Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 2. 9. 1859 (abends)

Brief Nr. 42

Ich kann Dir nicht sagen, wie eigen mir heut früh zumute war, als ich von dem herrlichen Wundereiland Abschied nahm, auf dem ich vier Wochen lang den schönsten Künstlertraum träumte, der mir für mein ganzes Leben eine der liebsten Erinnerungen bleiben wird. Ein Traum war´s wahrhaftig, so glänzend, so harmonisch, so zauberisch sind mir diese vier Wochen verflossen, die mir jetzt kaum vier Tage zu sein scheinen. Mit einziger Ausnahme von Ischia, welches zwar viel reicher und mannigfaltiger ist, aber ebendarum auch jener vollkommenen Harmonie entbehrt und außerdem nichts von all den großartigen, fast einzigen Naturwundern des herrlichen Capri aufzuweisen hat, - habe ich nirgends in Italien so von ganzer Seele genossen und mein deutsches Gemüt so wahrhaft befriedigt gefunden.

Allmers war einige Tage vor mir als Capri abgereist, und so war ich die letzten Tage mit zwei afrikanischen Malern allein, mit denen wir leider erst in der leltzten Zeit unsers Aufenthalts näher bekannt wurden. Der eine davon, Marianno da Silva, ist portugiesischer Abkunft, von S. Michele auf den Azoren gebürtig, der andere, John Rilley, englischer Abkunft aus Madeira. Letzterer war ziemlich still, aber recht nett; ersterer dagegen ein wahrhaft tropisches Feuerblut, von heißem Leben immer übersprudelnd, dabei ein dramatisches Talent, wie ich selten eins gesehen habe, und ein sehr geschickter Improvisator. Am 1. 9., gestern, am letzten Abend meiner Anwesenheit, hatte er, da er mich, trotz sehr entgegengesetzter Natur, sehr liebgewonnen, zu Ehren meines Abschieds ein kleines Zauberfest arrangiert, durch das ganz Capri in Bewegung gesetzt wurde. Die schönsten Mädchen mußten kommen, um Tarantella zu tanzen und besten Capriwein flaschenweis aufzufahren, und er selbst als Hauptfigur, keinen Augenblick ruhig, immer von tollen Einfällen übersprudelnd, führte mir eine Reihe bunter, phantastischer Szenen voll dramatischen Lebens vor, daß die Ideen eines Märchentraums nur noch vervollständigt wurden und ich immer in der Walpurgisnacht zu sein glaubte. Bis 2 Uhr wußte er uns so durch ewig neue, awechselnde, phantasiereiche Einfälle und Darstellungen, dabei immer in Opernart improvisierend, zu unterhalten, so daß ich mir am andern Morgen wirklich die Augen rieb, ob nicht alles nur ein Traum gewesen sei. Das war ein würdiger Abschluß! . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 22. Juni 1999