Ernst Haeckel: Briefe an die Eltern

85. Brief

Würzburg, 27. 6. 1856.

Meine liebste Mutter!

. . . Die beifolgenden Bilder sollten Dir, liebste Mutter, nur ein sinnliches Zeichen meines kindlichen Geburtstagsgrußes sein. Ich habe jetzt so lange nichts Ordentliches gezeichnet, daß ich ganz aus der Übung war, und so ist nichts Rechts daraus geworden. Da Du Dich aber doch immer über die schlechtesten Leistungen Deines Jungen freust, so schicke ich sie Dir. Tante Berta wird Dir auch wohl ein großes Bild von Bozen, Meran und Umgebung gegeben haben, wenigstens hatte ich es ihr aufgetragen, Dir vor Deiner Abreise zu übergeben.

Außerdem bekommst Du auch noch ein paar Bocksbeutel von mir, die ich Dir aber jetzt nicht nach Nenndorf schicken wollte, da Du sie dort ohnehin nicht wirst trinken dürfen. Ich werde sie im Herbst mitbringen, und sie werden Dir gewiß doppelt gut schmecken, da sie mit meinem ersten, sauerverdienten Gehalte bezahlt sind! Ich erhebe dasselbe jetzt in monatlichen Raten von 12 1/2 fl. (macht täglich 24 48/73 Kreuzer). Dazu kam gestern ganz unerwarteterweise noch eine ganz hübsche Zulage, auf die ich gar nicht mehr gerechnet hatte. Ich bekam nämlich als Honorar für meine Aufsätze in der "Wiener medizinischen Wochenschrift" plötzlich von Wien 20 Taler, sage zwanzig Taler! geschickt. Ich könnt Euch denken, wie erstaunt ich über diesen Redakteursedelmut bei Empfang des "Schmerzensgeldes" (wie Virchow sagte) war! Ich werde diese ganz hübsche Summe zusammen mit meinem Gehalt dafür verwenden, mir bei Schieck ein kleines Mikroskop zu 50 Taler, welches ich durchaus notwendig brauche, zu bestellen . . .

Die vorige Woche war hier durch eine große Feierlichkeit ausgezeichnet, indem der König und die Königin von Bayern auf ihrer Durchreise nach Bad Brückenau hier einen Tag verweilten. Professor Scanzoni, Leibarzt der Königin, der jetzt zugleich Universitätsrektor ist, gab sich alle Mühe, dazu einen großartigen Fackelzug der Studentenschaft zustande zu bringen und da die Fackeln gratis geliefert wurden, so fiel er in der Tat recht glänzend aus. Die fünf Korps mit ihren bunten Mützen und Fahnen spielten natürlich dabei die Hauptrolle. Aber auch die Masse der übrigen, sogenannten wilden Studenten (gegen 700) nahm sich dabei recht imposant aus. Als die ganze Masse auf dem großen Residenzplatz vor dem Schlosse aufgereiht war, verdunkelte die rote Fackelglut vollkommen den bleichen Glanz der Illuminationslichter und der schwarze Qualm stieg als schwere Wolke empor. Die Straßen und Häuser zeigen noch heute die traurigen Spuren davon. Ich habe dabei ebenfalls eine Rolle gespielt, da ich den guten Einfall hatte, wie schon damals (1852) für den Fackelzug für Virchow, meine große schwarze Sezierkutte, die jetzt eigentlich zugleich eine Art Amtstracht für mich ist, anzuziehen. Die lange schwarze Figur mit den hellen Haaren und einen dunkeln alten Kalabreserhut soll wirklich grandios ausgesehen haben und erregte allgemeinen Beifall. Die einen hielten mich mehr für einen Feuerwehrmann, die andern mehr für einen der Teufel, die Don Juan herunterholen, item ich gab eine sehr effektvolle Charaktermaske ab. Die Geschichte machte mir auch solchen Spaß, daß ich ganz ausgelassen wurde und meine langen Fackeln trotz einem schwang. So ein Fackelzug macht mir immer sehr großen Spaß, da so etwas Wildes, Phantastisches dabei ist, und der Gedanke, daß dies wahrscheinlich der letzte sein würde, den ich Gelegenheit hätte, mitzumachen, bewog mich hauptsächlich, daran teilzunehmen, obwohl ich im Grunde gar keine Indikation dafür einsah, einem Könige und am wenigsten dem Könige von Bayern einen Fackelzug darzubringen. Andererseits warf man mir, insbesondere als königl. bayr. Staatsdiener, solchen Mangel an Patriotismus und solche preußische Sonderbündelei von bayrischer Seite vor, daß ich, schon um es mit den Bayern nicht ganz zu verderben, den Spaß mitzumachen beschloß . . .

Dein treuer alter Ernst.




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Erstellt von Christoph Sommer am 02.07.1999