Berg- und Seefahrten (1923)

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Am Mittwoch, den 7. November, war das Meer schon am Morgen spiegelglatt, und als wir vor Sonnenaufgang schon das Verdeck betraten, empfing uns der mildeste Hauch der südeuropäischen Luft. Der Sonnenaufgang aus dem Meere war herrlich schön, wurde aber durch den prachtvollen Sonnenuntergang desselben Tages noch übertroffen. Die Fahrt war den ganzen Tag über sehr schön und entschädigte uns ganz für die Leiden der letzten Tage. Besonders erfreuten wir uns an dem Spiele einer großen Herde Delphine (Delphinus phocaena), welche unserem Schiff mehrere Stunden lang folgten und sich ein Vergnügen daraus zu machen schienen, mit uns um die Wette zu schwimmen. Es mochten einige dreißig oder zwanzig Tiere sein, welche in dem spiegelglatten Wasser herrlich zu sehen waren und uns durch ihre kühnen Sprünge und ihre gewandten Schwimmkünste das größte Vergnügen bereiteten. Später unterhielt uns ebenso das muntere Spiel der Möwenschwärme, welche das Schiff umkreisten.

Um 2 Uhr nachmittags kam das erste Land wieder in Sicht, nachdem wir fast voll 4 Tage hindurch nur Himmel und Meer gesehen hatten. Zunächst erschienen zwei Inseln an der portugiesischen Küste, zwischen Lissabon und Oporto, in äußerst malerischer Form, kühn und schroff aus dem Meere aufsteigend und im schönsten Purpurviolett glänzend. Je näher wir ihnen kamen, desto heller und schärfer traten die machtigen Felsenwände mit ihren Seitenriffen aus dem Meere empor. Bald folgte dann auch gegen Abend die Küste des portugiesiichen Festlandes, an der wir noch in der Dämmerung mehrere weit hingestreckte weißglänzende Städte unterscheiden konnten. Nun folgte eine Reihe von Leuchtfeuern, bis wir endlich um 10 Uhr abends den Hafen von Lissabon erreicht hatten und in der Tajo-Mündung die Anker fallen ließen.

Heute morgen, Donnerstag, den 8. November, begann nun die äußerst lächerliche Quarantänekomödie, welche uns den ganzen Tag hindurch amüsierrt und unterhalten hat. Schon am frühen Morgen erschien die Sanitätsbarke, als welcher ein echer Hakim sich erhob und mit höchst gravitätischer Miene die Schiffspapiere forderte, welche er mittels einer Gabel in Empfang nahm und sorgfältig durchräucherte, ehe er sie las. Dann wurden usn, da wir aus einem infizierten Hafen kamen, 5 Tage Quarantäne diktiert, welche wir in dem Lazarett zubringen mußten. Vorn am Schiffe wurde die gelbe Pestflagge aufgehißt und somit aller verkehr mit den Schiff untersagt. Eine besonders durchräucherte Barke setzte uns dann an die Südküste des Tajo, wo sich das Lazarett oder das neue Quarantänegebäude auf schroffem Felsen erhebt.

Es ist das schönstgelegene Lazarett, das man sich denken kann, mit der prachtvollsten Aussicht auf den Tajo und die gegenüberliegende Hauptstadt, deren herrlicher Anblick uns heute den ganzen Tag gefesselt hat. Zwar sind die Hügelreihen und die höheren Bergketten, welche sich über den weißen Häuser- und Palastreihen der Residenzstadt erheben, sehr


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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