Italienfahrt - Ernst Haeckel

Monte Cavo, 24. 3. 1859.

Brief Nr. 7

Einen schönen guten Morgen, mein lieber Schatz!

Hoffentlich lacht Dir heute die Sonne recht fröhlich in Dein liebes Gesicht, während es hier um mich nach Möglichkeit stürmt, hagelt und regnet. Schwerlich werde ich Dir wohl je wieder aus einer so pikanten, wenn auch nicht gerade angenehmen Lage guten Morgen wünschen. Ich befinde mich nämlich in dem Passionistenkloster auf der Spitze des Monte Cavo, des höchsten Berges im Sabinergebirge (3000 Fuß ü. M.). Soeben hat der Prior und der Pater Guardian vergebliche Bekehrungsversuche mit mir angestellt, nachdem ich ihm sehr freimütig einiges von meinen Grundsätzen ausgekramt und die Lichtseiten der evangelischen Religion neben den Schattenseiten der katholischen möglichst herausgehoben hatte. Wären die Leute nicht so demütig und wirklich von Herzen gutmütig, so hätten sie über den krassen Ketzer wirlich wild werden können, der erst ihre Wohltaten genossen und nun nicht einmal ihren teuren Glauben anerkennen will. Im stellen gaben sie mich, nachdem die verschiedenen Expositionen über die Jungfrau Maria und die Heiligen fruchtlos an mir vorübergezogen, verloren und dachten nur an die lange Fegefeuerstation, die ich würde durchmachen müssen. (Als ob ich die nicht schon jetzt, in der Trennung von Dir, durchmachte!) Namentlich konnte sich der Guardiano gar nicht zufrieden geben, daß ein "cosi bel giovinetto!" dem allein seligmachenden Glauben verlorengehen sollte und wandte seine ganze Überredungskunst an, um mich, wenn auch nicht zum "frate" (Mönch), so wenigstens zum catholico zu machen, obgleich er mir versicherte, daß ich zum frate ganz besonders geeignet wäre (vermutlich weil ich die elende Existenz hier wirklich mit mönchischer Geduld ertragen hatte!) Was jedoch das Mönchwerden betrifft, so hatīs damit noch gute Weile, und die Proben, die ich gestern und heute davon erlebt, haben mich grade nicht lüstern danach gemacht . . .

Ich fuhr gestern mit dem ersten Frühzug mit der Eisenbahn von Rom nach Frascati. Es ist dies die einzige kurze Eisenbahnstrecke, welche von Rom aus fertig ist und ebenso schlecht und in jeder Beziehung embryonal wie etwa das römische Unterrichtswesen. (Die Eisenbahn nach Civita vecchia, eines der dringendsten Bedürfnisse, die schon seit mehreren Jahren jedem Monat eröffnet werden soll, wird wohl den langersehnten Moment noch sehr lange hinhalten.) In Frascati, an der Nordwestecke des Albanergebirges gelegen, traf ich drei Russen (zwei Historienmaler und einen Arzt). Mit letzteren unterhielt ich mich auch deutsch, mit ersteren italienisch. Der Dr. Krause aus Kiew war ein recht netter Mann, der mir viel von dem glänzenden Leben der Ärzte in Rußland erzählte. Die drei Russen wollten ebenfalls den Monte Cavo besteigen, aber mit Hilfe von Mauleseln. Ich schloß mich ihnen an, natürlich zu Fuß, und war, trotzdem die Eselnchen einen recht guten Schritt gingen, doch meist voraus, worüber der Eselstreiber sich nicht wenig ärgerte und seinen Ärger durch die Worte Luft machte: "Questo puo far soltanto un Tedesco!" ("Das kann auch nur ein Deutscher!") Rascher als ein Esel zu Fuß zu gehen, war offenbar in seinen Augen eine große Gemeinheit. Der Weg führte durch sehr angenehme Landschaft, abwechselnd mit schönen Villen, Gärten, Feldern, kleinen Wäldern bedeckt. Die letzteren, welche es im Sommer reizend machen müssen, waren leider jetzt noch ganz kahl. Dagegen erfreute mich meine geliebte Flora durch den Anblick einiger ihrer reizendsten Frühlingskinder, welche in schönster Fülle den Waldboden mit ihren Blüten schmückten: eine prächtige, himmelblaue Anemone (ich glaube: apenninia), ein dunkelblauer Krokus, eine hellblaue Scilla (vielleicht unsere Scilla bifolia, obwohl etwas größer), ferner ein paar violette Pulmonarien (davon das eine mit weißbezuckerten Blättern: saccharata?. Weiter oben am Berge und nahe dem Gipfel des Monte Cavo fand ich eine gelbgrün blühende Daphne (Laureola?) und unser reizendes Schneeglöckchen, welches ich bisher noch niemals wild gefunden hatte.

