Berg- und Seefahrten (1923)

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streift, glaubte ich endlich ein ziemlich vollständiges Bild von der mediterranen Natur- und Menschenwelt gewonnen zu haben. Und siehe da, diesen Frühling führt die Sehnsucht nach ionischen Medusen mich nach Korfu und Zephalonia, und wieder entrollt sich ein neues, herrliches Gemälde vor dem überraschten Blick! Alles, was uns an der Mittelmeernatur besonders anmutet und was ihr eigene Gepräge aufdrückt, das finden wir hier in einem harmonischen Charakterbilde vereinigt: mannigfaltige Küstenplastik mit tief eingeschnittenen Buchten und weit vorspringenden Landzungen; langgestreckte Gebirge mit schön geschwungenen Profilen, und schroffe, phantastisch geformte Felsenfesten am Strande - alles mit den zartesten und wärmsten gelblichen und rötlichen Farbentönen bemalt - dazu das tiefblaue Meer mit seinem leuchtenden Himmelsdach, - ferner die charakteristische Mediterran-Vegetation: silbergraue Olivenwälder mit schwarzen Zypressensäulen, Orangenhaine, die gleichzeitig mit duftigen weißen Blüten und süßen, goldenen Früchten geschmückt sind, hier und da schlange Dattelpalmen und schirmfömige Pinien, immergrüne Eichen und Lorbeeren, Erika- und Erdbeerbäume; dazu ein Blumenteppich, der im März und April aus den prachtvollsten Anemonen und Narzissen, Orchideen und Lilien, Veilchen und Rosen zusammengewebt ist! Alle Schätze der mediterranen Natur bietet Korfu in eigentümlicher Fülle und Anmut vereinigt, als ob hier Orient und Okzident zum Austausche ihrer Gaben sich die Hand reichten. Und so erscheinen auch die Menschen, welche dieses herrliche Eiland bevölkern, als eine Mischung von Ost und West, von morgenländisch-griechischer und abendländisch-fränkischer Natur, ein Mischvolk von zentral-mediterranem Charakter.

Wenn ich es nun versuche, hier in kurzen Zügen die Eindrücke wiederzugeben, welche ein Aufenthalt von 7 Wochen auf Korfu mir hinterlassen hat, so mächte ich freilich gern danach streben, dem Leser ein vollständiges und abgerundetes Gesamtbild vorzuführen. Liegt ja doch darin gerade ein besonderer Reiz aller Inseln, daß sie in einem festen Rahmen uns ein geschlossenes, in sich abgerundetes Charakterbild vor Augen stellen, eine geographische Individualität, in der jeder Teil, wie in einem individuellen Organismus, feste Beziehungen zu allen anderen und zum Ganzen hat. Um aber diesen individuellen Typus, wie ihn jede reich entwickelte Insel besitzt, naturgemäß und erschöpfend darzustellen, dazu gehört nicht allein ein längerer Aufenthalt, als mir leider beschieden war, sondern auch eine geschicktere Feder, als mir zu Gebote steht. Teneriffa von Leopold Buch, Kapri und Korsika von Ferdinand Gregorovius, Kreta von Franz Löher sind solche mustergültige Inselbilder, mit denen wir nicht wetteifern können. Und so bitte ich meine Leser, mit der unvollkommenen Skizze fürlieb zu nehmen, die ich ihnen hier mit bestem Willen zu bieten vermag. Ihr Zweck würde erreicht sein, wenn sich dadurch einer oder der andere verleiten ließe, selbst die glücklichen Gestade der Phäaken aufzusuchen! Ganz besonders gilt das für die Maler; denn für diese - sowohl


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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