Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 25. 4. 1859

Brief Nr. 17

Lieber Vater!

. . . Heute morgen, am zweiten Feiertag, lockte das köstliche Frühlingswetter so mächtig ins Freie, daß ich nicht umhin konnte, die Mikroskope zum erstenmal seit 3 Wochen im Kasten zu lassen und teil an einer Exkursion zu nehmen, welche der hiesige deutsche Gesangverein nach Bajae machte. Dieser Verein besteht aus einigen 30-40 Deutschen und Schweizern, meist Handwerkern und Kaufleuten, zum Teil recht nette, meist jugendliche frische Leute. Zweimal wöchentlich kömmt er abends in der Schweizer Kneipe beim "Appenzeller" zusammen, und ich gehe gewöhnlich auch hin, plaudere mein deutsches Herz etwas aus und erfreue mich herzlich an dem schönen Männergesang, der von jeher meine besondere Liebe war und hier in der Fremde mit seinen herrlichen deutschen Studenten-, Freiheits-, Heimats- und Liebesliedern das herz doppelt erbaut. Ich plaudere recht gern mit diesen einfachen, anspruchslosen, netten Leuten und fühle mich bei ihnen viel wohler als in dem aristokratischen Zirkel unserer Mittagsgesellschaft. Schon um das Zusammenhalten des deutschen Elements hier nach Kräften zu unterstützen, gehe ich ziemlich oft hin. Es ist übrigens hier in Italien überall höchst erfreulich, das innige, feste Zusammenhalten aller deutschen Elemente wahrzunehmen, die wenigstens im Auslande die berühmte deutsche Einheit im besten Sinne repräsentieren, die daheim die Eigensucht und Willkür der Fürsten nicht zustande kommen läßt.

Dieser deutsche Gesangverein nun machte heute wie jeden Ostermontag bisher eine Tour nach dem Golf von Bajae. Wir fuhren zunächst im herrlichsten Frühsonnenschein an der Chiaja hin, dann durch die Grotte des Polilip, einen hohen, 2000 Fuß langen, schon von den alten Römern durch das Vorgebirge gehauenen Tunnel, der ihnen den beschwerlichen Umweg über das Vorgebirge nach Puzzuoli ersparen sollte. Dann fuhren wir immer unmittelbar am Meeresstrand des reizenden Golfs von Bajae hin, ein überaus wundervoll ausgebuchteter Halbkreis mit vorspringenden, äußerst malerischen Halbinseln. Der Strand ist überall dicht mit den Resten der Mosaiken und Substruktionen aus den Villen der römischen Großen, des Augustus, Nero, Lucull, Pollio, Cicero, Hortensis usw. geziert, die in dichter Folge diesen reizenden Meerbusen rings schmücken. Bajae selbst mit seinem auf steilem Fels vorspringenden Kastell liegt ganz reizend hinter dem Cap Miseno. Von da gingen wir nach dem Lago Fusano hinüber, dem Brackwassersee, in dem schon zu Zeiten der Römer die köstlichsten Austern künstlich gezogen wurden. Wir nahmen ein glänzendes Frühstück davon ein, welche sich viel lieber Euch gegönnt hätte, da ich Austern lieber mikroskopiere, als esse. Dann befreiten wir im Triumpf mehrere gefangene Rotkehlchen aus den grausamen Händen angehender Lazzaroni. Von da gingen wir zum Avernersee, der jetzt in einen Kriegshafen umgewandelt wird und mit dem Meer durch einen Kanal verbunden wird. Wir gingen rings an seinem Ufer herum, durch prächtige Orangengärten und die große Ruine eines Apollotempels.

Das schönste des Tages kam aber noch, die Besteigung des Monte nuovo, zu der ich jedoch nur vier Landsleute mir zu folgen bewegen konnte. Es ist dies ein erst vor 300 Jahren erstendener, ganz rein konischer Vulkan mti einem prächtigen, rein trichterförmigen Krater. Ein paar ähnliche Krater in nächster Umgebung nach den andern Seiten. Vom Gipfel überaus herrliche Aussicht, an der wir uns bei der köstlichsten Beleuchtung gar nicht satt sehen konnten. Der Golf von Bajae mit seinen reizenden Küstenvorsprüngen, die Kampanischen Inseln, Ischia, Procida, Capri mit ihren reizenden prächtigen Formen, ein Stückchen vom Golf von Neapel, der Stadt, dem Vesuv, ferner Puzzuoli, Bagnoli usw., alles im herrlichsten, südlichen Farbenschmelz, dazu gelbe und rote, warme Tinten, das brennende Ultramarinblau des Meeres und Himmels, die violetten Tinten der Fernen, die durch keine Beschreibung und keinen Pinsel wiederzugeben sind. Diese eine Stunde seligsten Genusses entschädigte mich mehr als hinlänglich für allen Unmut, alle vergebliche Not und Plage der vergenenen Woche. Hätte ich Euch nur auf Augenblicke in dies Paradies zaubern können! Um mein Naturglück vollzumachen, wurde ich auch noch durch den Fund einer köstlichen und roten, mit unbekannten Orchidee und dichte Gebüsche großer, weißer Zistrosen (Cistus) überrascht. Um 5 Uhr waren wir wieder in Bagnoli, am Strande unweit der malerischen Insel Nisita, woselbst wur zusammen ein sehr fröhliches Mittagsmahl einnahmen und dann bei Sternenschein zurückfuhren. Mein Herz war nach der langen Einsamkeit wieder viel aufgelebter, und die lieben, deutschen Volkslieder trugen nicht wenig dazu bei! . . .


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