Nach zweistündigem Marsche waren wir in Rocca di Papa, der alten Arx Albana, angelangt, einem äußerst malerisch an dem schroffen Abhang eines mächtigen Felsblockes angeklebten Gebirgsstädtchen. Unmittelbar darüber breitet sich, in weitem Halbkreis von Bergen umkränzt, eine flache Hochebene aus, das sogenannte Campo dīHannibale, von wo aus Hannibal den Plan zur Einnahme Roms entworfen und seine Truppen geordnet haben soll. Von hier aus hatten wir bis zum Gipfel des Monte Cavo eine halbe Stunde durch Wald zu steigen. Leider hatte sich der am Morgen ganz klare Himmel in der letzten halben Stunde mit schweren Wolkenmassen bedeckt und schon fingen einzelne große Tropfen an herabzufallen. Wir eilten daher möglichst, unser Asyl zu erreichen und hatten kaum darin Posto gefaßt, als ein Unwetter losbrach, von dessen Intensität man sich bei uns keinen Begriff macht. Regen fiel nur wenig, aber desto mehr Hagel, den ich nie in solchen Massen beisammen gesehen. In weniger als zwei Stunden war der Fußboden mit einer dreiviertel Fuß dicken Schicht von durchschnittlich kirschkerngroßen Hagelkörnern bedeckt, welche nachher im Laufe des Tages zu einer zusammenhängenden homogenen Eisdecke zusammenschmolzen, die etwa 4 Fuß dick war und so fest, daß die Hunde, ohne einen Eindruck zu machen, darüber hinwegliefen.

Unser Empfang in dem Kloster, das wir gerade vor Toresschluß erreichten, war von seiten der Mönche sehr freundlich, weniger von seiten des Zimmers, das uns wie eine kalte Grabesgruft vorkam, und von seiten der Speisen und Getränke, deren Qualität und Quantität der Enthaltsamkeit der Mönche alle Ehre machten. Um zuerst die Kellerluft aus dem Zimmer zu vertreiben, sperrten wir, trotz des dichten Hagels, Türe und Fenster auf und zündeten auf dem Herde ein lustiges Kaminfeuer an, das uns bald die erstarrten Glieder erwärmte und belebte. Als das einzige, was wir zu essen bekommen konnten, wurden uns Wein, Brot, Käse und Eier angeboten; doch erschienen alle diese Kostbarkeiten, da die Mönche eine geistliche Übung vorhatten, erst um 2 Uhr, nach zweistündigem, sehnsüchtigen Warten. Doch war ihre Qualität so bedenklich, daß wir trotz großen Hungers bald auf den Genuß verzichteten. Der Wein war nur verdünnter Essig, das Brot steinhart und völlig ausgetrocknet, der Käse ranzig und verschimmelt; die Eier, von denen wir leider wenig bekommen konnten, waren, wie überall, das einzig Gute und Genießbare. Trotz dieser kärglichen Bewirtung machte ich es mir doch bald bei dem warmen Feuer ziemlich behaglich, während die Russen sich nicht darein finden konnten und nach zweistündigem Warten und Schimpfen in argem Regen wieder auf ihren Eseln nach Frascati hinuntertrabten. Ich blieb zurück, um wenigstens morgen noch mein Glück zu versuchen.

