nähere Teil bis etwa zur Höhe von Santa Cruz in Bolivien besteht aus immergrünen Gehölzen, der südliche aus sommergrünen. An den Osthängen des Aconquija-Gebirges tritt der sommergrüne Bergwald in den beiden Formen des Laurelwaldes und des nebelreichen Myrtaceenwaldes auf, die sich etwa am Campamento Rio Cochuna scheiden. Im schmalen Band des Myrtaceenwaldes vor allem trafen wir auf sehr zahlreiche Standorte des S. venturii. Wir haben in diesem Wald möglicherweise die optimale Formation des S. venturii zu sehen, wenn wir es auch in angrenzenden Formationen gefunden haben. Über die Bedeutung der Arten dieser Wälder für die Resistenzzüchtung berichten wir weiter unten. - Hier fanden wir auch zwei mit großen orangeroten Blüten geschmückte Gesneriaceenkräuter an (Kohleria spec. und Smithiantha spec.), die wohl als Zimmerpflanzen gelten können. Auch wurden Gerardia (Scrophulariaceae) und Cosmus (Composite) gesammelt.

Ab 1350m über die Passhöhe hinweg bei La Banderita (1850m) bis etwa zur Sommerfrische der Tucumaner El Alamito begleitete uns der Erlenwald. In ihm fanden wir S. vernei, S. simplicifolium und S. venturii. Wir gelangten in das Bolson Campo de Pucara. Bolsone sind trockene, sandige Becken zwischen den Einzelzügen der Pampienen Sierren. Sie sind mit Horstgräsern bestanden. Die Formation gehört der Puna an.

Rückwärts bot sich ein wunderbarer Blick auf die beiden Gipfel des Aconquijagebirges, den Overo und den Candado. Unterhalb derselben lag ein klassischer Kondensationshorizont, der uns die Feuchtigkeit der Bergwälder verständlich machte. Der Aconquijakamm schirmt die westlichen Gebiete gegen die von Osten andrängende Feuchtigkeit ab, so daß der Campo des Pucara mit höchstens 200 mm Niederschlag unvermittelt dem Aconquijawald mit ca. 1000 gegenübersteht.

Weiter abwärts gegen das Becken von Andalgala gelangten wir durch eine weitere charakteristische und bizarre Formation, d. i. der Kakteendornbusch mit 3-4 m hohen Kandelaberkakteen und Polstern der Bromeliacee Abromeitiella lorentzii. Diese beiden letztgenannten Formationen waren leer von Solanumarten.

Ehrlich ermüdet kamen wir in Andalgala an.

Der erste Tag hatte mehrere Punkte zur Organisation geklärt. Es war richtig, einen Kollegen als Begleiter zu haben. Denn unsere Spezialaufgaben konnten so in einem Rahmen eingebettet werden, der nicht erst mühsam erarbeitet weden musste. Die Pflanzen- und Formationskenntnisse von Dr. Vervoorst waren ausgezeichnet. Ausserdem erwies er sich als guter Kamerad, den wir auch späterhin immer mehr schätzen lernten. Der Wagen war der richtige. Er war schnell, geräumig und wendig. Äusserst nützlich empfanden wir die Anwesenheit eines Fahrers. Es ist notwendig, sich während der Fahrt zu unterhalten, zu diskutieren und das Gesehene zu verarbeiten. Das ist nicht möglich, wenn einer der Expeditionsteilnehmer selbst den Wagen fährt. Abgesehen davon wird das Sammeln effektiver, wenn jeder wissenschaftliche Teilnehmer vom Wagen her Ausschau halten und möglichst jeder auf das Vorkommen seiner Spezialarten achten kann.

Aufstieg nach Capillites, Dornbusch.

