Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 21


Hohe Auflösung

Ein, auf dem grossen Platze von Mexico gefundenes aztekisches Basrelief.

Die, auf der dritten Kupfertafel vorgestellte, Domkirche von Mexico, ist auf die Ruinen des Teocalli´s, oder vom Hause des Gotts Mexitli gegründet. Dieses pyramidalförmige Monument wurde 1486 von König Ahuizotl erbaut, und hatte sieben und dreissig Meters Höhe von seiner Basis, bis zu der oberen Plattform, von der aus man eine prächtige Aussicht auf die Seen, auf das sie umgebende, mit Dörfern übersäte, Land, und auf den Gebirgs-Vorhang, der das Thal einfasst, geniesst. Die Plattform, welche den Kämpfern zuweilen zum Zufluchts-Ort diente, war mit zwo thurmförmigen Kapellen gekrönt, deren jede siebenzehn bis achtzehn Meters hoch war, wodurch der ganze Teocalli eine Höhe von vier und fünfzig Meters gewann. Der Steinhaufen dieser Pyramide diente nach der Belagerung von Tenochtitlan dazu, die Plaza Mayor zu erhöhen. Grübe man daher in einer Tiefe von acht bis zehn Meters nach, so würde man ohne Zweifel eine Menge kolossaler Idole und andrer Reste von aztekischer Bildnerei finden; und wirklich wurden auch die drei merkwürdigen Denkmale, die wir in diesen Werken beschreiben werden, der sogenannte Opferstein, die kolossale Statue der Göttin Teoyaomiqui und der mexicanische Kalender-Stein, bei Gelegenheit entdeckt, da der Vice-König, Graf von Revillagigedo, den grossen Platz von Mexico etwas niedriger machen und ebnen liess. Auch hat mich eine sehr glaubwürdige Person, welche die Aufsicht über diese Arbeit führte, versichert, dass die Grundmauren des Doms mit einer unzähligen Menge von Idolen und Reliefs umgeben, und dass die drei, eben angeführten, Porphyr-Massen die kleinsten von denen sind, welche man dazumal in einer Tiefe von zwölf Meters gefunden hat. Bei der Capilla del Sagrario entdeckte man einen ausgehauenen Felsen, der sieben Meters lang, sechs breit und drei hoch war. Die Arbeiter wollten ihn in Stücke schlagen, da sie ihn nicht herausbringen konnten; glücklicherweise wurde diess aber noch durch einen Kanonikus an der Domkirche, den Herrn Gamboa, einen unterrichteten Freund der Künste verhindert.

Der Stein, welchen man gewöhnlich den Opferstein nennt (piedra de los sacrificios), hat eine cylindrische Form, drei Meters Länge, und eilf Decimeters Höhe. Rings ist er mit einem Bas-Relief umgeben, in welchem man zwanzig Gruppen von zwei Figuren, alle in derselben Stellung gezeichnet, erkennt. Eine von beiden Figuren ist immer dieselbe, nemlich ein Krieger, oder vielleicht ein Gott, der seine linke Hand auf den Helm eines Manns stützt, welcher ihm zum Pfand seines Gehorsams Blumen überreicht. Herr Dupé, den ich am Anfang dieses Werks anzuführen Gelegenheit hatte, hat dieses ganze Relief kopiert, und ich überzeugte mich an Ort und Stelle selbst von der Genauigkeit seiner Zeichnung, aus der ich die merkwürdigste Gruppe mit dem bärtigen Manne ausgehoben, und auf vorliegender Kupfertafel mitgetheilt habe. Man bemerkt an den mexicanischen Indiandern im Durchschnitt etwas mehr Bart, als an den übrigen Eingebohrnen von America, und man sieht sogar welche mit Schnauzbärten. Gab es vielleicht einst eine Provinz in diesem Lande, wo die Einwohner lange Bärte trugen? Oder wurde dieser Bart etwa später beigefügt? Oder ist er nur ein Theil der fantastischen Zierathen, mit welchen die Krieger ihren Feinden Schrecken einzujagen suchten?

