Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 1 und 2

Büste einer Priesterin der Azteken


Hohe Auflösung

Hohe Auflösung

An der Spitze meines mahlerischen Atlasses steht ein kostbares Ueberbleibsel von aztekischer Bildhauerei. Diese Büste ist aus Basalt gearbeitet, und wird zu Mexico in dem Cabinet eines einsichtsvollen Kunstfreunds, des königl. spanischen Capitäns, Herrn Dupé, aufgewahrt. Dieser unterrichtete Officier, welcher in seiner Jugend den Geschmack für die Kunst in Italien eingesogen, hat das Innere von Neu-Spanien verschiedenemale in der Absicht bereisst, die mexicanischen Denkmale zu studieren. Mit vorzüglicher Sorgfalt zeichnete der die Reliefs an der Pyramide von Papantla, über die er ein sehr merkwürdiges Werk würde liefern können.

Die Büste, welche in ihrer natürlichen Grösse und von zwei Seiten (Tafel 1. und 2.) dargestellt ist, fällt besonders durch eine Art von Kopfputz auf, der mit dem Schleier, oder der Calantica der Isisköpfe, der Sphinxe, der Antinousse und vieler andrer egyptischen Statuen Aehnlichkeit hat. Indessen ist zu bemerken, dass bei dem egyptischen Schleier die zwei Enden, welche sich unter die Ohren herab verlängern, meistens sehr klein, und in die Queere gefaltet sind. An mehreren Statuen des Apis, in dem kapitolinischen Museum, sind die vordern Enden bauchigt und der Länge nach gestreift, die hintere Seite aber, welche den Hals berührt, ist ohne Ausnahme platt, und nicht, wie bei dem mexicanischen Kopfputz, gerundet. Dieser hat vielmehr mit der gestreiften Draperie an den Köpfen, welche in die Kapitäler der Säulen zu Tentyris eingefügt sind, die grösste Aehnlichkeit, wie man sich durch die genauen Zeichnungen überzeugen kann, die Herr Denon, in seiner Reise nach Egypten, Tafel 40 und 124, davon geliefert hat.

Die kannelierten Wulste an dem americanischen Kunstwerk, welche sich gegen die Schultern verlängern, sind vielleicht Haarmassen, gleich den Locken, die sich an einer Statue der Isis von griechischer Arbeit, in der Bibliothek der Villa Ludovisi, in Rom, vorfinden. Diese sonderbare Anordnung der Haare fällt besonders an der Rückseite der Büste, auf der zweiten Platte, auf, wo sie einen grossen Beutel, der in der Mitte durch einen Knoten befestigt ist, vorstellt. Der berühmte Zoëga, den der Tod vor Kurzem den Wissenschaften entrissen, hat mich versichert, dass er einen vollkommen ähnlichen Beutel an einer kleinen Statue des Osiris von Bronze, in dem Museum des Cardinals Borgia, zu Veletri, gesehen habe.

Die Stirne der aztekischen Priesterin ist mit einer Reihe Perlen geschmückt, welche eine sehr schmale Binde einfassen. Diese Perlen hat man noch an keiner egyptischen Statue wahrgenommen. Sie deuten die Verbindung an, welche zwischen der Stadt Tenochtitlan, dem alten Mexico, und den Küsten von Californien statt fand, wo sie in grosser Menge gefischt wurden. Der Hals ist in ein dreieckigtes Tuch eingehüllt, an welchem mit vieler Symmetrie zwei und zwanzig Troddeln oder Schellen herabhängen. Diese Schellen, so wie auch den Haarputz, sieht man an einer Menge von mexicanischen Statuen, Basreliefs und hieroglyphischen Gemählden. Sie erinnern an die kleinen Aepfel und Granatfrüchte, die an dem Rock eines Hohenpriesters bei den Hebräern angebracht waren.

An dem Vordertheil der Büste, einen halben Decimeter über der Base, bemerkt man zu beiden Seiten die Zehen; dagegen finden sich aber keine Hände, was die Kindheit der Kunst beweisst. Man glaubt auf der Rückseite wahrzunehmen, dass die Figuer sitzend, oder gar kauernd vorgestellt ist. Es ist zu verwundern, dass die Augäpfel nicht ausdrückt sind, da sie sich doch an den Basreliefs, welche neuerlich zu Oaxaca entdeckt worden sind, vorfinden (S. Tafel XI.)