Am nächsten Tag durchfuhren wir punaähnliche und Dornbuschformationen. Bis zur Höhe der Kupfermine von Capillitas waren keine Solanumarten anzutreffen. Dagegen fanden wir die ersten beiden Lupinus spec. und einige als Zierpflanzenpolster beachtliche Verbenen. Im Campo Arenal, einem Bolson, wurde ein Mestize schließlich nach "papas silvestres" gefragt. Er führte uns zu einem Standort in der Nähe, wo wir auf S. gourlayi stießen, bei 2860m in einer kleinen Mulde inmitten der Kakteenpuna, die außer Kakteen (meist Cereus) keine anderen Arten enthielt. Der Mestize nannte das S. gourlayi "papa Yuto", d. i. Wachtelkartoffel. Er war recht aufgeweckt und versprach, uns weitere Arten zuzusenden, sowie auch Kultursorten. Er hat auch wirklich Wort gehalten. Auf dem weiteren Weg mehrten sich die Fundorte von Solanumarten, so bei Ingenio del Arenal S. leptophyes, S. famatinae und einige andere noch nicht bestimmte. Auch hier war ein Indio der Führer.

Die Kenntnis, die die Indios allgemein von der Pflanzenwelt besitzen, ist beeindruckend. Es drängt sich der Gedanke auf, daß es sicher auch in der Vorzeit nicht sonderlich schwierig war nützliche Pflanzen zu finden und in Kultur zu nehmen. Wenn die Indios sich bei den Solanumarten auf eine tetraploide (S. andigena) und drei diploide (S. stenotomum, S. goniocalyx und S. phureja), sowie deren Bastarde beschränkten, dann deswegen, weil die anderen Arten nicht in Frage kamen. Das Freisein von Bitterstoffen mag auf das mehr oder weniger häufige Mutieren der vorgefundenen Formen gerade dieser Arten zurückzuführen sein. -

Die Bedeutung der in diesen ausgesprochenen ariden Formationen gefundenen Solanumarten liegt natürlich zuerst in ihrer vermutlichen Dürreresistenz. Aber nicht allein darin. Von den Kartoffelknollenparasiten bevorzugen Nematoden und Schorf leichten sandigen Boden. In den ariden Hochebenen und den trockenheißen Andentälern weht fast immer ein starker Wind, der die Cysten der Nematoden und die Sporen des Schorfpilzes mit Leichtigkeit über riesige Strecken verweht. Die hier vorkommenden Arten müssen also einen starken Angriffsdruck dieser Parasiten standhalten. Es ist fast sicher, daß sie eine Resistenz dagegen entwickelt haben, und nicht nur gegen wenige Rassen, sondern gegen ein ganzes Rassenspektrum, denn die Fortpflanzungsorgane aller Pilz- und Nematodenrassen werden mit dem Wind überall hin gelangen. Bei S. gourlayi haben wir in der Tat bereits eine Resistenz gegen alle bisher bekannten Rassen des Kartoffelnematoden gefunden. Hinzu kommt bei diesen Arten vielleicht noch eine Resistenz gegen Krebs. Sie ist aus unbekannten Gründen fast stets mit einer Schorfresistenz verbunden.

Der nächste Tag war der bekannten Fundstelle von Solanum species gewidmet, dem Abras del Infiernillo am oberen Teil des Valle Tafi, die uns zugleich das Studium der Formation der Bergmatten ermöglichten.

Der Weg führte von Santa Maria Tal zunächst am Hang des Aconquijagebirges durch zahlreiche Quebradas (Schluchten) mit ihrer interessanten feuchteren Vegetation, die auch Solanumarten beherbergten. Diese hielten sich meistens unter und im tiefsten Gebüsch auf. Es war schwer zu entscheiden, ob das Solanum diesen Standort bevorzugte, weil er sein natürliches Habitat darstellt, oder weil es dort nicht abgeweidet wurde. Später hatten wir Ursache, beides anzunehmen. Der Aufstieg führte durch eine typische nordargentinische "Monte"-Landschaft, d. s. mesophytische Gebüsche, zum Pass Zanja de los Cardenos bei 2700m. Dort blieben die Gebüsche zurück und es trat eine feuchte Grasflur hervor, die durchaus den Eindruck einer europäischen alpinen Bergmatte vermittelte. Natürlich war die Artenzusammensetzung ganz verschieden: neben Stipagräsern, Melica, Paspalum und Festuca, neben Sträuchern wie Baccharis, Berberis, Esallonia und Eupatorium finden sich bunt blühende Kräuter wie Cajophora, Calceolaria, Salvia, Commelina, Sisyrinchium, Gentiana etc. Interessant auch Ephedra. Als typisches Element dieser Formation stellten wir S. sanctae-rosae fest, aber auch S. acaule, S. leptophyes, vernei ssp. ballsii, famatinae und gourlayi kamen vor. Die letztgenannten Arten schienen aber mehr aus anderen Formationen eingewandert zu sein. Immerhin wurde doch klar, daß eine starre Festlegung gerade der nordargentinischen Arten auf eine kleinräumige Formation nicht erfolgen konnte. Ihrem Verteilungsschema sind großräumige Einteilungen adaequater. Wir haben, wie aus der beigegebenen Veröffentlichung zu ersehen, dann die Vegetationsgürtel als Lebensräume adaequater Grössenordnung gewählt.

