Berg- und Seefahrten (1923)

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Straße nach San Pantaleone hinauf, einem Bergpasse, der den westlichen Abfall des Pantokrator durchschneidet. Man genießt von hier eine überraschende Aussicht auf den nördlichen Teil der Insel und auf die benachbarten Eilande: Salmastraki, Othonus und Erikusa. Eine nahe, phantastisch geformte Klippe wird einem Schiff mit vollen Segeln verglichen und als das versteinerte Phäakenschiff von denjenigen angesehen, welche die ähnliche, bei Pontikonisi vor Canoni liegende Klippe nicht als solches gelten lassen wollen. Zur Linken windet sich unsere Klasse durch einen Engpaß, der an die "Klammen" unserer Alpen erinnert und vieldurch durch den Felsen gesprengt sit; die senkrechten hohen Felswände prangen in den schönsten gelben und roten Farben. Dann senkt sich die Straße wieder und führt in vielen Windungen am Ufer einer tief eingeschnittenen Bucht hin. Bei jeder neuen Wendung wird man durch ein neues Bild überrascht. Zuletzt steigen wir auf steilem Fußweg zu dem Felsenvorsprung hinauf, auf dem das Kloster liegt. Aus der Verande desselben genießen wir einen entzückenden Blick auf die wilde Felsenküste und das blaue Meer, tief zu Füßen eine Reihe kleiner Klippen, die von der tobenden Brandung umschäumt werden. Das Kloster selbst bietet nichts Besonderes. In der kürzlich restaurierten Klosterkirche sind einige Reliquien vom heiligen Spiridion das Wichtigste.

Der heilige Spiridion ist nämlich der allverehrte Schutzpatron der Insel. Alles, was in Korfu Gutes und Schlechtes, Großes und Kleines alltäglich passiert, alles das geschieht unter Verantwortlichkeit von Sankt Spiridion. Daher wird denn auch jeder dritte Knabe auf den Namen Spiridion getauft, und wenn man rasch einen herumlungernden Straßenjungen für einen kleinen Dienst herbeirufen will, braucht man nur geradewweg Spiro zu rufen; gleich werden 1/2 Dutzend kleinere und größere Spiros bei der Hand sein. Ich hatte nun das Glück, während meiner Anwesenheit die persönliche Bekanntschaft des heiligen Spiridion zu machen, dessen wohlerhaltener Leichnam den größten Teil des Jahres hindurch in einem Kasten verschlossen ist; nur während gewisser Feiertage wird er aus seinem Gefängnis entlassen, um sich am Licht und Farbenglanz seiner paradiesischen Insel zu erfreuen. Diesmal war es der Palmsonntag, an welchem er die Erlaubnis erhielt, sich öffentlich dem Volke zu zeigen und einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Palmsonntag ist einer der höchsten Festtage der griechischen Kirche und wird durch eine der öröpten Prozessionen gefeiert. Als allgemeines Volksfest genießt letztere um so größeres Ansehen, je strenger im ganzen die Fastenzeit von den Griechen gehalten wird. Außer einigen Vegetabilien, besonders Feigen, Bohnen, Obst, genießen die frommen Leute während dieser schweren Zeit nur noch Zuckerweg, Milch und Eier, namentlich aber Austern und gewisse andere Muscheln (Arca Mytilus, Spondylus), Tiere, welche von der allwissenden und unfehlbaren Kirche vom Pflanzenreich gerechnet werden. Wer aber ganz besonders fromm und enthalt


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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