Um 5 Uhr hörte plötzlich der Regen auf, nachdem es eine halbe Stunde lang tüchtig gedonnert und geblitzt hatte (der Widerhall des Donners in den Gebirgskesseln war herrlich!), und es hellte sich so weit auf, daß ich noch eine Stunde lang, zuletzt bei herrlicher Abendbeleuchtung, die merkwürdige Aussicht von dem Balkon des Klosters nach Westen und Norden genießen konnte. Zu den Füßen dichte Waldmassen, jetzt leider ganz braun und kahl, mitten darin die beiden runden, berühmten schönen Gebirgsseen von Nemi und Albano, rings von je einem runden Gebirgswall eingeschlossen, in der Mitte wie zwei grüne Brillengläser ddruch einen schmalen Nasen- (Gebirgs-) Rücken verbunden. In dem Wald am Fuß der Berge die reizend gelegenen Ortschaften, von links nach rechts sich folgend: Nemi, Genzano, Ariccia, Albano, Marino, Grotta ferrata, Frascati. Darüber die weite grüne Campagna und über dieser ein breiter, dunkelblauer Gürtel des Tyrrhenischen Meeres. Nach Norden Rom, mitten in der Campagna, und die vorspringenden Ausläufer des schönen Sabinergebirges.

Als es dunkel wurde, brachte mir ein Mönch um 7 Uhr eine Lampe, doch mit dem Bedeuten, daß sie nur bis 8 Uhr brennen dürfe, da nach 8 Uhr kein Licht mehr im Kloster sein dürfte. Zugleich lud er mich ein, mich ins Refektorium zu begeben, um dort (in Gesellschaft eines Schusters, der zum Sandalenflicken da war) mein Abendmahl einzunehmen. Ich folgte der Einladung nur ungern, und wie ich bald sah, mit Recht. Denn der dürre, nur in Wasser aufgekochte Stockfisch, den sie mir vorsetzten, war wirklich nicht zu genießen. Einer konnte ich nicht bekommen, weil man diese in der Quaresima (Fastenzeit) wie die Milch nur einmal täglich essen darf! Um 8 Uhr stieg ich also hungrig in das Bett, welches mir in einer kleinen Büßerzelle im oberen Stock zubereitet war und welches, abgesehen von den reichen Insektenschwärmen, die hier nirgends zu vermeiden sind und an die man sich ganz gewöhnt, leidlich war. Der Mönch hatte mich schon im voraus darauf aufmerksam gemacht, daß ich zweimal in der Nacht durch ihre geistlichen Andachtsübungen geweckt werden würde. Um 12 Uhr erhob sich denn auch ein Lärm, der hinreichend gewesen wäre, selbst die Toten am Tage des Jüngsten Gerichts zu erwecken. Durch die langen Korridore, treppauf, treppab, schritt ein Mönch mit einem kolossalen Lärminstrument, einer Riesenkastagnette, deren schrillendes Gerassel auch die faulsten Brüder aus dem Bett holen mußte. Dann wurde über eine Viertelstunde mit der Glocke geläutet und hierauf über eine halbe Stunde Chorbußlieder gesungen, so daß ich erst nach 1 Uhr wieder ans Einschlafen denken konnte. Um 4 Uhr wiederholte sich dasselbe Manöver, worauf ich denn bald aufstand und mich zum Abziehen aus dem Bußorte fertig machte. Doch fand ich bei Tagesanbruch Berg und Tal in so dichten Nebel gehüllt, daß ich vorläufig noch abwarten mußte. Um 8 Uhr, nachdem ich eben ein Zwergtäßchen schwarzen Kaffee geschlürft, das einzige Gute, was ich außer den paar Eiern in dem Kloster bekommen, erschien mein Pater Antonio, um mich zur Messe abzuholen, wobei denn meine entsetzliche Ketzerei zutage kam, die dem armen Bruder solchen Schrecken einjagte und ihn zu den vergeblichen Bekehrungsversuchen veranlaßte, von denen ich eingangs dieses Briefes berichtete, und von denen ich mich jetzt durch Briefschreiben erhole. Doch da hört soeben der Regen auf, die Nebel zerteilen sich etwas, und ich will den freien Moment benutzen, um aufzubrechen und nach Frascati zurückzukommen zu suchen . . .


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