Berg- und Seefahrten (1923)

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weißen Häuserreihen sich am Fuße dunkelbrauner Hügelketten längs des nördlichen Tajo-Ufers hinzieht. Auf diesem steilen, hohen Felsen, der das ganze herrliche Tajo-Tal beherrscht und die entzückendste Aussicht auf das glänzende Lissabon und seine ganz eigentümliche Umgebung gewährt, liegt das neue stattliche Quarantanegebäude, durch doppelte und dreifache Mauern und Wachtpostenketten gegen die übrige Welt abgesperrt. Wir bewohnen einen Radius dieses achtstrahligen, medusengleich gebauten Sanitätsschlosses, dessen acht radiale Abteilungen völlig voneinander geschieden und sowohl gegeneinander als gegen die Außenwelt ohne alle Kommunikation sind. Mit meinem Reisegefährten Dr. Greef aus Bonn sitze ich am Ende einer langen Tafel in einem höchst wunderlich möblierten und verzierten Speisezimmer, in dem wir soeben unser erstes Mittagsmahl (6 Uhr abends) auf portugiesischer Erde eingenommen haben. Unsere Diener, welche höchst dienstbeflissen auf jede Äußerung unserer Wünsche lauschen, sind: 1. portugiesischer Sanitätsoffizier, welcher uns zugleich beaufsichtigt; 2. eine echt äthiopische Negerin, deren typischen Rassekopf ich bedaure nicht für unser Jenaisches Museum mitnehmen zu können; 3. dunkelbrauner Mulatte mit äußerst häßlicher, affenartiger Gesichtsbildung. Unsere Tischgesellschaft ist sehr bunt aus Quarantäne-Gefangenen verschiedener Länder: England, Dänemark, Spanien, Türkei usw. zusammengesetzt. Wir beiden Deutschen nehmen die äußerste Tischecke ein; zu uns hat sich ein dritter Landsmann gesellt, ein Schleswig-Holsteiner aus der Königsau, ein Maschinenbauer, welcher in Madeira Heilung für seine Lungen sucht. Wir sind in sehr heiterer Stimmung, teils in dem sicheren Gefühle, nach einer sehr beschwerlichen Seefahrt wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben, teils infolge der Erinnerung an die sehr bunten und schnurrigen Erlebnisse des heutigen Tages. Hört zunächst von unserer Seefahrt.

Wir verließen London an dem düsteren Nebelmorgen des 2. November, an einem echten Londoner Nebeltage; die Sonne ließ nur von Zeit zu Zeit als kleine mattrote Scheibe sich sehen. Um 9 1/2 Uhr lichtete die Maria Pia, unser kleiner eiserer Schraubendampfer, die Anker und wir suchten uns durch das dichte Gewühl von Schiffen aller Nationen, welche unterhalb London-Bridge die Themse anfüllen, unseren schwierigen Weg. In Gravesend, der Polizeistation des Themsehafens, mußten wir von 2 Uhr nachmittags bis zum anderen Morgen liebenbleiben, da die Schiffspapiere nicht ganz in Ordnung waren. Die Fahrt längs des südöstlichen Teils der englischen Küste, am Sonnabend, den 3. November, war sehr interessant. Wir fuhren zunächst längs der Küste hin, meist derselben sehr nahe. Die steilen Kreidefelsen von Margate und Ramsgate sowie späterhin von Dover, die stolzen Schlösser und festen Städte, welche dieselben krönen, die herrlichen, frischgrünen Wiesenmatten, welche zwischen ihnen sich ausdehnen, verliehen dieser Küstenlandschaft einen großen Reiz. Als es dunkel wurde, erblickten wir gegen Abend die letzten Leucht


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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