Ernst Haeckel: Briefe an die Eltern

60. Brief

Würzburg, 1. 8. 1855.

Liebste Mutter!

. . . Die acht Tage, die mir jetzt noch bleiben, werde ich tüchtig benutzen, um mich noch etwas mit der physikalischen Geographie der Alpen vertraut zu machen. Daß ich mich riesig auf die Alpenreise freue, und daß diese schon seit ein paar Wochen alle andern Studien in den Hintergrund gedrängt, brauche ich Dir wohl nicht erst zu sagen. Nun bitte ich Dich nur noch, Dir doch ja keine Sorgen und Ängste meineswegen zu machen. Da ich durch Eure unvergleichliche Freigebigkeit jetzt viel mehr Geld zu der schönen Reise erhalten habe, als ich brauchen werde, so kann ich sie so recht con amore und mit aller Ruhe und Bequemlichkeit, die ich brauche, ausführen. Da ich mein Gepäck immer mitschleppe, so werde ich überall, wo ich nicht auf Chauseen oder unfehlbaren Landstraßen marschiere, mir einen Führer nehmen, und Du darfst also vollkommen ruhig und sorglos sein. Die Briefe, die ich Euch aus den Alpen schreiben werde, werden wegen des voraussichtlichen Zeitmangels wohl sehr kurz sein und nur die wichtigsten Notizen Euch bringen. Desto ausführlicher werde ich Euch in dem nachher auszuarbeitenden Tagebuch die schöne Reise schildern.

Nun lebe recht wohl, meine herzliebe Mutter, sei recht vergnügt, namentlich auch, wenn du an Deinen im Naturparadies schwelgenden Jungen denkst und habe nochmals tausend Dank für alle Deine treue Liebe.

Dein alter treuer Ernst.




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Erstellt von Christoph Sommer am 02.07.1999