Berg- und Seefahrten (1923)

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bekannt ist und wonach ich die herrliche Medusa gestern Rhizostoma rugosum getauft habe. Auch die Bildung des Randsaums ist sehr eigentümlich. Untern aus der Mitte der Glocke hängen aucht mächtige Arme von 2-3 Fuß Länge herab. Daß diese schöne und sehr auffallende Medusenform noch gar nicht beschrieben ist, zeigt, daß in Lissabon wohl noch gar keine Untersuchungen über die pelagische Fauna des Tajo angestellt sind. Denn keine andere Tierform der Flußmündung ist so auffallend. Sie erscheint an der Oberfläche in dichten Massen, welche uns selbst von dem 200 Fuß hohen Felsen unseres Gefängnisses aus ergötzlten, und ist offenbar sehr gemein, die Lisboenser nennen sie "Aferrecos". Die Bewegungen dieses Rhizostoma sind äußerst zierliche. Was mich aber am meisten interessiert, ist, daß diese Meduse mehr als irgendeine andere Art dem von mir beschriebenen fossilen M"Rhizostomites admirandus" aus dem Jura gleicht, so sehr, daß beide Spezies nächstverwandt sein müssen. Auch ist die Konsistenz des Schirmes außerordentlich fest, fast knorpelartig. Obgleich das Wasser in dem Tajo-Becken zwischen Stadt und Lazarett gewiß viel weniger salzreich als der Atlantische Ozean und schon bedeutend brackisch ist, scheint die Meduse sich in demselben doch sehr wohl zu fühlen.

Außerdem fanden wir noch an den Mauern und Treppen des Landungsplatzes zahlreiche Patellen, eine sehr auffallend abgerundete Mytilus-Form, ferner viele Fucoideen (Fucus vesiculosus, Ulva Lactuca usw.) mit dem darinsitzenden Gesindel von Würmern. So hat es keinen Augenblick an Beschäftigung gefehlt. Aber so angenehm es hier auch war, freuen wir uns doch herzlich, morgen die Freiheit wiederzuerhlaten.

Dienstag, den 13. November, wurden wir aus dem Lazarett in Lissabon nach fünftägiger Quarantänehaft entlassen. Die Formalitäten bei diesem feierlichen Akt waren ebenso umständlich und sinnlos wie die ährend der ganzen Zeit beobachteten. Außerdem herrschte in bezug auf Douane und Transport nach der Stadt die größte Unordnung,so daß fast der ganze Tag darüber verloren ging. Morgens um 10 Uhr erhielten wir unsere Gesundheitspässe, und nachmittags 4 Uhr waren wir erst an Bord des Dampfschiffes, zu welchem wir mit unserem ganzen Gepäck unmittelbar aus dem Lazarett hinzogen. Die Barkenfahrt dorthin, den Tajo stromaufwärts, dauerte fast 1 Stunde und war außerordentlich schön. Nun sahen wir erst, daß der westliche Teil der Stadt, mit dem königlichen Schloß, Belem, weit von dem östlichen Teile getrennt liegt, welcher sich, Neapel in vieler Beziehung ähnlich, terrassenförmig an hohen Hügelreihen hinaufzieht. Die Hauptmasse bildet ein halbrundes Amphitheater. Oberhalb der Stadt erweitert sich der Tajo zu einem mächtigen Landsee.

Nachdem wir unser Gepäck an Bord der Lusitania untergebracht, fuhren wir nach dem östlichen Hauptteil der Stadt hinüber, wo wir in


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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