"Ernst Haeckel - Sandalion"

11. Kapitel

Stichproben aus der Jesuitenpresse




"Welche Stufe in der E r k e n n t n i s   d e r   W a h r h e i t  haben wir am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wirklich erreicht? Und welche Fortschritte nach diesem unendliche entfernten Ziele haben wir im Laufe desselben wirklich gemacht?"

Diese schwerwiegende Frage hatte ich 1899 im Vorwort zur der ersten Ausgabe der " W e l t r ä t s e l "  (S. V) aufgeworfen und hinzugefügt: "Die Antwort auf diese großen Fragen, die ich hier geben, kann naturgemäß nur s u b j e k t i v  und nur teilweise richtig sein; denn meine K e n n t n i s s e  der wirklichen Natur und meine V e r n u n f t  zur Beurteilung ihres objektiven Wesens sind b e s c h r ä n k t , ebenso wie diejenigen aller anderen Menschen. Das E i n z i g e , was ich für dieselben in Anspruch nehme,und was ich auch von meinen entschiedensten Gegnern verlangen muß, ist, daß meine monistische Philosophie v o n   A n f a n g   b i s   z u   E n d e   e h r l i c h  ist, d. h. der vollständige Ausdruck der ö b e r z e u g u n g , welche ich durch vieljähriges eifriges Forschen in der Natur und durch unablässiges Nachdenken über den wahren Grund ihrer Erscheinungen erworben habe.

Diese v o l l k o m m e n e   E h r l i c h k e i t   d e r   ö b e r z e u g u n g , die uneigennützige Reinheit meines Charakters im Streben nach Erkenntnis der Wahrheit, muß ich auch heute, wie vor elf Jahren auf das entschiedenste betonen, - heute noch um so mehr, als inzwischen meine Person und meine Lebensarbeit von deren Gegnern in der niedrigsten Weise beleidigt und verleumdet worden ist. Im Laufe der letzten Jahre ist durch Tausende von gehässigen Artikeln in klerikalen und reaktionären Blättern die i n f a m e   V e r l e u m d u n g  verbreitet worden, daß ich unverantwortliche Fälschungen der Wissenschaft begangen habe und nicht mehr würdig sei, unter ihren Vertretern zu stehen. Die schwarze Presse des evangelischen Keplerbundes hat darin gewetteifert mit derjenigen des katholischen Thomasbundes. Beide Zweige des gewaltigen Jesuitenbundes haben sich dabei derselben verächtlichen Mittel bedient; in beiden wird gleicherweise der echt jesuitische Grundsatz verwendet: "Der Zweck heiligt die Mittel."

Die vorhergehenden kritischen Untersuchungen über die angeblichen und die wahren "Fälschungen der Wissenschaft" werden jeden ehrlichen und unbefangenen Zuschauer dieses widerwärtigen Kampfes überzeugt haben, daß die mir zugeschobenen "Fälschungen" - durch "schematisierte Bilder"! - ganz bedeutungslos und für die E r k e n n t n i s  der Wahrheit gleichgültig sind; daß dagegen die großartigen Fälschungen des Jesuitenbundes (- durch Entstellung des Weltbildes und Verdrehung der wichtigsten Entwicklungsgedanken! -) nicht die Erkenntnis, sondern die Verschleierung der Wahrheit bezwecken. Tatsächlich soll dadurch die natürliche reine Entwicklungslehre vernichtet und an ihre Stelle der alte dualistische Aberglaube von einer übernatürlichen wunderbaren Schöpfung gesetzt werden; - vor allem soll der wichtigste Folgeschluß der ersteren, d i e   A b s t a m m u n g   d e s   M e n s c h e n  von einer Reihe von Wirbeltieren (zunächst Säugetieren) widerlegt werden. Nur weil ich diese wichtigsten Sätze der monistischen Genetik seit einem halben Jahrhundert unerschrocken vertreten, nur weil ich rücksichtslos ihre Bedeutung für die einheitliche Weltanschauung verteidigt habe, nur deshalb greift der Jesuitenbund mich so maßlos an.