Herr Dupé ist, wie mich dünkt, der richtigen Meynung, dass diese Bildnerei die Eroberungen eines aztekischen Königs darstelle. Der Sieger ist immer derselbe; der besiegte Krieger aber trägt die Kleidung des Volks, dem er angehört, und dessen Repräsentant er so zu sagen ist. Hinter letzterem steht die Hieroglyphe, welche die eroberte Provinz bezeichnet. In Mendoza´s Sammlung sind die Eroberungen eines Königs gleichfalls durch einen Schild, oder einen Bund Pfeile angezeigt, welche zwischen dem König und den symbolischen Karakteren, oder Wappen der unterjochten Länder angebracht sind. Da die mexicanischen Gefangenen in den Tempeln geopfert wurden, so kann es natürlich scheinen, dass die Triumpfe eines kriegerischen Königs rings um den furchtbaren Stein dargestellt waren, auf welchem der Tepiltzin (der Opfer-Priester) dem unglücklichen Schlacht-Opfer das Herz aus dem Leibe riss.Was dieser Hypothese besondern Glauben verschaft hat, ist eine ziemlich tiefe Rinne, die, auf der Oberfläche angebracht, zum Abluss des Bluts gedient zu haben scheint.

Trotz solchen anscheinenden Beweisen möchte ich dennoch glauben, dass dieser sogenannte Opfer-Stein nie auf der Spitze eines Teocalli gestanden hat, sondern einer der Steine gewesen ist, welche Temalacatl hiessen, und auf denen der Gladiatoren-Kampf zwischen dem, zum Opfer bestimmten, Gefangenen und einem mexicanischen Krieger gehalten wurde. Der wahre Opferstein, der die Plattform der Teocalli´s krönte, war grün, entweder von Jaspis oder vielleicht von axinischem Bitterstein. Er hatte die Form eines Parallelepipedon´s, war fünfzehn bis sechszehn Decimeters lang, und Einen Meter breit, und seine Fläche war konvex, damit die Brust des, auf ihm ausgestreckten, Schlacht-Opfers höher zu liegen kam, als der übrige Körper. Kein Geschichtschreiber spricht davon, dass sich Bildhauerarbeit an diesem grünen Steine gefunden habe, und schon die Härte des Jaspis und des Bittersteins war der Ausführung eines Basreliefs entgegen. Vergleicht man überhaupt den cylindrischen Porphyrblock, der auf dem grossen Platz von Mexico gefunden wurde, mit den länglichten Steinen, auf welche der Schlacht-Opfer niedergeworfen wurde, wenn sich der Topiltzin mit seinem Messer von Obsidian näherte, so sieht man bald, dass zwischen beiden nicht die geringste Aehnlichkeit, weder in Materie noch in Form, obwaltet.

Dagegen erkennt man in der Beschreibung, welche uns Augenzeugen von dem Temalacatl, oder dem Steine gemacht haben, worauf der, zum Opfer bestimmte, Gefangene kämpfen musste, leicht den Stein, dessen Relief Herr Dupé gezeichnet hat. Der unbekante Verfasser des, unter dem Titel: Relazione d´un gentilhuomo di Fernando Cortez, von Ramusio herausgegebenen, Werks sagt ausdrücklich, dass der Temalacatl die Form eines Mühlsteins hatte, drei Fuss hoch, rings herum mit ausgehauenen Figuren verziert, und gross genug war, damit zwo Personen auf demselben fechten konnten. Dieser Cylinder krönte eine Anhöhe von drei Meters Erhabenheit. Die, much Muth oder Stand ausgezeichnetesten, Krieger wurden für das Opfer der Gladiatoren aufgespart. Auf den Temalacatl gestellt, mussten sie nacheinander mit sechs mexicanischen Kriegern streiten. Waren sie glücklich genug, diese zu überwinden, so schenkte man ihnen die Freiheit, und liess sie in ihr Vaterland zurückkehren; fiel aber der Gefangene im Kampfe, so schleppte ihn ein Priester, Chalchiuhtepehua genannt, sogleich lebend oder todt auf den Altar, um ihm das Herz aus dem Leibe zu reissen.