Eine kleine Lupine und zahlreiche Zierpflanzen und Material für Chromosomenuntersuchungen waren eine weitere willkommene Beute an dieser Stelle.

Farmersfrau (Mestizin) zu Pferde
im Valle Calchaquis bei Cafayate

Es war unsere Absicht, nunmehr das Valle Calchaqui hinauf über Cachi den Ort San Antonio des los Cobres zu erreichen, eine Region, in der bisher noch wenig gesammelt wurde. Der Rio Calchaqui, noch bei San Carlos ein kleines Rinnsal, wurde immer mächtiger. Mehrmals wagten wir nicht ungefährliche Flußdurchfahrten, aber bei Palo Pintado war endgültig Schluß. Nur mit Pferden wäre ein Weiterkommen möglich gewesen. Da uns aber der Wagen nicht unbegrenzte Zeit zur Verfügung stand, und zudem an der bolivianischen Grenze Kollege Alandia auf uns wartete, entschlossen wir uns zu einer anderen Route. Nach einem kurzen Abstecher ins Tal des Rio San Lucas, wo im Sand des Trockentales S. kurtzianum und S. famatinae angetroffen wurde, wandten wir uns nach Cafayate zurück und nahmen die Straße nach Salta. Dabei durchquerten wir eine Punaregion, die fast übersät war mit einer weissen Amaryllisart (im Verblühen rosa). Die species war auch Herrn Vervoorst unbekannt. Wir nahmen einige Zwiebeln mit. Die Straße führte weiter durch hoch interessante geologische Formationen mit karbonischem roten und gelben Sandstein, der in bizarren Erosionsbildungen die Straße säumte.

Hotel in La Viña
Hotel in La Viña, Patio

Nach Übernachtung in La Viña machten wir eine Exkursion zu Fuß in eines der Seitentäler. Dies bot Gelegenheit, neben mesophytischen Formationen auch den Quebracho-Trockenwald kennenzulernen, der dem Trockensavannengürtel angehört. Auch diese Formation war nicht frei von Solanum species. Wir fanden S. chacoense und S. kurtzianum. Die Wanderung mitten durch das fast ausgetrocknete Flußbett im glühenden Sonnenschein war eine rechte Strapaze. Zudem zogen Herr Vervoorst und ich uns eine Vergiftung zu. Während ich Herrn Vervoorst ermunterte, mit mir einen Hutpilz zu essen, bot er mir Schoten von Prosopis alba an. Die Folgen waren fürchterlich. Aber es war nicht zu entscheiden, wer den anderen hatte vergiften wollen. Nach einigen Abstechern in Seitentäler, die uns reiche Beute bescherten, erreichten wir Salta.

Ansicht von Salta
Ansicht von Salta

In Salta, einer schönen Stadt inmitten eines reichen landwirtschaflichen Zentrums mit Zuckerrohr, Mais, Viehzucht etc. sammelten wir zum ersten Mal auf dem Markt, und zwar Mais, Capsicum, Phaseolus, Kartoffelsorten etc. Der Karnaval verursachte einen lebhaften Betrieb. Hier hatten wir Schwierigkeiten mit dem Einwechseln unserer Dollarnoten. Keine Bank war bereit, weil der offizielle Kurs erst nach der Dienstzeit eintraf! Erst in Jujuy, wo wir uns an Konsul Plattner wandten, konnten wir privat bei einer deutschen Dame wechseln.

