Italienfahrt - Ernst Haeckel

Messina, 24. 3. 1860

Brief Nr. 69

Das also wäre wirklich der letzte Gruß aus dem schönen Messina, mein lieber, bester Schatz! Ein Gedanke, der so viele und so widerstrebende Empfindungen in mir wachruft, daß ich viele Bogen beschreiben müßte, wollte ich sie Dir alle auseinandersetzen. Alle andern Gedanken und Strebungen werden freilich von einem einzigen weit übertroffen, ja, ganz in den Hintergrund gedrängt, und das ist der eine selige Gedanke des glücklichsten Wiedersehens, so erhaben und reich, so beglückend und innig, daß ich nichts von allen bisherigen Erlebnissen dem einen an die Seite zu setzen wage. Ja, ich kann diesen glückseligen Gedanken, mein Liebstes, Bestes auf der Welt bald wieder zu besitzen, in der beseligenden Nähe meiner süßen Braut Ruhe und Frieden zu finden, den heißesten Sehnsuchtswunsch langer, banger 5/4 Jahre erfüllt zu sehen, ich kann diesen glückseligen Gedanken, der mich Tag und Nacht beständig beschäftigt, nicht ausdenken, ohne daß alle meine Sinne in einen süßen Taumel geraten und die übervolle Brust in ein lautes Jauchzen ausbricht, welches der ganzen Natur meine Glückseligkeit mitteilen soll. Schatzchen, wie werden wir nur das übergroße Glück des seligsten Wiedersehens ertragen können. Ich stelle mir immer vor, daß mir alle Worte fehlen werden, um die Überfülle innigster Gefühle auszusprechen. Ein einziger seliger Kuß wird die die beste Sprache sein! . . .

Die verflossene letzte Woche war noch viel unruhiger und ungemütlicher als die vorletzte, in welcher ich alle Sammlungen von Tieren auspacken, ordnen, bestimmen und wieder hatte einpacken müssen. Dagegen kam nun in dieser Woche das Verpacken all der einzelnen Gläser (gegen 200) in die Kisten, das Packen der andern Kisten mit trocknen Präparaten und mit den ganzen Schätzen der italischen Reise, und endlich das Fortschaffen all dieser Sachen. Das kostet hier, wo alles nur sehr schwierig und um so mehr Geld als bei uns zu haben ist, viel mehr Zeit, Mühe und Geld, als man sich bei uns träumen läßt, und Ärger habe ich dabei fast mehr als auf der ganzen Reise durch Sizilien gehabt. Dazu kam noch der schlimme Umstand, daß das alles auf meiner Stube geschehen mußte, in der ich auch schlafen mußte. Die anatomischen Präparate, die ich für Bonn, Jena und Helsingfors gesammelt hatte, hatten aber, mehrere Tage frei daliegend, die Luft so verpestet, daß sowohl Dr. v. Bartels und Ehlers, die mir dabei geholfen hatten, als ich selbst sehr unwohl wurden und heftiges Kopfweh, große Mattigkeit und leichtes Fieber bekamen. E. liegt noch zu Bett. Dr. v. B. und ich haben uns vorgestern nach Fortschaffung all des Zeuges durch eine strapaziöse Fußtour in die Berge wieder ganz munter gemacht. Meine Stube sah diese 12 Tage hindurch wie das leibhaftige Chaos aus, und ich atmete nicht eher wieder frei auf, als bis endlich alles fort war. In welchem Umfange ich gesammelt und demgemäß auch zu packen hatte, könnt Ihr daraus entnehmen, daß ich, obwohl ich unter beständiger, sehr brauchbarer Hilfe des guten Dr. v. B. diese ganzen 12 Tage vom Morgen bis zum Abend packte, doch erst vorgestern ganz fertig wurde. Zuletzt hatte ich nicht weniger als zwölf volle Kisten beisammen; davon gehen zwei an das anatomische Bonner Museum, eine an das Jenenser, einen an das Berliner zoologische Museum, drei an Allmers (eine mit Wein, eine mit Mineralien, eine mit Kunstsachen), fünf an mich selbst, davon zwei allein ganz mit Gläsern gefüllt . . .

Nun noch einen letzten Abschiedgruß aus dem schönen Sizilien Euch, liebe Alten, und Dir, bester Herzenschatz. Dir, lieber Vater, herzlichsten Dank, daß Du mir 14 TAge in Paris erlaubt hast. Etwa Karfreitag denke ich in Paris einzutreffen, von wo Ihr zu Ostern den nächsten Brief erhaltet . . .


Brief 68 ..................................................Brief 70




zurück zum Inhaltsverzeichnis



Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library.
Copyright 1999 Kurt Stüber.
Diese Seite wurde erstellt am 9. August 1999