Der Basalt an dieser Figur ist sehr hart, und von schöner Schwärze. Es ist ein ächter, mit einigen Körnern von Peridot vermischter, Basalt, und nicht lydischer Stein, oder Porphyr mit einer Base von Grünstein, den die Antiquarien gemeiniglich egyptischen Basalt nennen. Die Falten des Kopfputzes, und besonders die Perlen sind äusserst fein ausgearbeitet; wenn schon der Künstler, welcher, aus Mangel an Meisseln von Stahl, mit kupfernen, mit Zinn vermischten, Werkzeugen, dergleichen ich aus Peru mitgebracht habe, arbeiten, und desswegen bei der Ausführung grosse Schwierigkeiten finden musste.

Diese Büste ist unter den Augen des Herrn Dupé durch einen Zögling der Mahlerakademie zu Mexico sehr genau gezeichnet worden. Sie hat 0m,38 Höhe, und 0m,19 Breite. Ich habe ihr die Benennung: Büste einer Priesterin, die man ihr im Lande selbst giebt, gelassen. Es könnte übrigens wohl seyn, dass sie irgend eine mexicanische Gottheit darstellt, und ursprünglich unter den Penaten gestanden hat. Diese Muthmassung wird durch den Kopfputz und die Perlen gerechtfertigt, welche sich an einem, in den Ruinen von Tezcuco gefundenen, Idol, das ich zu Berlin in dem Kabinet des Königs von Preussen niedergelgt habe, vorfinden. Des Halsschmuck und das Nichtunförmliche des Kopfs machen es hingegen wahrscheinlicher, dass die Büste ein gewöhnliches aztekisches Weib vorstellt. Unter dieser Voraussetzung könnten aber die kannelierten Wulste, welche sich gegen die Brust hin verlängern, keine Haarlocken seyn; denn der Oberpriester, oder Tepanteohuatzin, schnitt den Jungfrauen, welche sich dem Tempeldienst widmeten, die Haare ab.

Eine gewisse Aehnlichkeit zwischen der Calantica der Isis-Köpfe und dem mexicanischen Kopfputz, die Pyramiden mit mehrern Absätzen, gleich denen zu Fejum; dann der häufige Gebrauch der hieroglyphischen Mahlerei, den fünf Ergängzungstage, so dem mexicanischen Jahre beigefügt wurden, und welche an die Epagomenen des memphitischen Jahres erinnern, bieten sehr merkwürdige Vergleichungspunkte zwischen den Völkern des alten und des neuen Continents dar. Uebrigens sind wir weit davon entfernt, uns Hypothesen zu überlassen, welche eben so schwankend und gewagt seyn würden, als diejenigen, kraft deren man aus den Chinesen eine egyptische Colonie, und aus der baskischen Sprache einen hebräischen Dialekt gemacht hat. Untersucht man die Thatsachen einzeln, so verschwinden die meisten dieser Aehnlichkeiten wieder. So ist, zum Beispiel, das mexicanische Jahr, troz seiner Epagomenen, von dem egyptischen durchaus verschieden. Ein grosser Geometer, der sich die Mühe genommen, meine mitgebrachten Bruchstücke zu untersuchen, hat mittelst der mexicanischen Intercalation gefunden, dass die Länge des tropischen Jahrs der Azteken mit der Länge, welche die Astronomen des Alamon herausgebracht haben, identisch ist. (Laplace, exposition du systême du monde, 3me édit. P. 554.)

Steigt man in die ältesten Zeiten empor, so weist uns die Geschichte auf mehrere Mittelpunkte der Civilisation, deren gegenseitige Verhältnisse zu einander uns völlig unbekannt sind, wie z. B. Meroë, Egypten, die Ufer des Euphrats, Indostan und China. Andre, noch ältere Heerde der Menschenbildung standen vielleicht auf dem Plateau von Central-Asien; und dem Wiederschein der letzten möchte man wohl den Anfang der americanischen Civilisation beymessen.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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