Kirche mit Bougainvillea, Jujuy
Kirche in Jujuy
Jujuy, Indiofrau mit Weintrauben und Marktwagen

Schon mittags ging es weiter durch herrlichen sommergrünen Regenwald nach Jujuy. Außer Gesneriaceen, Begonien und anderen Zierpflanzen fanden wir hier den ersten Standort des wichtigen Phaseolus aborigineus, der Stammpflanze unserer Buschbohnen. Leider war der Same noch unreif. Bemerkenswert war weiter eine Bastardpopulation von S. chacoense und S. simplicifolium an einem Geröllabhang. Beeren, Knollen und Herbarexemplare wurde für spätere Auswertung gesammelt. Bezüglich des S. simplicifolium regte sich der Verdacht, ob das reine simplicifolium nicht ganzrandige Blätter besitze, und alle fiederblättrigen Exemplare nicht chacoense-Bastarde seien. Die sommergrünen Regenwälder, die wir erst viel später in Bolivien wieder antreffen sollten, beherbergen Solanumarten, in denen Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule (Phytophtora infestans) zu vermuten ist. Das Klima ist durchweg sehr feucht, was schon der große Reichtum an Epiphyten anzeigt, und die Temperatur sinkt nicht unter das für Phytophthora erträgliche. Auch eine Resistenz gegen andere Feuchtigkeit liebende Parasiten wie Rhizoctonia, Alternaria, Erwinia phytophtora könnte sich hier entwickelt haben. Natürlich wird man nicht erwarten können, daß alle vorkommenden Arten resistent sind, zu erwarten ist nur, daß bei den Arten dieser Regenwaldformation infolge des Selektionsdruckes der Parasiten sich mehr oder weniger ausgeprägte Resistenzeigenschaften in großer Variation entwickelt haben. Schon an Ort und Stelle konnten wir beobachten, daß S. chacoense sehr häufig mit Phytophthora gefunden wurde, S. simplicifolium aber nicht. Eingehende Untersuchungen können natürlich erst an dem heimgebrachten Material erfolgen.

Es war jetzt auch möglich, die beste Sammelzeit zu beurteilen. Der Monat Februar ist für Solanum günstig. Das Sammeln könnte sicher bis Mitte März verlängert werden. Für Phaseolus und Lupinus und für die Gesamtvegetation, die Herrn Diers anging, war es dagegen etwas zu früh. Natürlich kann nicht erwartet werden, daß bei einer Expedition über mehr als 30 Breitengrade überall zur optimalen Zeit gesammelt werden kann. Wir waren beruhigt bei dem Gedanken, den Beginn unserer Reise auf keinen Fall zu spät angesetzt zu haben. Wie sich noch herausstellen sollte, war der Zeitraum Anfang Februar bis Mitte Mai für das gesamte zu besuchende Gebiet durchaus richtig. Allerdings verlangten die Tomaten Nordperus und einige Lupinen in der nordperuanischen Kordillere einen späteren Zeitpunkt als Mitte Mai. Die einem ganz entgegengesetzten Rhytmus unterliegende Lomaformation blüht und fruchtet erst im Juli-August. Auch war es richtig, die Expedition im Süden statt im Norden zu beginnen.

Solanum chacoense

Hinter Jujuy begleitete uns zunächst noch der sommergrüne Regenwald, als wir einen Abstecher in Richtung Ledesma machten, um dort den laubwerfenden Übergangswald zu besuchen. Er erwies sich als wesentlich artenärmer. Typisch waren die windenden Epiphyten, Lianen etc. Die für den sommergrünen Regenwald typischen Baumbromelien, Moose, Rhipsaliskakteen etc. fehlten. Als einzige Solanumart wurde S. chacoense gefunden. Es war jetzt klar, daß Solanum chacoense eine sehr große Anpassungsfähigkeit besitzt. Es kommt vor in der Trockensavanne der Ebene, in den Chacowäldern, den Quebracho-Trockenwäldern, den Übergangswäldern bis hinauf zu den sommergrünen Regenwäldern und den Nebelwäldern. Ob man die in NW-Argentinien vorkommenden Arten als ssp. subtilis den Formen der Ebene gegenüberstellen kann, erscheint fraglich.

Quiabentia chacoensis (eine Bereskia) aus dem Trockenwald

Auf der Rückfahrt nach Jujuy sahen wir im Chacowald noch schöne Exemplare eines Laubblätter tragenden Kakteenbaumes Quiabentia chacoensis, sowie riesige Eucalyptuspflanzungen, die als Holzkohle für die Eisenbahn Verwendung finden.