Es könnte wohl seyn, dass der Stein, welcher in den, um die Domkirche her vorgenommenen, Grabungen gefunden worden ist, derselbe Temalacatl wäre, den Cortez Gentilhuomo bei der Einfassung des grossen Teocalli´s von Mexitli gesehen haben will. Die Figuren des Reliefs sind beinahe sechzig Decimeters hoch. Ihre Fussbekleidung ist sehr merkwürdig; denn der Sieger hat am Ende des linken Fusses eine Art von Schnabel, der zu seiner Vertheidigung bestimmt zu seyn scheint. Es ist auffallend, dass diese Waffe, von der ich bei andern Völkern nichts ähnliches kenne, blos am linken Fusse vorkommt. Diese Figur, deren untersezter Körper an den ältesten etrurischen Styl erinnert, hält den Besiegten an dem Helme fest, den er mit der linken Hand gefasst hat. In vielen mexicanischen Mahlereien, welche Schlachten vorstellen, sieht man gleichfalls Krieger, die Waffen in der linken Hand halten, mit der sie überhaupt mehr zu wirken scheinen, als mit der rechten.

Beim ersten Blik könnte man glauben, diese Bisarrerie hänge mit besondern Gewohnheiten zusammen; untersuchtman aber eine Menge historischer Hieroglyphen der Mexicaner, so findet man, dass ihre Mahler den Figuren die Waffen, je nachdem es die symmetrische Anordnung der Gruppen begünstigte, bald in die rechte, bald in die linke Hand geben, und ich habe auffallende Beispiele hievon bei Durchblätterung des Codex anonymus, im Vatikan gefunden, in welchem Spanier mit dem Degen in der linken Hand dargestellt sind [ Cod. vat. anon, fol. 86. ]. Uebrigens bezeichnet diese Sonderbarkeit, beide Hände zu verwechseln, den Anfang der Kunst. Man begegnet ihr auch auf einigen egyptischen Reliefs, wo sogar die rechte Hand zuweilen an dem linken Arm befestigt ist, so dass sich der Daumen an der äussern Seite der Hand zu befinden scheint. Gelehrte Alterthumskenner glaubten in dieser ausserordentlichen Zusammensetzung etwas Geheimnisvolles zu finden; Herr Zoëga schreibt sie aber blos der Laune oder Nachlässigkeit des Künstlers zu. Uebrigens zweifle ich sehr daran, dass dieses, den Temalacatl umgebende, Basrelief und so manche andre Bildhauerarbeiten in Basalt-Porphyr blos mit Werkzeugen von Bitterstein oder ähnlichen, sehr harten Steinen ausgeführt worden sind. Freilich habe ich vergebens nach irgend einem Meissel von Metall, den die alten Mexikaner gebraucht hätten, und wie ich einen aus Peru mitgebracht habe, geforscht; allein Antonio de Herera sagt doch im zehenten Buch seiner Geschichte von West-Indien ausdrüklich, dass die Bewohner der Küsten-Provinz Zacatollan, zwischen Acapulco und Colima, zwo Arten von Kupfer bearbeiteten, von denen die eine hart oder schneidend, die andre fletschbar gewesen sei. Aus dem harten Kupfer hätte man Aexte, Waffen und andre landwirthschaftliche Werkzeuge verfertigt; das fletschbare aber zu Vasen, Wärmepfannen und andren Haushaltungs-Geräthe gebraucht. Da nun die Küste von Zacatollan den Königen von Anahuac unterworfen war, so scheint es doch nicht wahrscheinlich, dass man noch in der Nähe der Hauptstadt fortgefahren habe, die Steine druch Reibung zu bearbeiten, wenn man Meissel von Metall haben konnte. Ohne Zweifel war dieses schneidende Kupfer, wie das, in Vilcabamba gefundene, Werkzeug, und wie die peruanische Axt, die Godin einst dem Herrn von Maurepas gesandt, und welche der Graf Caylus als aus gehärtetem Kupfer bestehend geglaubt hat, eine Mischung von Kupfer und Zinn.


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