Wenn ich jetzt in diesem "Kampf auf Tod und Leben" gegen den Jesuitenbund mich energisch und rücksichtslos verteidige, so befinde ich mich p e r s ö n l i c h  im Zustande der Notwehr; s a c h l i c h  aber fühle ich mich dazu verpflichtet, die gute Sache der Wahrheit, deren Förderung ich meine ganze Kraft und mein langes Leben mit voller Hingebung gewidmet habe, bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Da ich jetzt im siebenundsiebzigsten Lebensjahre stehe und nicht die Kraft mehr zu neuen selbstständigen Arbeiten besitze, da ich nach Niederlegung meines akademischen Lehramtes nur noch eine kurze Zeitspanne meines Lebens übrig habe, kann es mir nicht in den Sinn kommen, durch diese n o t g e d r u n g e n e   V e r t e i d i g u n g  irgend einen Vorteil für mich zu erreichen. Wohl aber wünsche ich damit meinen Namen - und damit die von mir vertretene Sache - von den Flecken zu reinigen, mit welchen die i n f a m e n   L ü g e n  und die gewissenlosen Verleumdungen des J e s u i t e n b u n d e s  sie besudelt haben.

Nichts liegt mir ferner, als meine Person in einem falschen idealen Lichte leuchten zu lassen. Ich habe viele und große Fehler, und habe trotz des besten Willens in meinen Arbeiten zahlreiche Irrtümer begangen. Meine Begeisterung für die Natur und ihre Erkenntnis (- von den Gegnern oft als "Fanatismus" getadelt -), und besonders der frühzeitig entwickelte Trieb nach Abrundung des ganzen Forschungsgebietes (- von einigen Freunden scherzhaft als "Vollständigkeitstrieb" bezeichnet -) haben mich vielfach dazu verführt, die Grenzen der "exakten" Beobachtung zu überschreiten und ihre Lücken durch Reflexion und durch Hypothesen auszufüllen. Ich glaube aber, daß ich gerade dadurch oft zu brauchbaren Ergebnissen gelangt bin, und daß meine verspottete "Naturphilosophie" die Erkenntnis und Verbreitungg der Wahrheit mehr gefördert hat, als die Tausende von Beobachtungen, die ich in meinen Monographien der Radiolarien, Spongien, Medusen, Siphonophoren usw. gewissenhaft mitgeteilt habe.

In dem verworrenen Kampf um die Wahrheit, den die Jesuiten mir aufgedrungen haben, kann nicht genug darauf hingewiesen werden, daß dessen wichtigstes Ziel die Lösung des M e n s c h e n - P r o b l e m s  ist, der gewaltigen "Frage aller Fragen", wie sie T h o m a s   H u x l e y  1863 treffend genannt hat. Ich habe dieselbe gründlich und erschöpfend in meiner A n t h r o p o g e n i e  (L. 3) behandelt, übersichtlich und zusammenfassend in meinem Vortrage über "Das Menschen-Problem und die Herrentiere von Linné" (L. 5). (Neuer Frankfurter Verlag 1907.) Einer der geschicktesten und wirksamsten S c h a c h z ü g e   d e r   J e s u i t e n  der e v a n g e l i s c h e n  wie der k a t h o l i s c h e n ! - besteht darin, daß sie dieses höchste (für sie furchtbarste!) Problem entweder als "ganz unlösbar und transzendent" bezeichnen, oder dadurch beiseite schieben, daß sie sich auf "Mangel an exakten Beweisen" berufen.

Klarer als je zuvor liegt heute vor jedem freidenkenden Gebildeten die Ernkenntnis, daß die vielgesuchte W a h r h e i t  nur durch die unbefangene Erkenntnis der N a t u r , nicht durch eine mystische O f f e n b a r u n g  übernatürlicher Wunder gefunden werden kann. Besser begründet als je zuvor schließt sich daran die öberzeugung, daß auch unsere sittliche L e b e n s f ü h r u n g  durch die erstere sich zu einer höheren Stufe emporbilden wird als durch die letztere; unser M o n i s m u s  bleibt im besten Sinne das wahre "Band zwischen Religion und Wissenschaft".






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erstellt von Christoph Sommer am 13.12.1999