In Jujuy wurde die weitere Organisation vorbereitet. In Telegrammen wurde Ing. Ragonese um weiteren Urlaub für Herrn Dr. Vervoorst gebeten und nach Tucuman und Salta Nachricht für Dr. Rimpau gegeben. Bisher hatten wir noch nichts von ihm erfahren. Päckchen mit Material wurden nach Deutschland gesandt.

Jujuy war der letzte Vorposten der Kultur gen Norden, wie wir bald merken sollten. Es brach nunmehr eine Zeit abenteuerlicher Unterkünfte im ländlichsten Stile an.

Von Jujuy in Richtung Humahuaca durchfuhren wir die Formation des Regenwaldes mit S. simplicifolium, einem zweiten Phaseolus aborigineus, einem sehr großblütigen Sisyrinchium, Calceolarien etc. Ein Abstecher wurde zu den kleinen Seen Lagunas de Yala unternommen. In einer Geröllhalde am Seeufer wurde zum ersten Mal Phaseolus aborigineus mit reifen Samen gefunden. Die Hülsen waren mit Flecken von Colletotrichum lindemuthianum bedeckt. Dieser Pilz, der in mehreren Rassen aufspaltet, ist der schlimmste Schädling der Buschbohne in Deutschland. Professor Rudorf sind in der Resistenzzüchtung bereits bedeutende Erfolge gelungen. Da die Resistenzprüfungen mit einem möglichst erschöpfenden Rassenspektrum durchgeführt werden müssen, war die Erlangung dieser neuen Rasse wichtig.

Wir hatten jetzt das Tal des Rio Grande erreicht, das Quebrada de Humahuaca genannt wird und wegen seiner Naturschönheiten berühmt geworden ist. Dies Tal ist eines der Längstäler, die die Randgebirge des Altiplano durchziehen. Fluß, Straße und Bahn gewinnen immer größere Höhe, bis kurz vor der Grenzstadt La Quiaca der höchste Punkt mit 3700m erreicht wird. Als typisches Trockental ist es hoch angefüllt mit Schutt, Geröll und Sand. Dazwischen bahnt sich der Rio Grande einen meist nur schmalen Weg. Die begleitenden Kordillierenketten sind mit Strauchpuna bedeckt, vor allem auf den riesigen Schwemmkegeln an ihrem Fuß.

In der Nähe von Maimara liegt die landwirtschaftliche Station Hornillos der I.N.T.A. Der Leiter Señor Castellanos zeigte uns die Kollektion von Kartoffelwildarten, die von Ing. Virsoo angelegt wurde. Sie ist recht reichhaltig und jetzt nach Catamarca verlegt. Dankenswerter Weise hat sich die argentinische Regierung entschlossen, auch auf den Rat von Professor Rudorf, diese Kollektion weiter auszubauen und eine Zusammenarbeit mit den Kartoffelzüchtern der USA und Europas einzuleiten. Eine Sammlung von Wildkartoffeln zu unterhalten, ist in Europa und den USA mit größten Schwierigkeiten verbunden, da die klimatischen Verhältnisse des Habitats nie voll reproduziert werden können. Immer wieder gehen schwer erlangte Arten verloren. Kreuzungen gelingen nur schwer und die Sorten der einheimischen Kulturarten setzen keine Knollen (wegen des bei uns herrschenden Langtags). Um wieviel leichter ist es, eine Sammlung in den Ursprungsländern zu unterhalten.

Auch aus einem anderen Grunde ist eine Station im Ursprungsland der Wildarten für die Resistenzzüchtung wichtig. Das Genzentrum der Wildarten ist gleichzeitig ein Genzentrum für ihre Parasiten. Rassen der Parasiten werden hier in der größten Mannigfaltigkeit anzutreffen sein. Will man auf vollständige Resistenz züchten, d. h. auf Resistenz, die gegen alle Rassen eines Prasiten durchhält, so muß mit vielen verschiedenen Rassen getestet werden, die das gesamte Rassenspektrum irgendwie repräsentieren. Das ist natürlich am besten im Zentrum der Rassenaufspaltung durchzuführen. Natürlich kann und soll nicht die ganze Resistenzzüchtung hier erfolgen, sondern es sollte nur die Möglichkeit vorhanden sein, Überprüfungen vorzunehmen. Europäische Stipendiaten könnten hier an wichtigen Problemen nützliche Arbeit leisten.

