Berg- und Seefahrten (1923)

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kahl und jetzt sehr verbrannt; doch heben sich die glänzenden weißen Häuser, aus denen mehrere Paläste, Domkuppeln und alte Kastelle hoch hervorragen, prächtig auf dem dunklen Hintergrunde, den roten und braunen Bergen, ab, und der Hintergrund von schön geformten höheren Bergen, der Vordergrund der dunkelblauen, seegleichen Flußmündung, mit ihren Massen von Dampfern, Barken und Segelschiffen aller Art, gestalten das ganze Bild äußerst anmutig.

Wie soll ich Euch aber alle die Komödien erzählen, die man heute hier mit uns Choleraverdächtigen vorgenommen hat. Wenigstens ein dutzendmal durchräuchert, besprengt, mit drei Kreuzen bezeichnet und gesegnet, sind wir aus einer Abteilung der Quarantäneanstalt in die andere transportiert worden. Der ganze Prozeß war höchst amüsant. Das komischste war heute abend die Eröffnung des Gepäcks, über welchem eine Masse von Seilen ausgespannt wurde, um daran Desinfektionspapiere aufzuhängen! Jeder "reine" Uffiziale des Lazaretts weicht vor uns wie vor der leibhaften Pest zurück und schreit laut auf, sobald wir uns ihm nähern wollen.

Heute abend mußte die ganze Schiffsgesellschaft einen offiziellen Spaziergang an die Seeküste oder vielmehr das Hafenufer des Tajo vornehmen. Hierbei wurde ich ganz unvermutet durch eines der herrlichsten Schauspiele überrascht. In einem kleinen Eckchen des Tajo-Hafens, der übrigens noch ganz Meerbusen ist, tummelten sich einige zwanzig der herrlichsten und größten Medusen, ein prachtvolles Rhizostoma mit milchweißer Glocke und 2-3 Fuß langen Armen, in den allerzierlichsten Bewegungen umher.

Montag den 12. November 1866

Wider meinen Wunsch und Willen erhaltet Ihr diesen Brief, den ich schon vor 4 Tagen auf die Post gegeben habe, nun fast eine Woche später, da unser Quarantäne-Offizier mir ihn eben wieder mit der Eröffnung zurückbringt, daß er erst nach Vollendung der Quarantäne-Gefangenschaft abgeschickt werden darf. Ich benutze nun diese unwillkommene Verzögerung, um noch ein Blatt hinzuzufügen. Unser Briefwechsel wird jetzt ohnehin sehr spärlich werden, da nur alle Monate ein Schiff von hier nach den Kanarischen Inseln fährt. Auch wundert Euch nicht, wenn einmal ein paar Monate gar keine Nachricht kommt, da die Post, gleich allen übrigen Kultureinrichtungen, noch auf der tiefsten Stufe steht. Was wir bisher in den 4 Tagen auf portugiesischem Boden in dieser Beziehung erfahren haben, übertrifft bei weitem selbst meine sizilianischen Erfahrungen. Aberglaube und Unwissenheit scheinen noch allgemein in einem Maße zu herrschen, welches man in Europa kaum noch für möglich halten sollte. Nichts zeigt dies deutlicher als die vollkommen verrückte und sinnlose Art und Weise, in welcher unsere Quarantänezucht gehandhabt wird, und welche fast mehr komisch als ärgerlich ist. Alle unsere Sachen


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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