Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 11. 4. abends

Brief Nr. 14

. . .  Meine Tageseinteilung ist diese Woche sehr einfach und einförmig gewesen und wird es so wohl auch noch die nächste Zeit bleiben. Um 5 1/2 Uhr, sobald es eben dämmert und ehe noch die Sonne hinter dem Vesuv vor ist, stehe ich auf und arbeite bis 1/2 8 Uhr. Dann kommt der Kaffee und gleich darauf der Kapitän Acton, mein eifriger Schüler, der jeden Morgen bis 9 Uhr dableibt und mit dem größten Interesse meine Broschüren und Bücher studiert und meinen mikroskopischen Demonstrationen mit einer Aufmerksamkeit folgt, die dem eifrigsten Studenten Ehre machen würde, um wieviel mehr einem neapolitanischen Schiffskapitän. Er ist ein sehr angenehmer und netter, noch ziemlich junger Mann, der trotz seiner neapolitanischen Geburt seine englische Abkunft in Gestalt und Betragen nicht verkennen läßt. Er treibt speziell Konchyliologie und hat eine sehr hübsche Sammlung. Ich würde mich freuen, wenn ich als Professor einmal lauter so wißbegierige Schüler haben würde, und es macht mir ordentlich Freude, die Wunderschätze der vergleichenden Anatomie so mit voller Haus austeilen zu können.

Um 9 Uhr geht Acton in Arsenal, und ich arbeite dann strikte und ohne Unterbrechung bis 5 1/2 Uhr, wo ich zu Tisch gehe. Unsere deutsche Tischgesellschaft hat in den letzten Tagen einen nicht gerade angenehmen Zuwachs erhalten, durch einen langweiligen Regierungsrat Flaminius aus Frankfurt an der Oder und einen russischen Rittergutsbesitzer, der täglich eine Tischrede über die gesegneten Vorteile des Absolutismus, der Leibeigenschaft und des Christentums, welche drei Dinge in seinem Hirn ziemlich identisch zu sein scheinen, hält und dabei mehr oder weniger von den andern adligen Herren unterstützt wird. Wir drei Doktoren, Binz, Krause und ich, machen natürlich energische Opposition, und daß ich dabei nicht verfehle, vom Naturforscherstandpunkt aus dem Herren etwas die Wahrheit zu sagen, könnt Ihr denken. Heut wurde es sogar so arg, daß ich ein wenig von Deiner Berserkerwut in meinen antijunkerlichen Adern glühen fühlte, lieber Vater, und daß die Doktoren Binz und Krause mich noch zurückhalten mußten, meinen liberalen Gefühlen nicht allzu freien Lauf zu lassen. Gewöhnlich wird so bi s7 1/2 Uhr geplaudert, und dann gehe ich mit den Doktoren noch eine halbe Stunde am Strand auf und ab. Den Abend sollte ich dann eigentlich meine theoretischen Vorarbeiten für den folgenden Tag machen; gewöhnlich bin ich dann aber so müde, daß ich über dem Schreiben oder Lesen nolens volens einschlafe und meist schon um 10 oder 9 1/2 Uhr zu Bett gehe, wo ich dann, trotz des unvermeidlichen Kontingents von Wanzen und Flöhen, welches in S. Lucia sehr stark repräsentiert ist, doch meine sieben Stunden trefflich schlafe, oft noch stark in die achte hinein . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 21. Juni 1999.