Kurz vor Tilcara überschritten wir den südlichen Wendekreis und befanden uns nun in den Subtropen. In Tilcara erschien es angezeigt, eine Trockenquebrada gründlich nach Material zu durchsuchen. Wir stiegen ca. 600m in die Garganta del Diablo hinauf und fanden eine noch nicht beschriebene Solanum spec. mit ziemlich dichten, fast sukkulenten Blättern und eine andere, die ich vorläufig als S. speggazini ansprechen möchte, daneben Liliaceen, eine Crassula und eine Luzernensorte, die wie die anderen gefundenen Pflanzen frostfest sein muß.

In Tres Cruces hatten wir den Pass (3700m) erreicht und befanden uns am Rande der interandinen Hochfläche, die weiter südlich am 25. Breitengrad beginnt und am 12. Breitengrad, etwa bei Ayacucho endet. Im Süden und Norden durch tiefe Täler und Höhenzüge gegliedert, weitet sie sich erst vom südlichen Bolivien ab zur reinen Hochebene, dem Altiplano.

Wir legten in Tres Cruces wieder eine Sammelpause ein, um uns internsiver mit der Punaformation der Region bekannt zu machen. Solanum santae-rosae, das hier vorkam, gehörte mit seinem Verbreitungszentrum wohl eher zu den Bergmatten. Dagegen fanden wir als echtes Punaelement S. infundibuliforme. Es bildete ganze Bestände. Die Blattspreiten waren hier stärker reduziert, als bei den später beobachteten Formen.

La Quiaca, 3900 m Meereshöhe

Am selben Tage, (19. 2.) spät abends erreichten wir die Genzstadt La Quiaca. Hier trafen wir, wie verabredet, Señor Ingeniero Agr. Alandia. Groß war die Freude, daß er trotz einiger Tage Verspätung gewartet hatte. Alandia war ein Schüler Prof. Cardenas, ein Jahr in Beltsville ausgebildet und jetzt als Phytopathologe im Servicio Agricola Interamericano in Cochabamba tätig. Er sprach - für uns wichtig - englisch. Von Herrn Dr. Rimpau war noch keine Nachricht da, und wir hatten jetzt auf ihn zu warten.

Am nächsten Tag verabschiedete sich Herr Dr. Vervoorst und Herr Diers, die noch die Gegend von Tucuman absammeln wollten. Da Herr Diers die Arten der einzelnen Formationen in möglichst großem Umfang zu sammeln, d. h. davon Sproßspitzen zu fixieren hatte, war es für ihn wichtiger für mehrere Wochen ein Standquartier zu nehmen und von dort Sammeltouren in die benachbarten Formationen zu machen. Herrn Dr. Rimpaus und meine Aufgabe war es dagegen, längs einer vorher ausgewählten Route die Standorte von Solanum, Phaseolus, Lupinus und später Lycopersicum möglichst vollständig abzusammeln. Beides ließ sich nicht immer vereinbaren. Ich ließ daher Herrn Diers freie Hand. Wir sahen uns erst in Cochabamba wieder.

Die Estanciera hatte uns gute Dienste geleistet. Die Reparaturen hielten sich im Rahmen des üblichen. Es war fast jeden zweiten Tag eine 1 - 2 stündige Reparatur fällig.

Portulaca orange (wird als Brennholz verwendet)

Mit Ing. Alandia hielt ich mich in La Quiaca 4 Tage auf. Die Stadt ist kalt, schmutzig und trägt das typische Gepräge einer zwielichtigen Grenzstadt. Sie hat uns nicht gefallen. Umso interessanter war die Umgebung, die Puna. Die Hochfläche von La Quiaca ist von tiefen Erosionsrinnen durchschnitten. Da es nicht möglich war, eine Autobuslinie zu benutzen oder ein Fahrzeug zu bekommen, mussten wir die täglichen Ausflüge zu Fuß zurücklegen. Die Höhe von 3400m machten weder mir noch Herrn Alandia etwas aus. Die Fortbewegung ist natürlich langsamer, wie bei uns etwa in den Alpen, aber es gab weder Kopfschmerzen noch übermässige Atemnot oder gar Herzbeschwerden. Auch Herr Dr. Rimpau hatte die gleiche günstige Konstitution, so daß die schweren Behinderungen, die Reisende oft duch die "Soroche", die Höhenkrankheit, erleiden, uns nicht trafen. Wir konnten die verschiedensten Unterformationen der Puna studieren und machten Bekanntschaft mit den Charakterarten. Neben rosettenartigen Portulacaceen, Oxalis und Crassula, die wir als frostfeste Steingartenpflanzen mitnahmen, interessierten natürlich die Solanum species am meisten. Wir fanden ein umwalltes brachliegendes Gartenstück, das ganz mit S. acaule besiedelt war. Interessanterweise hatte der Frost einen Teil der Pflanzen zerstört, obwohl S. acaule die frostfesteste Solanumart ist, die wir kennen.

