Berg- und Seefahrten (1923)

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Diese war allerdings außerordentlich. Gewöhnlich wird die Tour, welche an sich schon sehr anstrengend ist, in 2 Tagen gemacht. Den ersten Tag wird hinaufgeritten und in der Estanzia dos Ingleses, einem von Felsen geschützten Platze am Fuße des eigentlichen Pik-Kegels, übernachtet. Da dies aber jetzt ganz untunlich war und die schneebedeckte Estanzia unmöglich unser Nachtquartier sein konnte, mußten wir die ganze Tour hin und zurück (bis über 13000 Fuß Höhe hinauf) in einem einzigen Tag machen. So mußten wir denn bereits um 11 Uhr nachts unser Bett, in welchem uns die Erwartung auf das Wagnis unserer Wanderung nur wenig Schlaf gönnte, verlassen und unser Gepäck rüsten. Um Mitternacht bestiegen wir, durch einen Kaffeetrunk ermuntert und gestärt, unsere Maultiere, doch dauerte es noch eine halbe Stunde, ehe die ganze Karawane marschfertig war, da die Führer unter lauten Verwünschungen dies und jenes holen mußten, was sie vergessen hatten, und da zwei Pferde sich um eine halbe Stunde verspäteten. Erst um 12 1/2 Uhr setzte sich die Kavalkade in Bewegung. Sie bestand aus folgenden Personen: 1. Der Hauptführer Don Emanuel Reis, der erfahrendste der Pikführer, der schon über 50 Aszensionen gemacht hatte, auf einem kräftigen schwarzen Maultier. 2. Der sogenannte Chef der kanarisch-pelagischen Zoologen-Expedition, meine Person nämlich, auf einem ausgezeichnet starken und guten dunkelbraunen Maultier. 3. Hinter mir Fol aufeinem sehr zierlichen weißen Maultier, sehr malerisch ausstaffiert. 4. Miklucho, ganz in Weiß gekleidet, auf einem schwarzen Bergpferd. 5. Dr. Greef auf einem miserablen, alten braunen Bergpferde, welches ihn durch seinen schlechten Gang und seine Widerspenstigkeit so ärgerte, daß er es auf halben Wege mit einem sehr schlecht gesattelten Führerpferde vertauschte. Dann folgte 6. Hermann Wildpret, der Obergärtner des Botanischen Gartens in Puerto Orotava, ein deutscher Schweizer aus Aargau, welchen uns ein glücklicher Zufall am ersten Tage in Santa Cruz in die Hände führte. Er ist seit 7 Jahren hier, ein sehr kenntnisreicher und gefälliger Mann, welcher uns durch seine Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse und der spanischen Sprache von größtem Nutzen war. Er hat bereits viermal den Pik bestiegen. Wir baten ihn, unser Gast und Gefährte auf dieser Expedition zu sein, an der er selbst das regste Intgeresse hatte. Nun folgten zwei Maultiere, welche mit warmen Decken und mit reichlichen Quantitäten von Speise und Trank versehen waren, da schon eine halbe Stunde oberhalb Orotavas das letzte Dort ist und und weiterhin von einer menschlichen Wohnung nichts mehr anzutreffen ist. Den Beschluß des langen Zuges machten die vier Führer, welche auch zeitweise zwischen den anderen und an der Spizte marschierten. Da der gangbare Pfad, welcher übrigens auf der ganzen Strecke überaus steinig und beschwerlich ist, nur 1-2 Fuß Breite besitzt, so mußten alle in einer Linie hintereinander reiten. Auf der ganzen nächtlichen Tour leuchtete uns der Mond mit einer Klarheit und einem Glanze, den unsere Breiten nicht kennen.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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