Wir machten hier zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Tageszeitenklima in den Hochanden. D. h. die Temperatur sinkt fast allnächtlich auch im Hochsommer unter Null.

Bei den weiteren Ausflügen stießen wir in den tiefen Quebradas auf eine Solanum species die sehr wahrscheinlich identisch ist mit S. subandigena var. camarguense. Sie bildet keine Rosette und ist wesentlich größer als S. acaule. Sicher muß ihr species-Rang zuerkannt werden, denn mit S. subandigena hat sie kaum etwas gemein. Sie kommt nicht auf der Hochebene vor, sondern in den schützenden Quebradas und weiter an Stellen bei Yavi, wo zahlreiche Elemente des Dornbusches beigemischt sind. Viele Standorte von S. infundibuliforme wurden untersucht und dabei festgestellt, daß selbst bei nur kurz voneinander entfernten Standorten die Reduktion der Blattspreiten stark variiert. Wie auch aus dem späteren Material hervorging, ist die Unterteilung von S. infundibuliforme in 5-6 weitere Arten aufgrund der Blattspreitenreduktion kaum haltbar. Sie spiegelt nur die große Variabilität der Art in diesem Merkmal wieder. Auch die von Hawkes noch zugelassene Art S. xerophyllum kann kaum aufrechterhalten werden.

Wir sammelten einige dort angebaute Weizensorten, darunter auch Tidicoccum und auf dem Markt S. andigena, Capsicum, Mais etc. Es gab dort auch Pfirsiche, die in dieser Höhenlage wachsen. Sie waren klein und schmeckten schlecht, aber sind sicher frostfest.

Auf dem Markt sahen wir auch zum ersten Male das Trockenprodukt, das die Indios aus den Kartoffeln bereiten, das Chuño. Es ist eine Form der Konservierung, die hier wegen des allnächtlichen Frostes notwendig ist. Man läßt die Kartoffel erfrieren, presst den Saft heraus durch Treten und läßt sie tagsüber in der Sonne eintrocknen. Das wird solange wiederholt, bis alle Zellen abgestorben sind und aller Saft ausgepresst ist. Die Knolle hat dann eine weiße, bei variierender Zubereitung eine schwarze Färbung angenommen. Später in Cochabamba hat uns Señora Krueger ein Gericht aus Chuño vorgesetzt. Es schmeckte fade.

Am 23. 2. erhielten wir ein Telegramm von Herrn Dr. Rimpau, daß er in Jujuy sei. Am 24. abends erreichte er nach abenteuerliche Fahrt über 1800 km mit unserem Dodge La Quiaca.

Damit konnten wir den ersten Abschnitt der Expedition abschließen. Rückblickend durften wir feststellen, daß diese Sammelreise in NW-Argentinien, obwohl eigentlich nicht geplant, ein Erfolg geworden war. Von den 15 verschiedenen Solanum species gelang es 13 in jeweils verschiedenen Herkünften zu sammeln. Die Zugehörigkeit zu pflanzengeographischen Formationen wurde studiert. Einige taxonomische Fragen wurden untersucht, Schädlinge beobachtet etc. Die übrigen Sammlungen betrafen Sorten Solanum andigena, Mais, Capsicum, Weizen, Luzerne, und von Phaseolus aborigineus wurden von wenigstens einer Herkunft Samen geerntet. Wo es nur möglich war, wurden lebende Pflanzen geerntet und für ein Herbarium vorbereitet, siehe auch das WWW-Kartoffel Herbarium